Geisterzorn. S. G. Felix. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: S. G. Felix
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783753190549
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Melissa sicherlich schon abertausend Mal Bücher verpackt hatte, ließ sie sich bei diesem ungewöhnlich viel Zeit. Ich ahnte schon, worauf es hinauslaufen würde.

      »Und Mr. Rafton, was macht die Kunst?«, fragte sie.

      »Du meinst nicht zufällig eine bestimmte Kunst?«, erwiderte ich.

      Melissa druckste herum. »Nun, ich dachte, Sie würden bald wieder an einem neuen Roman arbeiten«, sagte sie und vermied es, mich anzusehen.

      Mr. Beaver räusperte sich demonstrativ, um seiner Tochter klar zu machen, sie solle mich nicht schon wieder mit dieser Frage belästigen. In der Tat fragte sie mich fast jedes Mal, wenn ich hier war, ob ich gerade etwas schreibe. Ich habe ihr – wenn auch nicht eindeutig – versucht klar zu machen, dass ich nichts mehr schreiben möchte. Aber das wollte sie nicht akzeptieren.

      »Ich schreibe nicht mehr. Das weißt du doch, Melissa. Für mich ist dieses Kapitel beendet.«

      Melissa runzelte die Stirn, während sie langsam die Geschenkverpackung mit Tesafilm fixierte. »Hm. Aber ist es nicht irgendwann an der Zeit, umzublättern und das nächste Kapitel zu beginnen?«, fragte sie und sah mich eindringlich an.

      »Melissa!« Mr. Beaver hatte seinen Kopf vom Bildschirm weg gedreht und sah seine Tochter mahnend an. Mehr als einen schemenhaften Umriss konnten ihm seine Augen nicht übermitteln, dennoch wirkte sein fixierender Blick täuschend echt.

      »Schon gut«, sagte ich in Richtung von Mr. Beaver.

      Dann wandte ich mich an Melissa und schob meine schwarz geränderte Brille über der Nase zurück. Eine Bewegung, die ich schon unzählige Male gemacht hatte. »Irgendwann ist man aber am letzten Kapitel angelangt. Danach ist das Buch zu Ende.« Meinem Gegenüber gefiel die Antwort überhaupt nicht. Melissa setzte einen gekonnten Schmollmund auf. Sie schaffte es so tatsächlich, dass ich mich schlecht fühlte, weil ich sie enttäuschen musste.

      »Das macht dann genau zwölf Dollar«, sagte sie kühl.

      Ich verzog ein wenig die Miene und bezahlte. Melissa sagte nichts. Vorbei war ihr strahlender Glanz. Sie wollte mir unmissverständlich deutlich machen, dass sie mich bestrafen wollte.

      »Also ich hoffe wirklich, dass es Peter gefällt«, sagte ich in der Hoffnung, die Wogen wieder etwas zu glätten.

      »Wenn nicht, kann er es gerne umtauschen«, erwiderte Melissa schnippisch.

      »Melissa, jetzt reicht es aber!«, sagte Mr. Beaver laut.

      Ich musste mir etwas einfallen lassen. Sie würde mich sonst wochenlang mit finsteren Blicken strafen, sollte ich es wagen, das Geschäft wieder zu betreten.

      Ich drehte mich gen Ladentür und tat einen Schritt. Melissa ließ mich nicht eine Sekunde aus den Augen. Dann hatte ich plötzlich eine Idee. Ich blieb stehen und drehte mich wieder zum Tresen. »Warum schreibst du eigentlich nicht?«

      Das hatte gesessen.

      »Äh, ich?«, stammelte sie, sichtlich aus der Fassung gebracht.

      »Hast du mir nicht einmal erzählt, du hättest es selber schon probiert?«

      Jetzt wurde Melissa langsam rot. Und ich konnte in ihren Augen sehen, dass sie zwischen Verärgerung darüber, dass ich sie aus dem Konzept gebracht hatte, und gewecktem Ehrgeiz, ein eigenes Buch zu schreiben, schwankte.

      »Ach, das ist doch schon lange her«, sagte sie unsicher.

      »War es nicht eine Vampir-Geschichte?« Jetzt wurden ihre haselnussbraunen Augen ganz groß. Ich hatte sie am Haken und musste innerlich lächeln, weil sie leichter zu beeinflussen war, als ich dachte.

      »Und hast du mir nicht gesagt, dass es dir richtig Spaß gemacht hätte?«, legte ich nach.

      »Ja, aber ich glaube nicht, dass es jemand lesen wollen würde.«

      »Aber darum geht es doch gar nicht«, warf ich ein.

      Daraufhin erntete ich nur einen irritierten Blick.

      »Es geht nicht darum, dass du schreibst, um die Erwartungen anderer zu erfüllen. Du schreibst, weil es dir Freude bereitet. Das Beste, was du tun konntest, war, eine Geschichte über ein Thema zu schreiben, das dir gefällt. Besser kann man an die Schriftstellerei nicht herangehen. Das ist ganz wichtig. Vielleicht gefällt sie auch anderen und, wer weiß, vielleicht kannst du deine Geschichte auch veröffentlichen. Und wenn nicht, dann schreibst du eine neue Geschichte und probierst etwas anderes aus.«

      In Melissas Gehirn arbeitete es angestrengt. Ich erkannte, dass ich bis zum Äußersten gehen musste: »Wenn du willst, lese ich deine Geschichte mal oder das, was du bereits fertig hast.« Ich hasste Geschichten über Herz-Schmerz-Vampire.

      Melissas Widerstand zerbarst just in dem Augenblick, in dem ich anbot, sie beim Schreiben zu unterstützen.

      »Das würden Sie tun?«, fragte sie. »Ich meine, es ist nicht besonders gut, und ich hab ja erst angefangen, und...«

      »Mach dir mal keinen Kopf. Wir können das ja ganz ruhig angehen«, beruhigte ich sie.

      Melissa überlegte. »Und sie lachen mich auch nicht aus, wenn sie es lesen?«

      »Glaubst du, ich würde dir anbieten, es zu lesen, um dich hinterher auszulachen?«, fragte ich mit betont gekränkter Stimme.

      »Nein«, sagte sie und senkte den Blick.

      »Also, dann haben wir eine Abmachung. Ok?«

      »Ok«, wiederholte sie und lächelte. Da war er wieder, der Glanz.

      »Wiedersehen Mr. Beaver!«

      Der alte Herr hob nur zum Abschied grüßend die Hand, ohne sich von seinem Bildschirm zu lösen. Das machte er öfter so.

      »Tschüss, Melissa!«

      »Gehen sie jetzt gleich zu Mr. Fryman?«, fragte Melissa noch schnell.

      »Nein, erst heute Abend. Vorher habe ich noch ein Date mit Mrs. Trelawney«, sagte ich augenzwinkernd, während ich durch die Tür nach draußen verschwand.

      3

      Eigentlich wollte ich an diesem Tag mit dem Auto zu Beaver’s Books fahren, auch wenn es nur fünfzehn Minuten Fußweg waren. Aber an einem so sonnigen Tag wie diesem wollte ich mir etwas Gutes tun, die frische Luft genießen und den Kreislauf etwas in Schwung bringen für meine bevorstehende Arbeit bei Mrs. Trelawney. In meinem Haus angekommen, zog ich mich rasch um und legte mir meine Gärtnerkluft, wie ich sie nannte, an.

      Bevor ich durch die rückwärtige Verandatür mein Heim verließ, ging ich an meinem Kalender vorbei, blieb stehen und ging noch mal zurück, um ihn mir genauer anzusehen. Der heutige Tag war der 14. September. Ich hatte ihn rot umkringelt, um Peters Geburtstag nicht zu vergessen. Dann schaute ich mir den einzigen zweiten Kringel an. Den 8. Oktober. Beim Betrachten dieses Datums bekam ich wieder dieses flaue Gefühl im Magen. Der Tag rückte immer näher und näher. Um es kurz zu machen: Ich hatte einen Mordsschiss vor diesem Tag.

      »Das wird schon irgendwie«, sagte ich zum Kalender und machte mich auf zu Mrs. Trelawney.

      4

      Der Garten meines Grundstücks und der von Mrs. Trelawney waren durch keinerlei künstliche Barriere getrennt. Nur ein paar Eiben und Rhododendron entlang einer gedachten Linie markierten ungefähr die Grundstücksgrenze. Ihr Haus war das letzte in der Kennington Street. Und es war eines der größten Grundstücke.

      Als ich unser Haus zusammen mit Michelle gekauft hatte, habe ich mich – wie es sich gehört - unserer Nachbarin artig vorgestellt und gefragt, ob sie wünsche, dass ich einen Zaun errichten solle. Ich erinnere mich noch genau, wie sie fast empört war und mir deutlich zu verstehen gab, dass sie sich durch einen Zaun eingesperrt fühlen würde.

      Den hinteren Teil ihres Grundstücks – zur Meeresseite hin - wollte sie verwildert lassen. Alles was der Wind hierher trug, durfte gedeihen. Hier gab es nur sehr wenig für mich zu tun. Dem vorderen zum Haus gelegenen Teil galt ihre