Halbe-Halbe, einmal und immer. Kathrin Brückmann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Kathrin Brückmann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783753188614
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drei. Nein, vier. Sie würde einen Teil ihrer Abfindung dafür auf den Kopf hauen, aber egal, das war es ihr Wert. Sie würde schwimmen bis zur Erschöpfung, Beachvolleyball spielen bis zum Umfallen, in der Sonne liegen, bis sie brutzelbraun war, abends tanzen und bunte Schirmchen-Cocktails trinken, bis sie ohnmächtig oder ihr schlecht wurde. Sie würde sich von Kokosnusswasser und Obstsalat ernähren und dabei zehn Pfund abnehmen. Dann, zurück in Deutschland, sonnenbraun und schlank und sexy, würde sie einen coolen, hoch bezahlten Job in einer Eventagentur finden und sich mit den Promis, die sie betreute, duzen.

      Ach, ja …

      Sophie tagträumte vor sich hin, bis ihre Fingerkuppen runzelig waren und ihr Badewasser ungemütlich kühl wurde. Nur widerwillig stieg sie aus der Wanne zurück in die Realität, in das kleine, vollgestopfte Badezimmer, in dem man sich kaum bewegen konnte, ohne irgendwo anzustoßen und dabei etwas aus Regalen und Ablagen zu werfen. Der Ganzkörperspiegel auf der Innenseite der Badtür war beschlagen und ersparte ihr gnädig zu sehen, dass sie weder sonnenbraun noch schlank und sexy höchstens für jemanden war, der winterbleiche moppelige Frauen mochte.

      Sie trocknete sich ab, föhnte ihre Haare und cremte sich von Kopf bis Fuß ein. In einem übergroßen Plüschbademantel, mit Wollsocken an den Füßen rollte sie sich auf der Couch vor dem Fernseher ein, sah sich eine Folge von »The Mentalist« an, die sie schon kannte, und wartete darauf, dass Jens vom Training zurückkehrte.

      Darüber fielen ihr die Augen zu. Sie schaffte es noch, die Stummtaste auf der Fernbedienung zu drücken, dann schlief sie ein. Sie erwachte wieder, aber nicht vollständig, als sie Jens an der Wohnungstür hörte. Im Halbschlaf verfolgte sie minutenlang seine Wege durch die Wohnung. Auch mit geschlossenen Augen wusste sie immer, wo er war und was er tat, wie er seine Schlüssel auf eine Konsole neben der Tür warf, die Schuhe abstreifte, die Toilette benutzte, seine Sportsachen verstaute, sich umzog und etwas aus dem Kühlschrank nahm. Sie hörte, wie er näherkam, und dann fühlte sie den Druck seines Körpers neben sich auf dem Sofa.

      »Habe ich dich geweckt, Süße?«

      »Wie viel Uhr ist es?«

      »Gleich zehn«, sagte Jens, und dann fügte er hinzu: »Wir waren noch was trinken.«

      Das stimmte. Er roch ein wenig nach Alkohol, aber nicht schlimm. »Und sonst?«

      »Wie immer.«

      Sophie öffnete die Augen, setzte sich auf und sagte: »Ich habe heute meinen Aufhebungsvertrag unterschrieben.«

      »Deinen … was? Was heißt das?«

      »Jens«, sagte Sophie vorwurfsvoll, »darüber haben wir doch schon ein paar Mal gesprochen.«

      »Äh … ja. Du hast deinen Job gekündigt, oder?«

      »Ja. Wenn nicht, dann hätte ich wegziehen müssen.«

      »Ach so …«, sagte Jens. Aus seinem Tonfall glaubte Sophie herauszuhören, dass er entweder nicht begriff, was sie getan hatte, oder dass er mit seinen Gedanken woanders war. Vielleicht machte ihn auch der Alkohol langsam im Kopf. Langsamer, als er es eh schon ist, dachte sie und schämte sich ein wenig für diesen boshaften Gedanken. Sie wartete.

      »Glaubst du, du kriegst so einfach wieder was?«, sagte Jens nach einer Weile.

      Sie antwortete nicht. Enttäuschung, die die ganze Zeit an den Rändern ihrer Wahrnehmung auf eine Chance gelauert hatte, machte sich in ihr breit. Okay, sie wusste und hatte sich daran gewöhnt, dass Jens manchmal ein unsensibler Klotz war, aber trotzdem erwartet, nein – fest damit gerechnet, dass er ihre Entscheidung in irgendeiner Form gutheißen, ja sogar belohnen würde. Was war denn daran unklar, dass sie nicht dreihundert Kilometer entfernt von ihm leben wollte? Einen Moment lang war sie kurz davor, die von ihr erhoffte Reaktion von ihm zu erpressen, aber sie hielt sich zurück. Jens war ein Muttersöhnchen und geübt darin, Frauen nach dem Mund zu reden, vorausgesetzt, er erriet rechtzeitig, worauf sie hinauswollten, und hatte keine Gelegenheit mehr, sich einer Diskussion zu entziehen. Und außerdem, wenn sie ihn unter Druck setzte und er nicht geistesgegenwärtig genug war, ihr zu sagen, was sie von ihm erwartete, dann konnte es im schlimmsten Fall sein, dass sie auf eine provokante Frage, (»Hättest du lieber, dass ich wegziehe?«) eine Antwort bekam, die sie nicht hören wollte.

      »Es ist gut, dass du nicht wegziehst«, sagte Jens, um das Schweigen zwischen ihnen zu brechen oder weil er erraten hatte, was von ihm erwartet wurde.

      Und weiter?, dachte Sophie.

      »So einen Job wie den, den du jetzt machst, bekommst du bestimmt wieder. Der kann so schwer nicht zu finden sein.«

      Weil es ein Loserjob ist?, dachte Sophie. Einer, den niemand macht, außer er ist so dusselig wie ich? Ich werde mir einen besseren suchen. Ich habe einen besseren Job verdient.

      Ihr Schweigen machte Jens unruhig. Er sagte: »Willst du ein Glas Wein? Ich hole mir welchen.«

      Er kam mit zwei Gläsern aus der Küche zurück und setzte sich wieder nahe neben sie. »Cheers, Süße. Auf dich. Auf deinen Neuanfang. Mach dir keine Sorgen, du hast das Richtige getan.«

      Ich mache mir keine Sorgen, dachte Sophie.

      Jens trank, lehnte sich dann ein wenig zu ihr herüber und sagte: »Hmm … Du riechst gut.«

      Seine Hand stahl sich unter ihren Bademantel. Sophie war nicht überrascht. Jens kam oft angeregt aus dem Fitnessstudio nach Hause. Sie richtete sich auf, schob seine Hand weg und sagte: »Lass uns verreisen.«

      »Was?«

      »Verreisen. Wegfahren. Urlaub machen. Irgendwo in der Sonne. Irgendwo, wo nicht Winter ist.«

      »Aber …«

      »Bitte!«

      »Wie stellst du dir das vor? Wir können doch nicht einfach …«

      »Doch, das können wir!«

      »Nein … ich meine, du vielleicht. Ich nicht.«

      »Warum denn nicht?« Sophie bereute ihre Frage sofort. Damit gab sie Jens eine Chance, sich rauszureden. Sie sprach hastig weiter. »Jens, ich muss mal raus. Raus aus dem Winter, der Nässe, der Kälte, der Dunkelheit. Raus aus dieser Stadt. Raus aus … allem. Wenigstens für ein paar Wochen … Bitte …«

      »Ich kann nicht. Das weißt du doch. Ich habe für dieses Jahr keinen Urlaub mehr. Erst wieder Mitte nächsten Jahres.«

      Sophie schwieg, und Jens fuhr fort: »Wir machen im Sommer Urlaub, versprochen. Wir fliegen, wohin du willst. Oder nach Island. Da scheint im Sommer dreiundzwanzig Stunden am Tag die Sonne, und überall kommt heißes Wasser umsonst aus dem Boden. Jedes Kaff hat ein Thermalbad. Wie findest du das?«

      »Ich brauche eine Auszeit, Jens. Dringend. Jetzt. Nicht im Sommer. Im Sommer kann ich auch ins Freibad gehen oder an die See fahren. Außerdem habe ich bis dahin einen neuen Job und kann nicht gleich wieder Urlaub machen.«

      »Wenn du nicht warten kannst«, sagte Jens, »dann flieg doch allein. Ist doch kein Problem. Andere Frauen tun so was auch.«

      »Ach, Jens …«, sagte Sophie. »Ich möchte mit dir verreisen.« Gerade habe ich meinen Job aufgegeben, um mit dir zusammenzubleiben, dachte sie, und jetzt willst du mich allein in Urlaub schicken. Sie sprach den Gedanken nicht aus und entschied, für den Moment nicht weiter zu versuchen, Jens umzustimmen. Sie würde später, in ein paar Tagen, einen neuen Anlauf nehmen. Noch war ja Zeit. Viel Hoffnung hatte sie allerdings nicht, dass er seine Haltung änderte. Jens war nicht der Typ, der es wagte oder gar schaffte, seinem Arbeitgeber zwei Wochen außerplanmäßigen Urlaub abzuschwatzen. Und selbst wenn ihm das gelang, musste er immer noch seiner Mutter gegenüber durchsetzen, dass er vielleicht den Weihnachtsabend oder Silvester nicht ›zu Hause‹ verbrachte. Das war schlicht undenkbar – für sie und ihn. Trotzdem, beschloss Sophie, würde sie Jens weiter beknien. Und wenn es nur aus Prinzip war und erst einmal zu nichts führte, egal. Steter Tropfen … Er war ihr was schuldig, fand sie.

      »Wir machen im Sommer gemeinsam Urlaub«, sagte Jens. »Und was deine