Morituri. Klaus Bock. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Klaus Bock
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783753190921
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darf ich ihm nicht vorwerfen, weil ich das auch nicht forciert habe – ich wollte von dem Feigling nichts aber auch gar nichts wissen und auch nichts haben. Klar, war es verdammt hart für uns, aber meine Eltern haben mich liebevoll unterstützt, solange sie konnten... Das Leben dieses „Vaters“ habe ich die ersten Jahre noch mit vagem Interesse verfolgt, aber auch dieses Interesse verschwand mit der Zeit...

      Irgendwann hat mich dieser Mensch gar nicht mehr interessiert. Ab und zu habe ich ein Foto von ihm in der Klatschpresse gesehen, aber nicht darauf geachtet.

      Die letzten Jahre, vor allem nach dem Tod meiner Eltern und meiner Tochter, habe ich in einem gefühlsmäßigen Nichts verbracht – ich habe nicht gelebt, ich habe vegetiert. Dann kamen zu den seelischen Schmerzen die körperlichen. Der Kampf gegen den Schmerz war schwer, das dürfen sie mir glauben, aber aufgeben konnte ich damals noch nicht.

      Sie glauben ja gar nicht, welches Affentheater auch sog. Krebsärzte gemacht haben, wenn ich erst wirksame Schmerzmittel und dann Morphium gebraucht und verlangt habe... So ein Leben ist nicht mehr lebenswert, liebe Frau Z., das müssen sie mir glauben...“

      Frau Z. musste jetzt unterbrechen, um sich zu sammeln. Nach einem Moment las sie mit stockender Stimme weiter:

      „Sie und einige wenige Ihrer Kundinnen und Kunden haben mir das Leben – in Grenzen, aber immerhin – ein bisschen lebenswerter gemacht. Und schließlich – ich denke, es waren die letzten sechs Monate – hatte ich nur noch einen Gedanken, der hat mich aufrecht gehalten: Ich wollte den Mann, der mich so feig und schmählich verlassen hat, um seine schönere und jüngere Frau mit mehr Geld und, vor allem, einer „besseren Familie“ zu heiraten, natürlich mit gesunden Kindern, nicht mit so einem Krüppel, wie ich ihn zu bieten hatte, tot vor mir sehen. So tot, wie es nur geht...

      Ich weiß, das ist ein fürchterlicher Gedanke. Jemanden umzubringen, um ihn tot vor sich zu sehen, dürfte für viele und wahrscheinlich auch für Sie, sogar ein nicht akzeptabler Gedanke sein. Das war er anfangs auch für mich. Es war sogar schrecklich, sich vorzustellen, dass ich ihn umbringen würde...

      Aber ich habe mich langsam an den Gedanken gewöhnt und dann wurde ich ihn nicht mehr los, erst wurde er denkbar, dann ertragbar und schließlich auch machbar... Schließlich versprach er mir letzte Befriedigung in einem verlorenen Leben.

      Einer diesseitigen Bestrafung bin ich durch den Fortschritt meiner Krankheit sowieso enthoben. Ich habe nur noch wenige Wochen zu leben... Zu leben? Wer will das, was ich durchmache, Leben nennen?

      Da ich kein religiöser Mensch bin, ja, nicht an irgendeinen Gott glaube, in keiner Form, gibt es für mich keine dräuende Strafe im Jenseits: Kein Fegefeuer, keine Hölle und keine Verdammnis und was sich Kirchenleute für das Jenseits oder das nächste Leben sonst noch ausgedacht haben mögen, um uns hier zu disziplinieren. Und wenn es eine Wiedergeburt geben sollte, gut, von mir aus auch als Wurm...

      Wer oder was sollte mich also stoppen? Nichts und niemand!

      Also habe ich es getan. Alleine und ohne Hilfe. Die von meinem Vater geerbte Pistole aus dem Zweiten Weltkrieg, vor der ich immer große Angst gehabt hatte, kam mir plötzlich wie ein Zeichen vor: „Tue es“, hat sie mir zugeflüstert, „tue es!“

      Wie häufig bin ich in meiner Wohnung dagesessen und hielt das fürchterliche Ding in meiner Hand. Aus der Angst wurde Zu- und Vertrauen. Und schließlich ich bin ihren Einflüsterungen erlegen. Dankbar!

      Und jetzt, wo sie dieses lesen, ist diese letzte Sache vollbracht. Ehrlich gesagt, jetzt, wo ich diese Zeilen schreibe, freue ich mich sogar auf diesen letzten Moment! Was für ein Ende: Mord und Selbstmord in einer Minute...

      Selbst der Gedanke, dass die Tatsache, dass er und ich in denselben Minuten sterben werden, uns vielleicht irgendwie verbinden wird, schreckt mich nicht mehr – weil, ich bin dann tot...

      Ich werde keine Schmerzen mehr haben und der Krebs - auch wenn er gesiegt hat, aber wer hätte je daran gezweifelt, dass er siegen würde? – kann mich mal... Der Scheiß-Krebs wird mit mir untergehen. Er sagt also, dass er gesiegt hätte? Ein toter Krebs ist ein guter Krebs, finde ich.

      Ich danke Ihnen aus ganzem Herzen für die netten Momente, die sie mir im Leben noch geschenkt haben. Grüßen sie ein paar andere von mir...

      Ihre Hannelore“

      Frau Z. hatte an ein paar Stellen die Stimme versagt, sie hatte sich einige Male Tränen abwischen müssen – aber damit war sie nicht die einzige gewesen.

      Denn als sie schließlich vom Blatt wieder hochschaute, sah sie, dass auch unter ihren Zuhörern diverse waren, die ein Taschentuch in der Hand hielten. Sie sagte eine Weile nichts, dann sagte sie leise:

      „Da will ich jetzt aber gar nichts mehr hinzufügen.“

      Sie faltete das Blatt langsam und vorsichtig zusammen, als ob es zerbrechlich wäre, steckte es mit zitternden Händen wieder in den Umschlag und diesen in die Tasche, aus der sie ihn gezogen hatte. Dann setzte sie sich wieder auf ihren Platz unter den anderen. Alle schwiegen. Da Hannelore nicht gläubig war, hatten sie auf kirchliche Musik verzichtet und nur „etwas Beethoven“ gespielt.

      Wie in allen städtischen „Abschiedsräumen“ auf den Münchner Friedhöfen war die Akustik so schlecht, dass kaum jemand Frau Z. vollständig verstanden hatte und auch die Musik vom „öffentlichen“ CD-Player hatte nicht wirklich gut geklungen.

      Alle waren froh, dass die Abschiedsfeier in dem kalten Rund danach schnell zu Ende war, denn was gab es schon zu sagen und selbst wenn, konnte es keiner verstehen...

      Als sie draußen waren und noch einen Moment zusammen standen, sagte Hanna in die Runde, dass sie noch zu einem kleinen „Leichenschmaus“ im „Wiener Café“ einladen würde, das wäre nur ein paar Schritte in die Dantestraße hinein auf der rechten Seite.

      Jemand fragte, ob Frau Z. den Brief dort noch einmal vorlesen könne, damit man den Inhalt verstünde, denn so sei das ja nichts Halbes und nichts Ganzes gewesen.

      Langsam setzte sich die Gruppe in Bewegung. Udo schob Hannas Rollstuhl mühsam durch den Kies vor der Aussegnungshalle. Sarah ging mit wiegenden üppigen Hüften sehr gut aussehend rechts neben dem Rollstuhl, Wolf-Dieter links. Es wurde kaum geredet, alle hingen ihren Gedanken nach.

      „Tja“, sagte Udo, „nun ist sie weg..., also so gut wie, verbrannt muss sie noch werden... Und bei der Beisetzung kann ja niemand dabei sein, von wegen anonym und so...“

      „Ja“, sagte Hanna, „sie wollte nicht, dass sich irgendwer um ihr Grab kümmern müsse... Aber sie hat ihr letztes Ziel gerade noch erreicht, sie hat den Kerl erschossen...“

      „Das habt ihr gut gemacht“, fügte Sarah hinzu, denn die Alten-Wgler waren unter sich, wie ein schneller Rundblick gezeigt hatte, „wie ihr den ausfindig gemacht habt...“

      „War nicht schwer“, meinte Wolf-Dieter nach einer Weile, „unser Professor war eitel, eitel genug, dass er einen Facebook-Account hatte... mit Lifeline, Fotos, Adresse und Terminen und allem...“

      Sie hatten jetzt den gepflasterten Bürgersteig erreicht und Udo hatte es deutlich leichter, Hanna vor sich her zu schieben.

      „Sogar seine Vortragstermine hat er darauf angekündigt... ganz schön blöd!“, meinte Udo deshalb auch weniger schwer atmend.

      „Naja, er konnte ja nicht wissen, dass Hannelore ihn noch haben wollte, oder?“, fragte Sarah, „... nach so langer Zeit?“

      „Wohl kaum“, sagte Hanna.

      Sie passierten die Baldurstraße an der Ampel, gingen in die Dante­straße und hatten nach höchstens einhundert Metern das „Wiener Café“ erreicht, in dem Hanna und Frau Z. den Nebenraum für sie reserviert hatten.

      20. März. Im „Wiener Café“

      15.30 Uhr. Sarah, Udo, Hanna, der Graf und Tante Greten sowie ein paar andere Trauergäste aus dem Laden gingen durch das Café, mit etwas Abstand kamen noch Frau Z. und Herr