Natürlich ist Korrektheit eine schöne Sache, aber sie ist nicht das Wesen der Kunst. Mit der größten Leichtigkeit könnte man jedem Rembrandt oder Frans Hals Verzeichnungen nachweisen; aber trotzdem ziehe ich die verzeichneten Rembrandts und Frans Hals den formvollendeten van Dycks oder von der Helsts vor.
Anthonis van Dyck
„Man kann zum Vorteil der Regeln viel sagen; dagegen wird aber auch alle Regel, man rede was man wolle, das wahre Gefühl von der Natur und den wahren Ausdruck zerstören.“ Das sagt Goethe, der „zielbewusste Klassiker“, und zwar zu einer Zeit, wo die Exzellenz die umstürzlerischen Tendenzen der Jugend längst abgelegt hatte.
Israëls wurde er selbst erst in einem Alter, in dem die meisten Maler bereits ihr Bestes geleistet haben, und wenn er das Unglück gehabt hätte, in seinem 40. Jahre zu sterben, wäre Holland um einen seiner besten Söhne ärmer. Bis zu seinem 40. Lebensjahre malte er – wie die anderen: Bilder aus der holländischen Geschichte, ja sogar einen Luther, die Bibel übersetzend. Erst in den sechziger Jahren des verflossenen Jahrhunderts hat er sich selbst gefunden; in Zandvoort, einem kleinen Stranddorf in der Nähe Haarlems, fing er an, das Leben der Fischer zu malen, zuerst mit etwas sentimentalem Beigeschmack: wie die Kinder ihren Vater vom Schiff heimbegleiten, die Frau sorgenvoll auf die stürmende See blickend; wie gesagt, noch etwas zu tränenreich. Aber von der Sentimentalität arbeitete er sich bald zum wahren Gefühl durch und schafft nun die Werke, die ihn zum großen Meister stempeln, Werke von einer Innigkeit der Empfindung, von einer monumentalen Größe, von einer Breitzügigkeit der Komposition, die man nur noch bei Millet findet; wie er denn der einzige ist von allen Malern des 19. Jahrhunderts, der dem großen Franzosen an die Seite gesetzt werden dürfte. Beiden gemeinsam ist ein gewisser sacerdotaler Zug, die Kunst ist ihnen Religion, daher der feierliche Ernst, der aus ihren Bildern spricht; weil sie aus Überzeugung gemalt sind, wirken sie überzeugend. Beiden gemeinsam die Schlichtheit und Einfachheit, das Höchste, aber auch das Schwerste in jeder Kunst; aber während Millet, der herbere, männlichere, mehr Gewicht auf die Zeichnung, wie der Bildhauer vor allem auf die Silhouette legt, ist Israëls, der zartere, weichere, mehr Maler. Sein Hauptgewicht legt er auf den malerischen Ton. Israëls' Palette ist nicht reich, aber er weiß die wenigen Farben aufs reichste zu nuancieren. Ohne Rembrandt auch nur im Mindesten etwa in den äußern Mitteln nachzuahmen, haben seine Bilder einen Gesamtton, der an seinen großen Landsmann erinnert. Wie Rembrandts sind auch Israëls' Bilder tief gestimmt, aber immer blond, weil jeder Ton in ihnen trotz seiner saftigen Tiefe von Reflex umgeben ist. Israëls bewahrt daher seine Bilder vor dem gräulichsten Fehler, den ein Bild in malerischer Beziehung haben kann, nämlich dass es schwarz erscheint.
Aber auch darin ähnelt er Rembrandt, dass er mehr Luminarist als Kolorist ist. Jede einzelne Lokalfarbe ordnet sich dem Gesamtton unter und ist in Licht und Schatten aufgelöst. Auch komponiert er nicht sowohl auf Farbe wie auf Licht; der Gang des Lichtes bestimmt die Komposition des Bildes, das Licht des Fensters, der helle Fleck der Haube muss gerade an der Stelle sitzen, wo er sitzt.
Die Bilder der Düsseldorfer oder Münchener Genremaler könnten, ohne Wesentliches einzubüßen, auch grau in grau gemalt sein; ja sogar reproduziert erscheinen sie koloristischer als im Original, weil die Reproduktion die Feinheit der Charakteristik wiedergibt, während die Mängel in der Farbe, die dem Original anhaften, verschwinden. Bei Israëls hingegen ist die Farbe ein integrierender Bestandteil der Bilder, er charakterisiert mit der Farbe; die Farbe ist ein ihm notwendiges Ausdrucksmittel, nicht eine mehr oder weniger überflüssige Zugabe; er geht von der malerischen Erscheinung aus.
Als gelegentlich der internationalen Ausstellung von 1896 Israëls als Juror nach Berlin kam, traf er Menzel vor seinem Bild „Der Kampf ums Dasein“, zwei Fischer, den Anker aus dem Meere ziehend. Nach den obligaten Komplimenten meinte Menzel, das Bild sei nicht gleichmäßig genug durchgeführt, Israëls hätte das den Hintergrund bildende Meer fleißiger durcharbeiten müssen, überhaupt sei das ganze Bild nicht „fertig“ genug.
Ich führe dies Geschichtchen, das mir Israëls selbst lachend erzählte, an, weil der Vorwurf, den Menzel darin unserem Meister macht, stets von der älteren Richtung der modernen gemacht wird: dass sie sich mit einer zu skizzenhaften Ausführung begnüge.
Schon Rembrandt schrieb, „dass Bilder nicht dazu gemalt wären, um berochen zu werden“. Auch dem Haarlemer Publikum schienen die Porträts von Frans Hals wohl zu skizzenhaft, sonst wäre der Meister nicht in bitterster Armut gestorben. Ich glaube, das Publikum sieht Kunstfertigkeit für Vollendung an, ohne zu ahnen, dass eleganter Vortrag und virtuose Mache nur untergeordnete Fingerfertigkeiten sind gegen die wahre künstlerische Durchbildung. Als ob der stupendeste Klaviervirtuose, der mit der glänzendsten Technik Tonleitern spielt, deshalb der größte Musiker wäre.
Es soll nicht etwa geleugnet werden, dass die Beherrschung der technischen Ausdrucksmittel für den Künstler von großem Wert ist, aber es versteht sich von selbst, dass jeder sein Handwerk ordentlich gelernt hat. Ein Kunstwerk ist vollendet, wenn der Maler das, was er hat ausdrücken wollen, ausgedrückt hat. Eine Zeichnung in wenigen Strichen und in wenigen Minuten hingeworfen, kann in sich ebenso vollendet sein, als ein Bild, woran der Maler jahrelang gearbeitet hat. Israëls arbeitet in seiner Weise seine Bilder gerade so durch wie Menzel, aber er erstrebt etwas anderes als jener. Es ist klar, dass die Malerei, welche den großen Eindruck der Natur wiedergeben will, das Detail der allgemeinen Erscheinung unterordnen muss, aber vollendet sie deswegen weniger? Ist ein Kopf von Velasquez weniger vollendet als einer von van Eyck? Im Gegenteil, Velasquez vollendet mehr, wenn er auch die tausend Fältchen der Haut, die Eyck mit wunderbarem Fleiß und hingebender Liebe malt, unterdrückt, denn er kommt dem Eindruck der Natur – und das ist doch die Aufgabe der Malerei – näher. Die moderne Malerei sucht nicht den Gegenstand wiederzugeben, sondern die Reflexe der Luft und des Lichtes auf die Gegenstände. Genau dasselbe, was die eigentlichen Maler unter den Alten auch gemacht haben.
Überhaupt ist es fast komisch, zu sehen, dass gerade die ältere Richtung gegen die Modernen stets die Alten ins Feld führt, ohne zu bemerken, dass die Modernen den Alten viel näher stehen als sie. Unter dem Firnis und der Patina der Jahrhunderte sehen sie nicht mehr das Wesen. Es ist kein Zufall, dass gerade die Kunstgelehrten, die von der alten Kunst herkommen, die Bode, Bayersdorfer, Tschudi, Seidlitz, Lichtwark und wie sie alle heißen, zu einer Zeit, als man für die moderne Richtung nur Spott und Hohn hatte, sich ihrer angenommen haben. Sie erkannten aus dem Studium der alten Kunst deren Verwandtschaft mit der neuen, dass die moderne Kunst dasselbe Ziel erstrebte, was eine jede Kunst erstreben muss; die individuelle Naturauffassung. Hierin sollen uns die alten Meister Vorbilder sein – nicht in ihren Äußerlichkeiten.
Es ist ein Unsinn, einen Bismarck malen zu wollen, der wie von Rembrandt oder Velasques gemalt aussieht.
Neben der zu skizzenhaften Ausführung wirft man Israëls und der modernen Richtung überhaupt mangelhafte Zeichnung vor. Weil Israëls das Hauptgewicht auf die Malerei legt, zeichnet er deshalb noch nicht schlecht. Gerade so wie ein schlecht gemaltes Bild deshalb noch nicht gut gezeichnet ist. Der Kontur macht nicht etwa die Zeichnung aus, und Velasquez zeichnet nicht etwa schlechter als Dürer und Holbein, weil er statt des Konturs, die den malerischen Eindruck zerstören würde, die Töne flächenartig aneinandersetzt. Gerade im Gegenteil; je vollendeter ein Bild gemalt ist, das heißt je näher es dem Eindruck der Natur kommt, desto besser muss es gezeichnet sein; sonst würde dieser Eindruck nicht hervorgerufen werden. Je näher die Hieroglyphe der Natur kommt – und alle bildende Kunst ist Hieroglyphe – desto besser muss sie gezeichnet sein.
Allein in der Welt . Jozef Israëls, 1881
Israëls liebt die Dämmerung, wenn die Konturen der Gegenstände ineinander verschwimmen; das Enveloppierte zieht er dem Bestimmten vor, das Träumerische der