Wenn je ein moderner Maler, so hat Degas in seinen Bildern Kunstwerke geschaffen, die schwellend im Raum und wandelbar in der Zeit sind.
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Jozef Israëls
Jozef Israëls
Verlag Bruno Cassirer, 1901
Wer zum ersten Male in seinem Leben auf die Jagd geht, hat immer Glück; wer aber auch nur einigermaßen gescheit ist, versucht es nicht zum zweiten Male.
Nach dem günstigen Erfolge, den die paar Seiten gefunden haben, die ich über Degas veröffentlicht hatte, – sind sie doch sogar ins Russische übersetzt! – hatte ich mir das Schreiben hoch und heilig verschworen. Siegreich hatte ich den Lockungen der Verleger widerstanden, und nur wer jemals Druckerschwärze geleckt hat, kann nachfühlen, wie schwer das ist.
Da traf sich‘s an einem schönen Septembernachmittag, eines Tages, als ich in Scheveningen mit Israëls nach dem Lunch Kaffee trinkend und Zigarren rauchend vor seinem Pavillon saß, dass die Unterhaltung – wie das nicht selten unter Kollegen – auf die Kritik fiel. Und plötzlich sagte der Meister: „Wie über Degas sollten Sie mal über mich schreiben.“ Und im Nu waren alle meine guten Vorsätze dahingeschwunden vor der freudigen Hoffnung, meiner Liebe und Verehrung für Israëls öffentlich Ausdruck geben zu dürfen. Schon am nächsten Tage fuhren wir nach den Haag und suchten im Atelier das nötige Material an Zeichnungen, Radierungen, Fotografien, das den Text begleiten sollte, zusammen.
Bis hierher ging alles ganz famos. Aber als ich mich nun an die Arbeit machte, sah ich ein, dass ich Israëls viel zu sehr liebe, um über ihn schreiben zu können. Denn man kann eigentlich nur über die Schwächen eines Künstlers schreiben: woher denn auch die meisten Kritiker ihren Helden zu „zerreißen“ pflegen (was, nebenbei bemerkt, viel amüsanter ist). Um aber einem großen Künstler wahrhaft gerecht zu werden, müsste man seine Kunst in Worte fassen können; man müsste mit Kunst schreiben. Nur ein lyrischer Dichter könnte Israëls ganz gerecht werden, denn Israëls Malerei ist ein Farbe gewordenes Gedicht; ein schlichtes Volkslied, kindlich, im biblischen Sinne einfältig; alles Gemüt, Empfindung und nochmals Gemüt.
Israëls sagte mir mal: „Außer Millet gibt es keinen Maler, der so wenig zeichnen und malen konnte wie ich, und dabei so gute Bilder gemacht hat.“
Mit anderen Worten: wie Millet, ist auch Israëls kein Talent, doch – ein Genie.
Beides fehlt, was mit Recht als das Kriterium des Talents angesehen wird: die behende Leichtigkeit, die Natur wiederzugeben. Statt den Gegenstand zu zeichnen, notiert ihn Israëls oft in sein Skizzenbuch er schreibt auf, wo sich ein Schrank, ein Stuhl oder eine Kuh befinden. Es ist sicherlich ein nicht zu unterschätzendes Zeichen von Talent, wenn einer einen Akt herunterstreichen kann, wie die Preisgekrönten, welche dutzendweise an den Wänden der Malschulen Paris oder Antwerpen hängen. Aber aus ihren Verfertigern wird schließlich im besten Fall ein Cabanel oder Bouguerau; meistens bleiben sie ihr Leben lang der „Ancien prix de Rome“. Selbst das mit größtem Talent gemalte Bild bleibt ohne den göttlichen Funken – gemalte Leinwand. Erst das sogenannte Genie flößt dem Bilde das Leben, die Seele ein: Die gemalte Leinwand wird zum lebendigen Kunstwerk.
Israëls steht heute in seinem 88. Lebensjahre; er ist in Holland, was bei uns Menzel war, und wie beim Erscheinen Menzels im Restaurant Frederich einer dem anderen zuflüsterte: „da kommt Menzel“, so zeigt ihn ein Badegast dem anderen, wenn der kleine alte Herr – er ist beinahe ebenso klein wie Menzel – am Strande von Scheveningen spazieren geht.
Als ich einmal vor Jahren in Delden, einem Städtchen unweit der deutschen Grenze, mit Israëls auf der Studienreise war, kam ein braver Bürger des Orts auf ihn zu, „ob er der große Meister wäre, den er in der Zeitschrift abgebildet gesehen hätte, er möchte ihm die Hand drücken und seinen Kindern erzählen, dass er mit Israëls gesprochen“.
In Deutschland dagegen ist Israëls Name, außer bei den Künstlern, wenig bekannt, und jeder Landsmann, der nach Holland kommt, meint ihn „entdeckt“ zu haben. Wer in Berlin aus der alten Gemälde-Sammlung in die National-Galerie oder in München aus der alten in die neue Pinakothek tritt, glaubt sich, sozusagen, in eine andere Welt versetzt. In Holland kann man nach den alten Bildern noch die modernen ansehen: es ist Fleisch von ihrem Fleische.
Die modernen Holländer haben von ihren Vorfahren eine gewisse malerische Kultur geerbt, die selbst unsern bedeutendsten Meistern, wie Menzel oder Böcklin, fehlt. Ein Genie kann es sich schon gestatten, barbarisch zu sein; aber die große Mehrzahl, die bekanntlich nicht aus Genies besteht, muss den Mangel durch Kultur zu ersetzen suchen.
Vor etwa dreißig Jahren traten die Holländer zum ersten Male geschlossen im Münchner Glaspalast auf und erregten bei den Künstlern – die in München das einzige Publikum bilden – ungeheures Aufsehen. Was uns frappierte, war die malerische Kultur. Ein jeder strebsame junge Mann pilgerte nach Holland, er brachte den Holzschuh und die weiße Haube und die lange Tonpfeife von dort mit; das holländische Fenster mit den kleinen Scheiben im Lot wurde Mode. Der Aufschwung, den die deutsche Malerei in den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts erlebte, beruhte nicht zum mindesten auf dem Einfluss der Holländer, und die Münchener Sezession quittierte nur dankend darüber, als sie Israëls zu ihrem Ehrenmitglied ernannte. Denn Israëls hat die moderne holländische Schule geschaffen: ob Bosboom Kirchen-Interieurs, Maris Stadtansichten, Mesdag Marinen, Mauve Kühe und Schafe malt, ein jeder verdankt ihm etwas, gerade wie jeder Maler heutzutage etwas von Manet hat.
Nicht einmal das Handwerk in der Kunst lässt sich beweisen; und nun gar, was darüber hinausgeht, das heißt wo die Kunst anfängt, gehört dem Gebiete der Ästhetik an. Und Anatole France hat ganz recht; „die Ästhetik hat keinen festen Untergrund; sie ist ein Luftschloss“. Selbst die sogenannten allseitig anerkannten Kunstwerke – der einzige Rettungsanker auf dem wogenden Meer der Ästhetik – erweisen sich bei näherer Betrachtung als höchst schwankend. Die Renaissance zog Virgil dem Homer vor, Friedrich der Große war einig mit seinem ganzen Zeitalter, wenn er Voltaire höher schätzte als Shakespeare; Frans Hals' Doelenstücke, Haarlems heutiger Ruhm und Stolz, lagen bis Mitte des 19. Jahrhunderts aufgerollt auf dem Bodenraum des Rathauses.
Frans Hals
Rembrandt, dessen Ruhm heut selbst den Raffaels überstrahlt, wurde im 18. Jahrhundert den damaligen Modemalern nachgesetzt. Und nun gar bei den Modernen und in heutiger Zeit, wo jeder wie am politischen Leben so am künstlerischen teilzunehmen sich für berechtigt hält; wo in den Kunstanschauungen nichts beständig ist als der Wechsel; wo eine Richtung, eben erst als die alleinseligmachende ausposaunt, morgen schon zum alten Eisen geworfen wird!
Man sollte überhaupt nicht so viel von „Richtungen“ sprechen, als ob die Richtungen den Künstler machen und nicht umgekehrt. Der alte Schadow pflegte seinen Schülern, die ihre schlechte Arbeit mit dem schlechten Zeichenmaterial zu entschuldigen suchten, zu antworten; „Mein Sohn, der Bleistift ist nicht dumm“. Die Richtung ist nur das äußere Gewand eines Künstlers, steckt ein Kerl dahinter, so ist die Richtung gut; auch in der Kunst macht der Rock nicht den Mann.
Was Fromentin von Rembrandt sagt: „Il a bien peint parce qu'il a bien senti“ passt auf keinen lebenden Meister besser als auf Israëls: Er malt gut, weil er gut empfindet. Und wie Rembrandt, empfindet er mit den Figuren, die er malt; er betrachtet die Welt nicht mit Lächeln oder spöttisch, oder von oben herab, sondern mitleidsvoll. Daher das an Rembrandt gemahnende Pathos, das den Beschauer erbeben lässt, obgleich sich nur die alltäglichen Vorgänge im Bilde abspielen. Wie sein großer Landsmann weiß er sich des Alltäglichen zu bedienen, um das Erhabene auszudrücken. Jeder Schulmeister freilich könnte ihm sämtliche Fehler in jedem