Heimat der Greifen. Lina Lintu. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Lina Lintu
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783752965315
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mit ihrer Oma je über dieses Thema gesprochen zu haben. Schlicht und einfach, weil es sie nicht interessiert hatte.

      Wäre das anders gewesen, wenn Nina damals schon gewusst hätte, dass sie all das erben würde? Vermutlich nicht, wie sie sich eingestehen musste.

      Die ersten Anzeichen für Interesse erwachten erst jetzt, wo sie die Greifen zum ersten Mal aus der Nähe gesehen hatte. Robins Begeisterung für diese Tiere hatte auch einen Teil dazu beigetragen, auch wenn sie sich scheinbar Mühe gab, Ninas Interesse gleich wieder zu dämpfen.

      Vielleicht war also auch eine gute Portion Trotz mit dabei, als Nina sich jetzt schwor, mehr zu diesem Thema herauszufinden. Sie wollte wissen, warum die weltberühmte Greifenzucht nicht mehr weltberühmt war. Und ob es vielleicht sogar einen Weg gab, das wieder zu ändern.

      Auf Robins Hilfe wollte sie dabei aber vorerst verzichten. Doch Irena konnte ihr bestimmt mehr erzählen. Immerhin war sie nicht nur Josephines Haushälterin gewesen, sondern auch eine langjährige Freundin.

      Beim Frühstück bot sich allerdings noch nicht die Gelegenheit für dieses Gespräch. Denn ausnahmsweise war Robin pünktlich – und völlig durchnässt.

      „Was ist passiert?“, fragte Irena, bevor Nina es tun musste. Sie hörten alle den Regen, der leise gegen das Fenster trommelte, aber der Weg vom Cottage bis zum Stall war nicht weit genug, um so nass zu werden.

      „Gewitter“, brummte Robin missmutig in ihre Teetasse.

      Irena nickte verständnisvoll, doch Nina hatte keine Ahnung, was sie mit dieser Antwort anfangen sollte. Zum Glück bemerkte Irena das noch vor Robin.

      „Shadow, einer der Greifen, hat Angst bei Gewitter“, erklärte sie.

      „Ja, und es hat natürlich genau dann gedonnert, als ich seine Box offen hatte. Zum Glück hatte ich ihn schon gegurtet, sonst wäre er jetzt wahrscheinlich auf halbem Weg nach Dublin.“

      Die Erklärung warf genauso viele Fragen auf, wie sie beantwortete. Und da Irena dieses Mal nicht zur Hilfe kam, musste Nina wohl oder übel selbst nachfragen.

      „Was heißt gegurtet?“

      Robins genervtes Schnauben hätte fast als Schniefen durchgehen können. Aber nur fast.

      „Greifen haben Flügel“, erklärte sie, als wäre Nina ein kleines Kind. „Damit sie nicht wegfliegen, wenn wir sie nach draußen ins Freigehege lassen, binden wir einen Gurt um einen oder beide Flügel. Und nur deshalb konnte ich Shadow wieder einfangen, nachdem er panisch nach draußen auf den Hof gelaufen ist.“

      Das klang logisch. Bisher hatte Nina angenommen, dass die Greifen so weit domestiziert waren, dass sie freiwillig an dem Ort blieben, der ihnen Futter und Schutz gewährte. Offenbar ein Irrtum.

      „Da hast du aber Glück gehabt“, sagte sie, um von ihrer Fehleinschätzung abzulenken.

      „Du kannst es Glück nennen. Oder gesunden Menschenverstand.“

      Der letzte Rest Mitleid, den Nina für Robin empfunden hat, löste sich in Ärger auf, der ähnlich heiß war, wie der Tee. Dennoch trank Nina ihre Tasse in einem Zug leer und stand auf. Sie hatte heute nicht den Nerv für solche Diskussionen.

      Sie wandte sich an Irena. „Ich muss zur Arbeit. Danke für das Frühstück.“

      Und schon ließ sie die Küche hinter sich.

      Es stimmte, sie hatte heute ihren ersten Probetag im Souvenirladen, doch es reichte, wenn sie erst in einer halben Stunde losfuhr. Diese dreißig Minuten wollte sie jedoch lieber in ihrem Zimmer verbringen als in Robins Gegenwart, die mal so freundlich sein konnte und dann wieder ätzend wie Farina aus ihrer alten Schulklasse.

      Wenn Greifen genauso unberechenbar und launisch waren wie Robin, dann zweifelte Nina schon ein wenig, ob es eine gute Idee war, sich näher mit ihnen befassen zu wollen. Aber ihr Trotz war stärker als ihre Zweifel.

      Im Endeffekt machte es keinen Unterschied, ob sie die verbleibende halbe Stunde in der Küche geblieben wäre oder nicht, denn die ganze Zeit, bis sie ins Auto stieg, kreisten ihre Gedanken um Robins unfreundliches Verhalten. Selbst auf der Fahrt ärgerte Nina sich immer noch und es wurde erst besser, als im Radio eines ihrer Lieblingslieder von der Band No Brine lief.

      Deshalb war ihre Stimmung dann immerhin akzeptabel, als sie am Souvenirladen ankam und Bob sie in die Abläufe einwies. Das meiste war selbsterklärend, doch er erzählte ihr auch einige Anekdoten über Ardara und manche Produkte, mit denen sie Kunden erheitern konnte.

      „Fröhliche Kunden geben mehr Geld aus“, sagte er.

      Einen Verkäufer, der sein Leben lang in Ardara gelebt hat, würde Nina so schnell nicht ersetzen können, doch sie konnte dank Deutsch und Schul-Französisch mit zwei Fremdsprachen punkten, die für den Kontakt mit Touristen von Vorteil sein konnten.

      Bob selbst konnte nur ein paar Brocken Deutsch, mit einem so starken Akzent, dass Nina gegen ihren Willen lachen musste. Dafür sprach er Irisch, was Nina umso beeindruckender fand.

      Nachdem sie eine Stunde lang zusammen „gearbeitet“ hatten, ließ Bob Nina mit dem Laden allein. In der Zeit waren nur zwei Kunden da gewesen und in den nächsten Stunden würde es laut Bobs Einschätzung auch nicht viel mehr werden. Ein guter Einstieg für einen Anfänger.

      Erst am frühen Nachmittag kam eine größere Gruppe in den Laden, zu Ninas Freude eine Reisegruppe aus Deutschland. Die Touristen freuten sich, sich nicht mit eingerostetem Englisch verständigen zu müssen und Nina machte mit ihrer freundlichen Art einiges an Umsatz. Etliche Postkarten und ein halbes Dutzend Regenschirme wanderten über die Ladentheke. Bei dem anhaltenden Regenwetter sicher nicht die schlechteste Investition.

      Wenigstens hatte sich das Gewitter vom Morgen verzogen. Umso besser, denn sonst hätte Nina in den langen Phasen ohne Kunden bei jedem Donner an Shadow und Robin denken müssen. Also noch häufiger als ohnehin schon.

      Am späten Nachmittag kehrte Bob zurück.

      „Und, wie hast du dich geschlagen?“

      „Ganz gut, glaube ich. Sind siebzehn Kunden zu dieser Zeit viel oder wenig?“

      „Siebzehn Kunden? Das ist mehr als ich letzte Woche hatte!“ Bob lachte. Er zählte das Geld in der Kasse, verglich es mit den Zahlen auf der Abrechnung und nickte dann wohlwollend.

      „Passt alles. Wenn du magst, kannst du morgen offiziell hier anfangen. Ich schließ dir den Laden in der Früh wieder auf und mach im Laufe des Tages einen Ersatzschlüssel für dich. Dann kannst du in Zukunft auch ohne meine Hilfe anfangen.“

      Nina bedankte sich und packte ihre Tasche. Die gute Laune hielt an, bis sie vor dem Cottage parkte und daran denken musste, dass sie gleich beim Abendessen wieder Robin begegnete. Genervt lehnte sie den Kopf gegen das Lenkrad.

      Wieso war ihr Robin nicht einfach egal? Wieso regte sie sich so über sie auf? Sie war doch sonst ein umgänglicher Mensch, der sich selten provozieren ließ. Aber so, wie Robin genau wusste, wie sie mit Greifen umzugehen hatte, fand sie offenbar auch bei Nina all die wunden Punkte.

      Es half nichts. Sie hatte sich dafür entschieden, in das Bailangryph Cottage zu ziehen und ihr war bewusst gewesen, dass es nicht immer einfach werden würde. Das würde sie schon noch überstehen.

      Sie löste ihre Stirn vom Lenkrad, straffte die Schultern und huschte die paar Meter vom Parkplatz zur Haustür, ohne allzu nass zu werden.

      Im Haus roch es schon wieder lecker nach Essen. Dieses Mal hatte Irena ein Kartoffelgratin vorbereitet und nicht mit dem Käse gespart, wenn Nina das durch die Scheibe des Ofens richtig erkennen konnte.

      „Wo ist Robin?“, fragte Nina; nicht zu laut, falls sie unerwartet in der Nähe war.

      „Wahrscheinlich im Stall, wo sonst? Ich habe ihr nicht nur einmal vorgeschlagen, ihr Bett dort aufzustellen, so viel Zeit wie sie da verbringt.“ Irena warf dem Gratin einen kurzen Blick zu, doch die geschlossene Käsedecke hatte wohl noch nicht den gewünschten Farbton. „Als sie noch jünger war, hat