Franz und das Schwarz. Marius Rehwalt. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Marius Rehwalt
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754101452
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hat sehr viel Macht. Er ist ein Tier. Er ist besessen von Trauer und Gier nach Selbstmitleid«, sprach das Gewissen ernüchternd.

      »Er war es all die Zeit, der mich so kriechen ließ ganz tief unter der Erde.«

      »Das hast du gut erkannt. Doch du hast nun einen Namen. Mit einem Namen lässt sich besser kämpfen. Und du musst kämpfen, bis er nur noch eine Träne in einem weggeworfenen Taschentuch ist.«

      »Sag mir, Mütterchen: Bin ich ein schlechter Mensch?«

      Wieder tätschelte sie ihn am Kopf. »Ach wo! Wer sagt denn sowas? Du hast es nicht gewusst. Das hast du nie. Hast auch die Schleusen nicht mit Wissen oder Macht geöffnet. Es ist einfach nur passiert, hast ihn einfach gewähren lassen. Dazu kommt der größte Feind, die Unzufriedenheit. Sie erst hat den Schwarzen Mann verführt, nach mehr Macht sich auszustrecken. Es ist ein Zusammenspiel von so vielen Dingen, Erlebnissen und Gefühlen. Es ist schwer durchzublicken, wie genau alles entstand. Aber ich habe dich die Jahre über gesehen. Du hast dich lange sehr gewehrt. Ich bin sehr stolz auf dich. Hast Großes auch erreicht. Doch diese Pest, dieser Krebs, er war zu machtvoll.«

      »Und? Ist es jetzt zu spät?«

      »Für manche, ja, wie ich schon sagte. Viele hatten nicht die Kraft. Sie sind auf halbem Wege wohl verloren gegangen. Aber für dich? Niemals. Hör nur hin, sei ganz still!«

      Und so lauschte Franz in die Stille und tatsächlich: Ganz leise hörte er einen feinen, glockenartigen Singsang. Er hörte ihn nicht mit seinen Ohren. Er hörte ihn mit all seinen Sinnen und besonders mit seinem Herzen. Aber er schien unendlich weit weg zu sein. Gar nicht auf diesem Planeten, so kam es Franz vor.

      »Was ist das? Es ist schön.«

      »Das ist dein Funken.«

      »Mein Funken?«

      »Ja, dein Leben. Deine Liebe, deine Freude. Dein ganz eigenes Glück.«

      »Es ist noch nicht erloschen?«

      »Es kann niemals ganz erlöschen, nur mit dem Tode. Es kann nur verschlossen werden, aber den Schlüssel kann man finden und dann wird es frei sein.«

      »Und wo finde ich den Schlüssel?«

      »Oh, das kann ich dir nicht sagen. Es wird auch nicht nur einer sein, denn dann wäre es ganz einfach. Einen habe ich hier.« Sie zog an einer Kette, die sie um den Hals trug und an der ein kleiner, feiner Schlüssel hing. Sie löste ihn von der Kette und gab ihn Franz.

      »Meinen hast du. Heb ihn gut auf! Aber wie viele du noch brauchen wirst, das kann auch ich dir nicht sagen. Du musst deinem Weg folgen, weiterziehen. Und auf der Reise wirst du schon merken, wo du wieder einen Schlüssel erhältst. Der Weg formt sich für dich. Das wirst du spüren. Verlasse ihn nicht und versuche zu lernen und zu handeln! Helfe dem einen oder anderen, bezwinge vielleicht auch manchen auf deinem Weg, und wenn du ankommst beim Schwarzen Mann, befreie deinen Funken aus seiner Hand! Aus seinem Würgegriff. Erlöse ihn aus dem Verlies.«

      Franz schluckte schwer.

      »Der Schwarze Mann hat meinen Funken?«

      »Ja, aber hab keine Angst! Du wirst genug Verstand und Mut auf deinem Weg lernen, um ihn zu besiegen und zu bezwingen.«

      »Ich muss darüber reflektieren, Mütterchen. Aber ich denke, mir bleibt keine Wahl. Ich möchte, dass es wieder geordnet in mir ist. Möchte, dass Harmonie in mir sich birgt.«

      »Oh, Harmonie? Die hast du, kleiner Znarf. Manchmal auch zu viel.«

      »Kann man denn zu viel Harmonie haben?«

      »Nein. Da hast du recht. Das kann man nicht.«

      Beide mussten schmunzeln.

      Das Mütterchen fügte noch hinzu: »Aber andere meinen, man könne zu viel an Harmonie besitzen. Das wirst du noch verstehen.«

      Franz nickte.

      »Aber warum sagt ihr alle Znarf zu mir? Dass es mein Name rückwärts ist, das habe ich verstanden. Aber warum?«

      »Nun, was denkst du? Nach dem, was du nun weißt?«

      Franz schloss seine Augen, um in sich hineinzuhorchen.

      Nach einigen Minuten schlussfolgerte er: »Ihr seid ich. Und ich bin ihr. Das ist meine Welt. Von innen, meine Spiegelwelt? Ihr alle seid meine Gedanken und Gefühle, also meine Spiegelbilder. Darum redet ihr mich so an.«

       Das Mütterchen schloss zufrieden seine Augen und wippte lächelnd mit dem Köpfchen auf und ab.

      »Du bist ein kluger Junge. Viel mehr brauche ich nicht zu sagen. Es ist aber auch eine Art Anderswelt. Das, wo du herkommst, würden die meisten als die Gutwelt bezeichnen. Und dass du hier bist, wird dort, in der sogenannten besseren, der angeblich richtigen Welt, nicht jedem gefallen.« Sie strahlte innere Zuversicht aus und fuhr fort: »Aber du wirst es schon schaffen und den Schwarzen Mann besiegen. Es ist schön, dich hier zu haben.«

      Iocus surrte zu den beiden, er hatte ein kleines Nickerchen gemacht.

      »Seht!«, piepste er. »Es wird hell. Wir müssen weiter.«

      Das Mütterchen stand auf und begleitete die beiden zur Tür. Sie verabschiedeten sich mit einer kleinen Umarmung und dann stieg Franz die Veranda hinab und blickte sich noch einmal um.

      Er war verwundert. Das Haus war so winzig, der Raum aber so groß gewesen.

      Doch er konnte nicht weiter darüber nachdenken, Iocus zog wieder an ihm. Sie schritten um das Häuschen und gingen weiter in den Wald. Mit Freude stellte Franz fest, dass er nicht mehr rückwärtsgehen musste.

      Der Pythagoräer

      Sie liefen einige Stunden im Morgengrauen durch den Finsterwald. Hier und da huschten schwarze Schatten mit leuchtenden Augen an ihnen vorbei.

      Je näher eines dieser Wesen an Franz herankam, umso kälter wurde ihm. Doch allmählich schien er sich daran zu gewöhnen. Sie unternahmen nichts, rannten einfach nur umher und gaben verstörende Geräusche von sich. Entweder war es ihnen schon zu hell oder Franz musste irgendetwas an sich haben, das sie davon abhielt, ihm irgendetwas anzutun, schlussfolgerte er. Doch dann zuckten die Bäume und begannen zu kriseln. Als ob Franz durch eine Filmwelt schreiten und die Filmrolle verenden würde. Alles wurde schwarz und es dröhnte ein helles Pfeifen in seinen Ohren.

      Im nächsten Moment kamen Franz und Iocus an einen Ort, der noch suspekter schien. Sie befanden sich inmitten eines unendlich weitläufigen Raumes. Nicht weit von ihnen sahen sie ein Zimmer, das der Länge nach aufgeschnitten war. Darin befand sich eine große Tafel, wie man sie aus jeder Schule kennt. Eine riesige Seifenblase umschloss den Raum.

      Bunte Dreiecke und diverse andere geometrische Formen und Körper flogen durch die Luft. Große, kleine. Mal nur zweidimensional, manchmal auch dreidimensional. Stellenweise waren sie mit Nummern oder Formeln versehen. Der Boden war in einer Sprache beschrieben, die Franz nicht verstehen konnte.

      Vor der Tafel bemerkte er einen kleinen Mann, der an seinem vollgestellten Schreibtisch lehnte. Fast noch ein Junge. Er hatte ihnen den Rücken zugewandt und rieb sich den Hinterkopf.

      Langsam gingen die beiden auf den Raum zu. Vor der Seifenblase stoppte Franz und berührte sie kurz mit seiner Hand. Sie hatte eine eigenartige Konsistenz. Nicht fest, aber auch nicht flüssig. Es war aber auch nicht wabbelig wie Pudding. Kalt, doch dahinter wurde es warm.

      Franz gab sich einen Ruck, schloss seine Augen und sprang hindurch.

      Als er seine Augen wieder öffnete, hatte sich alles wieder vollständig verändert. Die Tafel schien in beide Richtungen kein Ende zu nehmen. Und auch nach oben hin reichte sie bis in die Wolken. Überall war sie mit winzigen Zahlen und Formeln beschrieben. Leitern in den unterschiedlichsten Größen hatte man an sie gelehnt. Der Mann rieb sich weiter seinen Kopf und – ja, wirklich – es kamen kleine Rauchwölkchen aus seinen Ohren. Franz ging um den Schreibtisch herum und sah sich den Mann an.

      Er war recht dünn, hatte wild zerzauste