Geisterzorn. S. G. Felix. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: S. G. Felix
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783753190549
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nachging. Nein, ich war nicht auf diesen Job angewiesen. Ich machte ihn einfach gern. Er lenkte mich ab. Er lenkte mich vom Nachdenken ab. Und das schätzte ich so an dieser Arbeit. Aber ich glaube, ich sollte meine Beziehung zu Mrs. Trelawney ein wenig näher erläutern.

      5

      Bevor ich allein in die Kennington Street einzog, hatte ich Mrs. Trelawney nur ganz selten gesehen, geschweige denn gesprochen. Wir waren vorher auch nur zwei Sommer lang hier gewesen, und das nur für wenige Wochen. Als ich wie gesagt vor drei Jahren kurz nach meiner Scheidung hier einzog, war ich ein total alkoholkrankes Wrack.

      Die ersten Wochen ging ich überhaupt nicht vor die Tür. Ich soff und schaute Fernsehen. Und wenn ich mal einen klaren Gedanken fassen konnte, dann drehte er sich nur darum, wie ich mir am effektivsten das Leben nehmen könnte. Aber jeder praktische Versuch, dies anzugehen, endete in einem erniedrigenden Besäufnis. Das Schlimmste an diesen Exzessen war immer, dass ich Michelles Stimme hörte, wie sie mich auslachte. »Nicht mal dich umbringen kannst du. Was bist du nur für ein Versager«, sagte sie immer. Dann schrie ich meist, sie solle ihre verdammte Schnauze halten, und manchmal warf ich sogar eine leere Schnapsflasche nach ihrem imaginären Bild.

      An meinem 42. Geburtstag – es war der erste überhaupt in meinem Leben, den ich ganz allein verbrachte – griff ich zum Telefonhörer und wollte zuhause bei Michelle anrufen, um mit Amy zu sprechen. Wenigstens an diesem Tag wollte ich einmal die Stimme meiner Tochter hören. Nachdem es zweimal geklingelt hatte, meldete sich zu meinem Schrecken Michelle am Apparat.

      »Was willst du?«, fragte sie angewidert.

      Obwohl ich mich selbstverständlich betrunken hatte, um überhaupt Mut für diesen Anruf aufzubringen, war ich doch noch klar genug, um mich über Michelles dreiste Art, mit mir zu sprechen, aufzuregen. Es war schließlich mein Geburtstag. Mein zweiundvierzigster Geburtstag!

      »Keine Sorge, ich möchte mit Amy sprechen«, sagte ich.

      »Sie ist nicht hier.«

      »Heute ist Samstag. Willst du mir vielleicht erzählen, Amy wäre in der Schule?«

      »Tut mir Leid, sie ist nicht da«, sagte Michelle.

      »Wo ist sie?«, fragte ich zornig.

      »Als ob dich das was kümmern würde!«

      »Ich will jetzt mit meiner Tochter sprechen!«, schrie ich in den Hörer.

      »Hast du wieder gesoffen?«

      Ja, natürlich hatte ich gesoffen! Wie hätte ich denn sonst, ohne zu zittern den Hörer halten sollen? Wie hätte ich denn sonst, ohne zu stottern sprechen können?

      Michelle machte mich rasend vor Wut und im Geiste begann ich, sie genüsslich zu würgen.

      »Ruf wieder an, wenn du halbwegs nüchtern bist. Oder sauf dich zu Tode, mir egal«, sagte Michelle kalt.

      »Wage es nicht aufzulegen, sonst...« Aber da war es schon zu spät. Ein Klacken und dann war Stille.

      Ich schrie vor Wut. Ich schrie solange, bis mir einige Äderchen in den Augen platzten.

      Ich überlegte, noch einmal anzurufen, aber Michelle würde einfach nicht ran gehen. Stattdessen entschied ich mich dazu, was ich immer in ähnlichen Situation tat: Ich trank noch mehr. Aber dieses Mal war es besonders schlimm. Ich trank soviel, dass ich in einen komaähnlichen Zustand fiel. Ich weiß nicht, wie lange ich in diesem Zustand gedämmert habe. Jedenfalls verbrachte ich meinen zweiundvierzigsten Geburtstag im Delirium liegend auf dem Teppichboden in meinem Wohnzimmer, nur eine Idee davon entfernt, an meinem eigenen Erbrochenen zu ersticken.

      Tiefer ging es nicht. Ich erwachte am nächsten Tag. Es war bereits Nachmittag. Als ich es schaffte, wieder aufrecht zu stehen ohne umzufallen, war es bereits dunkel. Ich schleppte mich völlig erschöpft in den ersten Stock in das Schlafzimmer und hoffte nur, dass ich den nächsten Tag nicht mehr erleben würde. Weit gefehlt! Wahnsinnige Kopfschmerzen weckten mich am nächsten Morgen. Irgendein hämmerndes Geräusch prallte gegen meine Trommelfelle. Es schien so laut zu sein, dass ich dachte, sie würden jeden Moment platzen. Ich richtete mich im Bett auf, während ich mir die Ohren zuhielt. Das hämmernde Geräusch hatte pausiert. Ich merkte, dass ich kaum den Mund auf bekam, weil er völlig verklebt war. Ich hatte keinen Tropfen Speichel mehr in meinem Mund. Ich tastete auf dem Nachttisch nach meiner Brille, konnte sie jedoch nicht finden. Ich war kurzsichtig mit etwa 4,9 Dioptrien. Ohne Brille sah ich alles, was weiter als vierzig Zentimeter entfernt war, nur verschwommen. Wie ich erst später herausfinden sollte, hatte ich meine Brille unter mir begraben, während ich auf dem Fußboden gelegen hatte. Zum Glück hatte ich noch ein paar Ersatzbrillen in der Kommode unten im Flur. Michelle hatte mich früher immer gedrängt, eine Augen-OP machen zu lassen. Das würde jeder heute tun, der ein wenig Geschmack hätte, war ihre Meinung. Eine Brille sei nicht mehr zeitgemäß. Ich sah das ein wenig anders. Ohne Brille fühlte ich mich nackt. Schließlich fing ich vor wenigen Jahren an, mir hin und wieder eine neue Brille anfertigen zu lassen. Vier Stück besaß ich insgesamt. Alle Modelle sahen sich recht ähnlich, so dass die Frage nach der Sinnhaftigkeit meiner Sammelwut berechtigterweise gestellt werden konnte. Ich konnte jedoch keine einleuchtende Antwort finden. Erst die letzten Tage in Lost Haven sollten meine Ersatzbrillen unentbehrlich machen. Fast so, als hätte ich es schon Jahre zuvor geahnt, dass ich sie mal eines Tages alle brauchen würde. Ohne Brille also schlurfte ich unsicher ins Bad, riss den Einhebelmischer am Waschbecken nach oben und trank gierig aus der Leitung, bis mir übel wurde.

      Wieder hämmerte es. Es kam von unten.

      »Scheiße«, wimmerte ich nur und hielt mir wieder die Ohren zu. Jemand war unten an der Tür. Ich ertrug den für mich ohrenbetäubenden Lärm noch eine Weile, bis es endlich aufhörte.

      In halb gebückter Stellung hielt ich inne, um sicher zu gehen, dass derjenige unten an der Tür endlich verschwinden würde. Ich hätte nicht gewusst, wer mich besuchen wollte. Peter kannte ich damals noch nicht. Ich hatte seit meinem Einzug mit niemandem aus Lost Haven gesprochen. Als ich sicher war, dass endlich Ruhe herrschen würde, öffnete ich die verspiegelte Tür vom Alibert und griff nach den Aspirin-Tabletten. Ich bezweifelte zwar, dass sie helfen würden, aber ich hatte nichts anderes da. Ich nahm vier Stück. Das sollte für das Erste reichen. Ich schaffte es, mich zu duschen und schlüpfte in einen Bademantel. Danach aß ich in der Küche einen Erdnussbutter-Toast. Langsam fühlte ich mich besser. Plötzlich klopfte es wieder. Diesmal aber nicht an der Haustür, sondern an der Verandatür. Ich blieb einfach am Esstisch sitzen und hoffte, dass der ungebetene Besuch endlich von der Tür verschwinden würde. Aber es klopfte wieder. Und wieder. Und immer wieder. Meine Kopfschmerzen drohten, wieder zurückzukommen.

      »Verdammt!«, stieß ich aus und stand auf. Ungewöhnlich schnellen Schrittes durchquerte ich das Wohnzimmer, zog den Vorhang vor der Glastür zurück, öffnete sie, ohne nachzusehen, wer dahinter stand, und... blickte einer erschrockenen Mrs. Trelawney in die Augen.

      »Du meine Güte! Sie sehen ja furchtbar aus! Sind sie krank?«, sagte sie, während sie sich die flachen Hände an die Wangen schlug.

      Mrs. Trelawney war eine nette alte Dame, aber in diesem Moment wünschte ich sie zum Teufel. »Ja, ich äh, ich habe mit einem Infekt zu kämpfen«, sagte ich und zupfte mir meinen Bademantel zurecht.

      »Tatsächlich?«, begann Mrs. Trelawney. »Das muss aber ein übler Virus sein. Ich kämpfe selber gerade gegen eine Grippe. Das Schlimmste habe ich aber schon hinter mir.«

      »Eine Grippe? Geht es Ihnen auch wirklich gut?«, fragte ich, weil Mrs. Trelawney nicht mehr die Jüngste war. Ich schätzte sie auf Anfang Achtzig.

      »Mir geht es jedenfalls wesentlich besser als Ihnen, Mr. Rafton.« Sie musterte mich nochmals von Kopf bis Fuß. »Sie sind ja leichenblass!«

      »Ja, aber ich fühle mich schon wieder ganz gut. Ähm, wollten Sie etwas Bestimmtes von mir?«

      »Oh, nein. Es ist nicht so wichtig. Ruhen Sie sich erst mal aus. Sie brauchen Bettruhe. Das ist das Allerwichtigste.«

      »Sagen Sie, soll ich Ihnen bei etwas helfen?«, hakte ich nach.

      »Ach