Sophie sagte: »Was guckt Ihr so? Was bedeutet das?«
Sie bekam keine Antwort.
»Habt ihr etwas gewusst? Habt Ihr gewusst, dass er eine andere hat?«
»Nein«, sagte Sabine, »aber wir haben uns gedacht, dass es mal dazu kommen würde.«
»Aber … warum habt ihr denn nichts gesagt?«
»Du weißt, dass das nicht möglich war«, sagte Holger. »So was tut man nicht. Ein Paar ist ein Paar. Da mischt man sich nicht ein. Solange du meinst, dass Ihr, Jens und du, zusammengehört, werde ich dir nicht das Gegenteil erzählen.«
»Aber wir sind doch Freunde …«
»Eben deshalb. Willst du denn von mir hören, dass ich den Mann, den du liebst, für den du einstehst, für einen Mistkerl halte? Im Umkehrschluss würde das ja heißen, dass ich meine, dass du eine dumme Nuss bist, weil du mit so einem zusammen bist. Was für ein Freund wäre ich dann?«
»Wir hätten ja auch falsch liegen können«, sagte Sabine. »Ihr hättet ja auch das perfekte Paar sein können. Von außen erkennt man doch nicht, ob zwei Menschen zusammengehören oder nicht.«
Sophie trank auf nüchternen Magen. Schon das erste halbe Glas Wein stieg ihr zu Kopf. Sie nahm noch einen tiefen Schluck.
»Es war offensichtlich, nicht wahr?«, sagte sie mit brechender Stimme. »Jeder konnte es sehen, nur ich nicht.«
»Nein«, sagte Sabine, »so war das nicht.«
»Weißt du auch, warum?«, fuhr Sophie fort. »Weil ich es nicht sehen wollte. Oh Gott … ich bin eine dumme Nuss.« Ihre Augen wurden nass. Sie hob die Hände vor ihr Gesicht und beugte sich vornüber. Endlich konnte sie ihren Tränen freien Lauf lassen.
»Nein. Bist du nicht. Du hast nur Pech gehabt«, sagte Sabine. Mit einem Blick und einer Kopfbewegung bedeutete sie ihrem Mann zu gehen. Den kommenden Jammer, mit Tränen und Rotz und Klagen, würden die Frauen unter sich ausmachen.
»Pech gehabt?« Sophie schluchzte in ihre Hände. »Nein, ich habe mir Illusionen gemacht, mit aller Kraft. Jens brauchte sich gar nicht anzustrengen, um mich zu täuschen. Ich habe mich selbst belogen.« Ihre Schultern zuckten. Sie weinte laut.
Holger stellte im Vorübergehen eine Rolle Küchenkrepp in Reichweite auf den Couchtisch. Sabine schwieg und wartete. Nach einigen Minuten hob Sophie ihr tränennasses Gesicht.
»Weißt du, was mir gerade klar wird, Bine? Es war harte Arbeit. Ich habe mich angestrengt, jedes Jahr ein bisschen mehr, um Jens auszuhalten. Es war harte Arbeit auszublenden, vor mir selbst zu verharmlosen, dass er kleinlich ist, selbstsüchtig, eitel. Ein Streber.«
Sophie zog die Nase hoch. Tränen rannen über ihr Gesicht und tropften von ihrem Kinn auf den Teppich zwischen ihren Füßen. Sie rollte Papier ab, um sich zu trocknen und die Nase zu putzen. Dann füllte sie ihr Glas nach und nahm einen tiefen Schluck. »Wenn mich etwas an ihm störte, wenn er mich verletzte, habe ich es hingenommen, weil, es ist doch niemand perfekt, oder? Man kann sich seinen Partner doch nicht nach Wunsch backen. Ich bin doch auch nicht perfekt, da dachte ich, wie kann ich das von jemand anderem erwarten?«
»So darfst du das nicht sehen«, sagte Sabine. »Wenn du auch nicht perfekt bist, dann jedenfalls nicht so mies nichtperfekt wie Jens. Und vor allem bist du nicht selbst schuld daran, wenn du gekränkt wirst.«
»Es gibt keinen Täter, wo nicht ein Opfer auf ihn wartet.«
»Was für ein Quatsch! Wo hast du das denn her?«
»Ich habe zugelassen, dass er mich verletzt.«
»Jeder, der liebt, macht sich verletzbar«, sagte Sabine. »Dass man liebt, macht einen zum Liebenden, nicht zum Opfer.«
Sophies Tränen versiegten für einen Moment. Sie blickte Sabine aus nassen Augen an, die Stirn gerunzelt. »Boah«, murmelte sie und schnuffelte. »Das war jetzt aber tiefsinnig. Was hast du noch mal studiert?«
Eine Minute oder zwei saßen sie sich schweigend gegenüber. Sophie, mit verschwollenem, nassem Gesicht und verstopfter Nase, atmete geräuschvoll durch den Mund. Sabine wartete geduldig. Dann sagte Sophie: »Ich bin jetzt gar nicht mehr sicher, dass ich Jens überhaupt jemals geliebt habe.«
»Das kommt dir nur so vor. Du wirst schon etwas für ihn empfunden haben, wenn du fünf Jahre mit ihm zusammen warst.«
»Ich dachte immer, wenn wir lange genug zusammen wären, würden wir irgendwann auch heiraten. Ich würde zur verheirateten Frau, Kinder bekommen, eine Familie haben … Ist das ein unmöglicher Wunsch? Ist das dumm, altmodisch, überholt, aus der Zeit?«
»Mich darfst du das nicht fragen«, sagte Sabine.
Sophie nahm wieder einen tiefen Schluck aus ihrem Glas. »Jens auszuhalten war halt der Preis, den ich meinte, zahlen zu müssen, für Familie und Kinder und alles … Ich bin eine Idiotin.« Sie begann wieder zu weinen.
»Sophie!«, sagte Sabine.
»Jetzt kann ich wieder von vorn anfangen«, sagte Sophie unter Tränen. »Im Sommer werde ich dreißig. Wer weiß, wie lange es dauert, bis ich wieder einen Mann kennenlerne, oder überhaupt … Wer weiß, wie lange es dauert, bis ich sicher sein kann, wenn überhaupt, dass er der Richtige ist, und wie lange es dann noch dauert, bis wir uns über das Kinderkriegen einig sind. Wenn überhaupt … und irgendwann ist es auf einmal zu spät …«
Sabine sah sich rasch um, beugte sich dann zu Sophie vor und sagte mit gesenkter Stimme: »Wenn es ums Kinderkriegen geht, darfst du nicht die Männer fragen. Das entscheiden wir ganz allein. Das war schon immer so.«
»Erst muss ich mal wieder einen kennenlernen. Mein Gott, ich weiß gar nicht mehr, wie das geht …«
»Ach, das verlernt man doch nicht. Außerdem bist du nett und ansehnlich, da musst du gar nicht viel tun, um jemanden kennenzulernen.«
»Meinst du?«
»Aber ja. Männer sind nicht kompliziert. Meistens reicht es schon, sie nicht zurückzuweisen, um einen abzukriegen.«
»Nein, was ich wissen will … meinst du, dass ich ansehnlich bin?«
»Ja, natürlich. Schau doch mal in den Spiegel.«
Sophie leerte ihr Glas. »Ich bin fett und langweilig.«
»Sophie! Nun ist aber gut!«, sagte Sabine streng. »Und du hast jetzt auch genug getrunken.«
»Jens meint, ich sei ungeil.«
Sabine rollte die Augen. »Ach, der! Hör nicht auf den, der hat doch keine Ahnung von geil.«
»Die Frau, mit dem ich ihn erwischt habe, hat gesagt, er wäre ein Schnellspritzer.«
Einen Moment lang starrte Sabine Sophie verständnislos an. Dann prustete sie los. Sie lehnte sich weit zurück, hielt mit beiden Händen ihren Babybauch und lachte, bis ihr die Tränen kamen. Am Ende lachte Sophie mit ihr. Es dauerte einige Zeit, bis sie sich wieder halbwegs beruhigt hatten. Schließlich stemmte sich Sabine schwer atmend aus ihrem Sessel hoch und sagte: »Ich glaube, ich habe mir gerade ein bisschen in die Hose gemacht.«
18 – Sophie bezog ein kleines,
noch nicht renoviertes Zimmer im Obergeschoss des Hauses, gegenüber dem Kinderzimmer. Weil sie frühes Aufstehen gewohnt war und weil sie anfangs etwas brauchte, das sie von ihrem Unglück ablenkte, übernahm sie es, die Morgenroutine der Familie abzuwickeln. Während Sabine im Bett bleiben konnte, bereitete Sophie Frühstück für Holger und Marie, machte das Kind für den Kindergarten fertig und fuhr es hin.
An einem dieser Morgen bedankte sich Holger. Sophie wehrte ab. »Ich muss mich bedanken«, sagte sie. »Wer weiß, wo ich ohne euch wäre. Ihr helft mir sehr, da ist es doch das Mindeste, dass ich