Franz und das Schwarz. Marius Rehwalt. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Marius Rehwalt
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754101452
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hier zu befeuern schien. Nach einigen Remplern und Stößen in seinen Bauch erreichte er das Innere des Kreises.

      Ein alter, kleiner Mann zog einen Karren, der aussah wie ein kleines Haus. Viel zu klein, als dass irgendwer drin hätte wohnen können. Doch ihm schien es zu gefallen. Franz sah, wie sehr er an diesem Wagen hing und wie schwer es für ihn war, ihn zu bewegen.

      Franz trat aus der Masse in die Mitte. Abrupt herrschte Stille und die Menge stoppte. Auch der alte Mann hielt inne. Jeder einzelne Blick der Leute brannte sich in Franz’ Seele und schmerzte ihn im Herzen. Er wollte weg. Eine tiefe Beklemmung machte sich breit. Doch es wurde noch schlimmer, als der Erste auf ihn zeigte. Dann der Nächste und bald schon alle.

      Alsbald schrie einer: »Was willst du denn hier?« Eine ekelhafte Stimme. Bei jedem Wort hörte man es schmatzen, als ob derjenige gerade noch beim Essen wäre.

      Franz drehte sich in die Richtung, aus der er die Stimme vermutete. Und wirklich, ein fetter, kleiner Mann hielt in der einen Hand ein Hühnerbein, biss hinein und sprach dann weiter.

      »Komm, mach dich weg! Hast hier nix zu suchen, dummer Znarf!« Seine Augen wirkten riesenhaft, seine Kleidung war verschmiert mit Essensresten.

      »Nun lass ihn doch! Vielleicht sucht er nach dir. Oder nach einem anderen hier, der ihn belust’gen kann«, sagte der alte Mann, während er mit gläsernem Blick zu Boden stierte.

      Franz war verunsichert. Seine Gedanken kreisten und ihm wurde ganz bange. Alle Leute in dieser Stadt waren hässlich wie die Fäulnis. Die meisten waren fett. Durch keine Tür würden sie passen. Ungepflegt, verwahrlost. Ein übler Gestank nach Schweiß, altem Tabak und vergammeltem Essen lag in der Luft. Franz wurde immer angewiderter. Was hatte er nur aus seinen Gedanken werden lassen? Sollten dies wirklich seine sein? Krankhaft, dumm und abartig? Den Worten am Eingang der Stadt zufolge musste es so sein.

      Manche hatten einen Kopf, der größer war als ihr Körper. Andere besaßen einen Hals, der sich dünn und lang gestaltete wie ihre Beine. Ein oder zwei konnte Franz entdecken, die zwei Hälse und auch Köpfe hatten. Manche bestanden nur aus einem Bauch, hatten keine Ohren, keine Nase, nur den Mund. Hier und da sah Franz auch Nackte, die dies überhaupt nicht zu stören schien. Und die, die bekleidet waren, erschienen allesamt dreckig und fettig. Über Körperpflege schien sich hier niemand Gedanken zu machen, geschweige denn über Ordnung und Anstand.

      Es trat eine Dame hervor, zumindest hatte sie sich geschminkt wie eine Dame. Sie hatte Beine bis zur Brust, ab da war fast schon Schluss. Ein Miniatur-Oberkörper, kein Hals, ein runder, kleiner Kopf und die Arme hingen schlapp bis auf den Boden. Halb schrie sie, als sie sprach, wurde aber kurzerhand immer leiser, um urplötzlich in diesem Stil von vorn zu beginnen.

      »NA, du willst … DICH WOhl mal … WIEDER EINlullen lassen!«

      »O nein, ich weiß nicht recht. Ich bin mir noch nicht sicher, bin erschrocken. Was habe ich nur für kranke Gedanken?«

      »Bist du von Sinnen? Krank? Frei von Schuld und Rechenschaft! Kannst tun und lassen, was du willst hier. Genieß es! Wir sind nicht krank. Du bist wohl gefangen in einem Reinheitsfimmel!«, erwiderte ein großer Mann mit zwei Köpfen im Smoking. Der eine klein und ohne Hals, der andere auf einem langen Hals mit einem kaputten Zylinder obenauf.

      »Nichts da! Ihr scheint ohne Regeln, stinkt und gehört gewaschen. Jeder scheint sich hier selbst der Nächste. Niemand achtet auf den anderen. Eure Häuser fallen ein und dennoch wächst die Stadt. Und was schreit ihr hier so auf den armen Manne ein? Seht ihr nicht, wie schwer er zieht? Mir tut er leid. Er scheint gar nicht bei Sinnen. Ist abwesend, wie ich seh’. Lasst ihn doch dahinziehen, wo es ihm beliebt!«

      Franz drehte sich zu dem alten Mann und blickte ihn traurig an. Der Alte stierte immer noch auf den Boden und trat nervös von einem Bein aufs nächste.

      »Diesen alten Quacksalber? Flavius! Der mit seinem Mist. Den braucht hier keiner mehr. Der soll gehen, soll sich verpissen!«, schrie einer von hinten.

      »Jawohl.«

      »Genau.«

      »Jaja, so ist’s richtig«, stimmten viele mit ein.

      »Ein wahres Wort hast du gesprochen«, schimpfte der mit seinem Hühnerbein.

      Die Dame meldete sich theatralisch: »JA, Geh hin … IN DEN Finsterwald! MACH DIch weg … AUS unserer Stadt! WIR HABEN alles, WAS WIR brauchen. UND VERgiss nicht, DEINEN KREmpel und … DEIN HAUS anzuzünden!«

      Franz erfasste eine tobende Wut. Sie drehte sich erst wie ein kleiner Windzug in seinem Magen. Dann, wie ein Sturm, nahm sie immer mehr Fahrt auf. Sie drehte sich und tobte in ihm, bis sie über seine Brust in seinen Hals und dann aus dem Mund geschossen kam. Er hielt sie nicht auf. Nein, heute ließ er ihr freien Lauf. Sie war berechtigt. Heute hatte sein Zorn seinen Platz verdient. Er schrie die Leute an und wirbelte dabei in alle Richtungen.

      »Was habt ihr nur? Noch einen solchen Satz und ich zünd’ die ganze Stadt in Flammen! Macht den Weg frei! Haut ab! Macht euch in eure Häuser, ich will euch nicht mehr sehen!«

      Nach einer knappen Viertelstunde hatte er sich beruhigt. Seine Stimme war verendet und der Letzte, der Dicke mit der Hühnerkeule, watschelte fluchend von dannen.

      Franz schnappte nach Luft und stützte sich auf seine Knie.

      Iocus flog auf seine Schulter.

      »Das hast du aber gut gemacht. War es denn so schlimm?«

      Franz brauchte eine Weile, ehe er antworten konnte.

      »Ich fühl mich nicht gut, nein. Auch wenn sie dumm und ekelhaft sind und die Abfuhr verdient haben, so wie sie auf den alten Mann herniederredeten. Irgendwie kann ich es nicht leiden. Ich war mir selbst zu laut. Und bin nicht auch ich es selbst gewesen, der sie so verkommen hat werden lassen?«

      »Ich verstehe. Doch ist wohl alles viel komplizierter und verzwickter. Sie sind solch stramme Diener des Schwarzen Mannes geworden, dass sanftes Reden nichts mehr bringt bei ihnen, selbst wenn es dir Kummer bereitet. Aber du hast den Weg dadurch frei gemacht. Der Alte darf nun ziehen.« Iocus gab ihm einen Klaps auf die Schulter und flog hinter ihm weg.

      Franz drehte sich um. Der Alte war indessen weitergezogen. Franz holte ihn ein, nahm sich die Deichsel und half dem Mann beim Ziehen. Sie sprachen kein Wort miteinander. Zu müde war er, zu sehr hatte ihn die Wut erobert. Zu viel Kraft hatte sie ihn gekostet.

      Ich hoffe, ich muss nie mehr so schreien und so aus mir fahren. Ich hasse Wut. Sie wird nie meine Freundin.

      Den ganzen Weg über sann er weiter darüber nach, wie man es hätte besser machen können. Ruhiger? Sanfter? Mit guten Argumenten? Doch hätten sie ihn dann genauso schnell verstanden? So reagiert und den alten Mann in Frieden ziehen lassen? Oder wäre es endlos weiter hin und her gegangen? Zu viele Fragen, entschied Franz irgendwann, und so ließ er es sein. Er half dem alten Mann, der weiter in Richtung Stadtende zog.

      Während sie liefen, kam hier und da eine Frau in Schürze und kippte eine übelriechende Flüssigkeit aus dem Fenster oder der Tür. Es war widerlich und Franz hatte das Gefühl, allmählich selbst diesen Gestank der verwahrlosten Stadt anzunehmen.

      Er schätzte, dass es so um die Mittagszeit sein musste, als sie am Rand der Stadt ankamen. Dichter Nebel umschlang ihre Mauern. Sie umgab ein riesiges Feld aus totem Gras und altem Gemüse. Danach sah es jedenfalls aus. Um sich dessen sicher zu sein, konnte Franz nicht weit genug blicken. Schwach zeichnete sich im grauen Nebel eine kleine, schiefe Hütte ab, auf die sie geradewegs zuliefen. Der Weg endete und die letzten fünfzig Meter liefen sie über harte, hügelige Erde. Franz schaffte es kaum, am Karren zu ziehen, und er fragte sich, wie der alte Mann das so ohne Murren bewerkstelligte.

      An der Hütte ließ Flavius die Deichsel des Wagens sachte auf den Boden gleiten und ging zur runden Eingangstür. Es gab keinen Zaun und es wirkte, als hätte diese Hütte keinen dazugehörigen Garten. Als stünde sie im Niemandsland.

      »Komm!«, sagte der Alte mit zittriger, lieber Stimme, machte seine Tür auf und ging hinein.

      Franz