„Natürlich kann ich das belegen.“ Herr von Kellberg ging aus dem Zimmer und kam nach wenigen Minuten wieder zurück. „Hier ist mein Flugticket und die Hotelreservierung. Ich hoffe, damit können Sie mich aus dem Kreis der Verdächtigen ausschließen.“ Er war spürbar verärgert.
„Ich war zuhause,“ sagte Frau von Kellberg leise. „Ich hatte, da mein Mann und mein Sohn nicht zuhause waren, eine Freundin eingeladen. Ich schreibe Ihnen die Adresse auf, damit Sie meine Angaben überprüfen können.“ Sie stand auf und ging zu dem alten Sekretär, der am Fenster stand. Sie notierte mit feiner Handschrift auf sehr teurem Papier die Adresse ihrer Freundin. „Bitte,“ sagte sie, als sie Leo das Papier mit zitternder Hand übergab und sich wieder setzte. Herr von Kellberg nahm keine Notiz von ihrem Zustand und hatte beleidigt die Arme vor der Brust verschränkt. Leo war eigentlich versucht, diese Frau in den Arm zu nehmen und sie zu trösten. Äußerlich war sie zwar bemüht, sich nicht anmerken zu lassen, was in ihr vorging. Aber Leo spürte, wie sehr sie litt. Und dieser Trottel von Ehemann ignorierte das.
„Führte Ihr Sohn ein Tagebuch, oder hatte er einen Terminkalender?“
„Nein, meines Wissens nach nicht, mein Sohn war sehr schreibfaul. Alles, was er sich merken musste, tippte er in sein modernes Handy, das er auf Schritt und Tritt überall mitnahm. Sie wissen schon, so eins, das man mit den Fingern auf dem Bildschirm bedient.“
„Das Handy hatte er auch in Sylt dabei?“
„Auf jeden Fall, ohne sein Handy ging er nirgends hin.“
Anna war davon überzeugt, dass Maximilian, wie alle jungen Leute heute, ein Smartphone besaß. Die Handynummer des Toten hatten sie bereits, die Ortung lief damals ins Leere.
„Wir würden uns später gerne das Zimmer von Maximilian ansehen. Natürlich nur, wenn Sie nichts dagegen haben,“ durchbrach Leo die eingetretene Stille.
„Muss denn das sein?“, fragte Johannes von Kellberg ungeduldig mit schroffem Ton.
„Natürlich muss das sein,“ sprach seine Frau beruhigend auf ihn ein. „Die Polizisten machen nur ihre Arbeit, Johannes, versteh das bitte.“
Herr von Kellberg setzte sich mit einem Seufzer neben seine Frau.
„Wofür soll das gut sein?“, schrie von Kellberg Leo an. „Sie haben gesehen, dass wir unseren Sohn nicht umgebracht haben können. Machen Sie sich auf die Suche nach dem Mörder und vergeuden Sie nicht ihre Zeit. Was gedenken Sie denn, in Maximilians Zimmer zu finden? Die Adresse des Mörders? Oder gar die Lösung des Falles?“
Johannes von Kellberg war sichtlich genervt und aufgebracht. Leo schob das zwar auf das eben gehörte und daraufhin, dass er schlecht mit der Nachricht umgehen konnte. Aber insgeheim musste er sich eingestehen, dass er diesen von Kellberg nicht leiden konnte. Frau von Kellberg sprach trotz ihres eigenen Gemütszustandes beruhigend auf ihren Mann ein und nach einigen Minuten konnte man sich wieder einigermaßen normal mit ihm unterhalten. Sie erzählten beide aus dem Leben ihres Sohnes und von dessen Freundeskreis. Anna machte sich eifrig Notizen. Die Befragung hatte nichts Neues ergeben: Maximilian von Kellberg war mit drei Studienkollegen am 10. Juni nach Sylt in Urlaub geflogen und seit der Party am 14. Juni wurde er vermisst. Anna notierte sich die Adresse des Hotels auf Sylt und machte sich mit Leo und dem Hausdiener Willi auf den Weg in Maximilians Zimmer.
Leo und Anna sahen sich erstaunt an, als sie das Zimmer betraten. Das war kein Zimmer, sondern ein Palast. Maximilian war das einzige Kind der von Kellbergs und somit genoss er allein den ganzen Luxus seiner Eltern. Maximilian bewohnte insgesamt sechs Zimmer. Er hatte ein eigenes Badezimmer und ein Gästebadezimmer, das allein schon größer war als Leos gesamte Wohnung. Die Zimmer waren nicht nur sehr groß, sondern auch sehr hoch, was sie noch größer erscheinen ließ. Systematisch durchsuchten sie die geschmackvoll eingerichteten, ordentlichen und sehr sauberen Zimmer. Der Hausdiener Willi stand die ganze Zeit an der Tür und ließ die beiden nicht eine Sekunde aus den Augen.
„Was können Sie mir über Maximilian sagen?“, wandte sich Leo an den Hausdiener, während er weiter Schubläden und Schränke durchsuchte.
„Wie meinen Sie das?“
„Was war er für ein Mensch? Wie lange kannten Sie ihn? Erzählen Sie einfach drauflos, damit wir uns ein Bild machen können, das würde uns sehr helfen.“
„Ich arbeite in diesem Hause schon sehr lange, lange vor der Hochzeit von Frau von Kellberg. Maximilian kenne ich seit seiner Geburt. Er war ein toller Kerl. Er war zu allen immer freundlich und war stets zu Späßen aufgelegt, denen auch ich zum Opfer fiel. Dass er jetzt nicht mehr hier ist, bricht Frau von Kellberg das Herz.“ Willi hatte Tränen in den Augen. Es war klar, dass er Maximilian gemocht hatte und dass auch er sehr unter dem Verlust litt.
„Und was ist mit Herrn von Kellberg?“, bohrte Leo nach.
„Ich bin bei Frau von Kellberg angestellt. Mehr sage ich dazu nicht.“
Anna steckte einige persönliche Unterlagen von Maximilian ein und musste Willi versprechen, alles wieder zurückzubringen. Gemeinsam gingen sie in den Salon zurück, wo Steinberger mit den Eheleuten von Kellberg warteten. Es herrschte beklemmendes Schweigen.
„Wir sind soweit fertig und möchten uns verabschieden.“
Alle standen auf und Frau von Kellberg sagte zu Leo:
„Wenn Sie irgendwelche Fragen haben, melden Sie sich bitte. Scheuen Sie sich nicht, sich an uns zu wenden, egal um was es geht und um welche Uhrzeit es sich handelt. Mein Sohn war ein sehr liebenswerter Mensch, der zu allen freundlich und überaus hilfsbereit war. Trotz seiner Herkunft war er niemals überheblich oder arrogant. Ich möchte unbedingt wissen, wer das meinem Jungen angetan hat und vor allem, warum ihm das angetan wurde. Hier ist meine Karte. Auf die Rückseite habe ich Ihnen meine Handynummer notiert.“
„Vielen Dank, Frau von Kellberg, ich werde bestimmt darauf zurückkommen.“
Er nahm die Karte. Demonstrativ verschränkte Johannes von Kellberg die Arme vor der Brust. Von ihm würde Leo keine Karte mit persönlichen Daten bekommen.
Leo fand Frau von Kellberg sehr sympathisch, das gleiche galt auch für den Hausdiener Willi. Johannes von Kellberg hingegen konnte er nicht leiden. Auch seinen Passauer Kollegen Albert Steinberger mochte er nicht besonders. Er wusste nicht genau warum. Vielleicht waren es die kleinen, stechenden Augen oder einfach nur die Tatsache, dass dieser Steinberger nach Achselschweiß stank und dazu auch noch einen ekelhaften Mundgeruch hatte.
Schweigend fuhren die drei wieder zurück ins Polizeipräsidium Passau. Eigentlich wollte Leo Steinberger darauf ansprechen, warum er die Eheleute von Kellberg entgegen ihrer Absprache bereits über den Tod des Sohnes unterrichtet hatte, aber er entschied sich dagegen. Zu sehr beschäftigte ihn das Gespräch mit den von Kellbergs. Auch Anna war sauer auf Steinberger und konnte ihn genauso wenig leiden wie Leo. Sie hatte den Passauer Kollegen beobachtet, während Leo mit den Eltern des Toten sprach. Steinberger schien nicht so betroffen zu sein, wie er vorgab. Was spielte der Typ für ein Spiel? Sie beschloss, ihn im Auge zu behalten.
Als Nächstes mussten sich Leo und Anna mit den drei Studienkollegen unterhalten, die sich auf Albert Steinbergers Initiative hin um 16.00 Uhr in dessen Büro trafen. Sie hatten sich darauf verständigt, die drei gemeinsam zu vernehmen. Leo und Anna hätten gerne auf Steinbergers Anwesenheit verzichtet, aber der wollte unbedingt bei der Befragung dabei sein.
„Gut. Wir werden die drei lediglich über Maximilians Tod informieren, mit Einzelheiten halten wir uns vorerst noch zurück. Können wir uns darauf einigen?“ Leo sah vor allem Steinberger an, der keine Einwände hatte. „Ich möchte Sie bitten, dass Sie sich diesmal an die Absprache halten,“ fügten Leo hinzu. Steinberger war sauer. Was fiel diesem Schwaben eigentlich ein, so mit ihm zu sprechen?
Es war 16.00 Uhr und die Freunde waren anwesend. Sie saßen gemeinsam in Steinbergers Büro und Leo informierte sie über Maximilians Tod. Anna hielt sich im Hintergrund, um die drei aufmerksam zu beobachten. Maximilians