Franz und das Schwarz. Marius Rehwalt. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Marius Rehwalt
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754101452
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Almadeamor

      Als Franz sein Bewusstsein zurückerhielt, umschloss ihn eine sommerliche Behaglichkeit. Wohltuende Wärme durchströmte ihn aus seiner innersten Tiefe heraus, benetzte sein Herz und seine Haut und entspannte sanft seine Glieder.

      Verschwommen blickte er sich um, konnte jedoch so gut wie nichts erkennen. Er rieb sich die Augen. Alles wirkte doppelt. Die Umrisse pulsierten, waren mal nah und dann wieder fern. Alles drehte sich und stand auf dem Kopf, ehe es sich wieder entfernte. Auch sein Empfinden, ob er lag oder saß, schien ihn zu trügen. Als würde er auf dem Kopf stehen, tastete er um sich und spürte, dass er in eine riesige aufgeplusterte Decke gehüllt war.

      Allmählich sah er erste schärfere Konturen und nach und nach erkannte er, dass er sich in einem großen Raum befand. Das Bett stand in der Mitte des Zimmers und er lag mit dem Rücken zu einer Eingangstür. Vor ihm zeigte sich ein kleiner Kamin mit einer Kochstelle. Rechts daneben hockte eine alte Dame auf einem antiken Hocker. Der Rest des Raumes quoll über von Bücherregalen, deren Inhalt wohl geordnet schien. Überall sah man Kärtchen mit Buchstaben und Verweisen.

      »Miss Alma! Miss Almadeamor! Er ist munter.« Iocus setzte sich vor Franz auf die Decke und schaute ihn höhnisch an.

      »Wo bin ich?«

      Die Dame streckte sich und stand mit quietschenden und knarrenden Gelenken auf. Sie ergriff ihren kleinen Stock, der wie eine geschwungene Wurzel aussah, aber am oberen Ende den Kopf eines Franz unbekannten Tieres hatte. Es besaß scharfe Augen und spitze Zähne.

      Dann drehte sie sich um und schaute ihn liebevoll an. Ihre Augen beanspruchten die Hälfte ihres Gesichtes. Darunter war eine winzige Brille auf einer noch winzigeren Nase. Der Mund schien nur ein kleiner Strich, kaum wahrzunehmen zwischen den vielen Falten. Ein dennoch breites Lächeln setzte sie auf, als sie sagte: »Oh! Das ist gut. Nur gut.«

      Sie wackelte mit kleinen Schritten zu einem Regal, zog ein Buch heraus, dann ein weiteres und noch ein drittes; schlurfte zum Kamin, gab einen Pfiff von sich und von der Decke fielen zwei Tassen. Sie nahm das erste Buch und goss daraus eine teeartige Flüssigkeit in die Tassen. Dann packte sie das zweite und dritte Buch und wiederholte die Prozedur. Franz konnte nicht erkennen, was es war. Als sie fertig war, kam sie zu ihm, gab ihm eine Tasse und setzte sich wieder auf den kleinen Hocker.

      »Trink nur fein! Trink, trink!«

      Iocus schwirrte an den Buchreihen vorbei. Hin und her, hoch und runter, brabbelte vor sich hin und kam dann wieder zurück. Franz war geistig noch nicht anwesend. Er war weg. Sehr weit weg. Doch konnte er den Ort, an dem er sich gerade befand, nicht genau definieren. Als wäre er aus mehreren Stockwerken direkt in seinen Körper gefallen und sein innerer, geistiger Körper bei seiner Rückkehr ins Hier und Jetzt auf seinen fleischlichen geprallt.

      Iocus stupste ihn und animierte ihn zum Trinken.

       Er nahm einen Schluck von seinem Tee und verzog das Gesicht zu einer Grimasse. Bitter und sauer schmeckte das Getränk der alten Dame. Doch als er es hinunterschluckte, wurde es süß und warm. Er trank die ganze Tasse in einem Zuge aus und schien plötzlich voll bei Sinnen.

      Unvermittelt stand er auf und ging ein wenig umher. Irgendwie fühlte er sich für den Bruchteil eines Momentes fast schon gut. Es war ungewohnt für ihn. Er verscheuchte das positive Gefühl und kehrte wieder zur inneren Unruhe zurück, die ihn schon so lange umtrieb. Franz setzte sich auf die Bettkante und schaute das Mütterchen an.

      »Na, Znarf? Tat dir der Tee gut?«

      »Oh ja! Es war fast schon beängstigend, liebes Mütterchen. Etwas, dass ich lange nicht mehr verspürt habe. Eine Freiheit von schlechten Gedanken. Wie eine Freundlichkeit zu mir selbst.«

      »Ich kann mir gut vorstellen, dass das sehr ungewohnt und fremdartig für dich war. Darum habe ich dir auch einen nicht so starken Tee gemacht. Das hättest du noch nicht vertragen. Zu lange schon trägst du deine Last.«

      »Er war sehr lecker. Vielen Dank.«

      »Nun, nichts zu danken, kleiner Znarf!«

      »Warum sagt ihr alle Znarf zu mir? Das verstehe ich am wenigsten bisher. Und was waren das für grässliche Geräusche, bevor ich hier in dein Haus eintrat?«

      Das Mütterchen erhob sich, nahm den kleinen Hocker und kam näher an ihn heran. Dann setzte sie sich wieder und stöhnte kurz auf.

      »Ach! So viele Fragen. So viele Fragen. Nun, wo fange ich am besten an? Iocus, was sagst du?«

      »Eh, am besten am Ende, Miss Almadeamor, hihi, hihi.«

      »Du bist albern. Wird Zeit, dass du wieder der Alte wirst.« Sie schüttelte den Kopf und dachte einige Momente nach, ehe sie begann: »Wie geht es dir, lieber Znarf?«

      »Gerade eigentlich recht gut. Ich spüre eine angenehme Wärme in mir. Nicht ganz so vertieft in meiner Unruhe wie sonst.«

      »Nein, nein. Nicht jetzt. Gerade bist du sicher. Kein Problem kann dich hier erreichen. Mein Haus ist ein Schutz. Eine Barriere, die auch der Schwarze Mann nicht zu durchbrechen vermag. Nur waren meine Freiheiten früher weitaus größer. Und nicht nur das: Eigentlich gab es überhaupt keine Grenzen für mich. Und es gab ein reibungsloses Leben zwischen dir und mir. Zwischen allen Bewohnern deines Geistes. Dann aber kam der Schwarze Mann. Und er empfand vieles als schlecht. Als erdrückend und nicht lebensnützlich. Da du ihn hast gewähren lassen, nahm er Stück für Stück alles, was er konnte.«

      »Das ist viele Jahre her, habe ich recht?«, fragte Franz traurig.

      »Oh ja. Deine Bewohner leiden. Viele sind nicht mehr da. Viele sind gestorben. Sind vom Schwarzen Mann und seinen Schergen vernichtet worden. Manche nur vertrieben, so wie ich. Manche wurden in ihrer Art und ihrem Denken manipuliert, so wie der kleine Argwohn.«

      »Wer bist du? Was hat der Schwarze Mann gegen so ein liebes, kleines Mütterchen?«

      »Ich bin dein Gewissen. Versuche dir zu helfen, dich zu schützen. Habe dem Schwarzen Mann eine Einschränkung gesetzt. Hinten im Jammertal. Da hatte er einen kleinen Tümpel. Den Tümpel der Trauer. Aber die Hindernisse hielten nicht. Du hast sie geöffnet und so hat er sich nach und nach ausgebreitet. Mich hat er als Erstes bedroht. Wenn die Dunkelheit sich einschleicht jede Nacht, kann ich nicht raus. Würde ich auch nur die Hand nach draußen stecken, würde es mich von innen zerfressen.«

      »Was ist so schlimm an dir? Ich verstehe es nicht.«

      »Vielleicht war ich zu streng? Obwohl, nein. Das glaub ich nicht. Er wollte einfach volle Macht. Und nicht mehr eingepfercht in einem dreckigen Tümpel leben. Er möchte dich regieren. Deine Trauer ist sein Leben.«

      »Was kann ich dagegen tun?«

      »Oh, das ist nicht leicht. Aber du bist hier. Das ist gut. Der erste Schritt wird sein, dass du es glaubst.«

      »Was soll ich glauben?«

      »Dass er da ist. Dass er real ist, tief in dir. In deinem Sein. In allem, was du bist.«

      »Der Schwarze Mann?«

      »Ja, genau der.«

      Franz sah sich um und ging zum Fenster. Als er sich direkt davorstellte, wich er zurück. Grüne, gelbe und scharfe rote Augen sahen ihn an. Ohne Körper. Alles andere war pure Nacht.

      »Keine Angst. Die Schergen kommen hier nicht rein. Die Moral hält weiter stand.«

      Er ging rückwärts zum Mütterchen und drehte sich erst bei ihr wieder um.

      »Warum muss ich glauben, dass er ist?«

      »Weil er dich sonst ganz bekommt. Sonst hast du keine Angst. Siehst keinen Sinn darin, ihn zu bekämpfen.«

      Franz sank auf den Boden und igelte sich ein. Er fing bitterlich an zu weinen und wippte leicht hin und her. Er weinte leise. Doch jede Träne schnitt eine tiefe Wunde in sein Herz. Es war, als wäre es schon seit vielen Jahren vertrocknet. Als liefen die Tränen mit ihrem Salz in all die Risse und brannten wie Feuer darin. Er weinte lange. Und erst, als er nicht mehr konnte, weil seine Augen schmerzten,