Christmas Time. Asmodina Tear. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Asmodina Tear
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754178492
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Eiseskälte. Mit Stella auf dem Arm gehe ich die Steintreppe nach unten und setze den Welpen auf dem Gehweg ab. Es dauert keine fünf Sekunden und die kleine Maus verrichtet auch schon ihr dringendes Geschäft.

      »Na, das war aber höchste Eisenbahn«, sage ich leise, mehr zu mir selbst, beseitige die Hinterlassenschaft meines Hundes und entsorge alles im nächsten Mülleimer. Etwas kitzelt mich an der Nase und ich blinzle in den Himmel, aus dem ganz feine Flöckchen angeflogen kommen. Tatsächlich, der Schnee kommt pünktlich zu Weihnachten. Da uns beiden Bewegung guttut, entschließe ich mich, in den Central Park zu gehen. Wenn es etwas gibt, das ich zu dieser Jahreszeit an New York City liebe, dann ist es der Central Park mit Schnee. Einfach magisch!

      Außerdem hoffe ich insgeheim, dass wir auf Henry und sein Herrchen treffen. Henry ist ein bildschöner Border Collie Rüde, der sich perfekt mit Stella verträgt. Als wir uns vor ein paar Wochen das erste Mal im Park begegnet sind, war es beinahe wie Liebe auf den ersten Blick zwischen den Hunden. Ich muss zugeben, der Anblick seines Herrchens wirbelt bei mir auch ziemlich die Hormone durcheinander. Seine funkelnden grünen Augen sind mir sofort aufgefallen und haben mich in ihren Bann gezogen. Aber mehr als ein paar Worte haben wir bisher nicht miteinander gewechselt und über etwas anderes als die Hunde sprechen wir nie. Ich weiß noch nicht mal seinen Namen. Trotzdem ertappe ich mich die letzten Tage immer wieder dabei, wie meine Gedanken um diesen geheimnisvollen Mann kreisen.

      Ein Blick auf die Uhr meines Smartphones sagt mir, dass die Chancen gut stehen, um die beiden anzutreffen, und ich beschleunige unwillkürlich meine Schritte, um schneller im Park zu sein. Ich eile förmlich über die 5th Avenue, vorbei an der St. Patrick’s Cathedral. Diesmal habe ich keine Augen für die liebevollen Dekorationen in den Schaufenstern, meine Gedanken sind bei Henry und seiner menschlichen Begleitung.

      Außer Atem erreiche ich den Central Park und steuere unsere übliche Wiese an. Das Schneetreiben ist in der Zwischenzeit dichter geworden und hat die Stadt bereits mit einer dünnen Puderzuckerschicht überzogen. Ich kneife meine Augen zusammen und versuche, durch die immer dichter fallenden Flocken Henry zu entdecken. Doch leider ist von ihm und seinem charmanten Herrchen weit und breit nichts zu sehen. Ich spüre, wie mein Herz schwer wird. Verdammt Lucy, sei mal nicht albern!, schimpfe ich leise vor mich hin. Warum sollte er überhaupt an mir interessiert sein? Ich bin lediglich ein stinknormales, durchschnittliches Mädchen, habe keine wallende, blonde Lockenmähne und auch nicht die Traummaße eines Topmodels. Damit zähle ich zu jenen Menschen, die schlicht in der Masse untergehen. Ich gebe zu, es hat mich schwer getroffen, dass mein Freund mich verlassen hat. Die ersten Monate nach der Trennung wollte ich mich gar nicht mehr im Spiegel anschauen, so hässlich habe ich mich gefühlt. Die einzige Genugtuung, die ich inzwischen spüre, ist, dass Miss Platinblond ihn nach kurzer Zeit in den Wind geschossen hat.

      Meine Gedanken driften so weit ab, dass ich kaum bemerke, wie aus dem lockeren Schneefall ein heftiger Blizzard geworden ist. Du meine Güte! Der Park ist inzwischen komplett in einem Schneemantel eingehüllt. Wäre der frostige Wind nicht, könnte ich diesen Anblick sogar genießen. So beschließe ich aber, dass es höchste Zeit wird, nach Hause zu gehen, bevor der Sturm schlimmer wird. Außerdem werden sich Henry und sein Herrchen bei diesem Wetter sicher kaum hierher verirren.

      »Komm, Stella! Lass uns in die warme Wohnung zurückgehen.«

      Der Wind schlägt mir zusammen mit unendlich vielen Eiskristallen ins Gesicht und meine Hände sind bereits taub, denn meine Handschuhe liegen noch immer zu Hause. Auf dem Weg rechts von mir kämpft ein Obdachloser damit, seinen Einkaufswagen, der mit all seinen Habseligkeiten gefüllt ist, durch den Schnee zu schieben. Er tut mir leid und ich hoffe inständig, dass er einen Unterschlupf hat, in dem er sich vor dem Schneesturm schützen kann. Zum Glück hat die Stadt ausreichend Anlaufstellen für obdachlose Menschen, wo sie eine warme Mahlzeit und einen trockenen Platz zum Schlafen bekommen können. Die Vorstellung, dass dieser arme Mensch bei diesem Wetter allein hier draußen herumirrt und noch dazu an Weihnachten, bricht mir beinahe das Herz. Ob ich ihn ansprechen und fragen soll, ob er Hilfe benötigt?

      Ich fasse mir ein Herz, biege auf den Weg ein und gehe zögerlich auf ihn zu, während er fluchend versucht, den Einkaufswagen aus einer Schneewehe zu wuchten. Als ich keine zwei Meter mehr von ihm entfernt bin, kippt plötzlich der Wagen zur Seite und der Inhalt verteilt sich scheppernd auf dem Weg. Dann geht alles furchtbar schnell. Stella zu Tode verängstigt, befreit sich panisch aus ihrem Halsband und rennt blindlings in das dichte Schneegestöber hinein. Hysterisch rufe ich ihr hinterher und renne in die Richtung, in die sie verschwunden ist. Hinter mir höre ich den Obdachlosen weiter vor sich hin fluchen und meine, auch wüste Beschimpfungen gegen mich herauszuhören. Undankbarer Flegel, denke ich mir, schenke ihm jedoch keine weitere Beachtung. Ich muss Stella finden, und zwar schnell. Sie ist doch noch so klein und diesem unschönen Wetter hilflos ausgesetzt. Mein Magen verkrampft sich schmerzhaft und ich kämpfe tapfer gegen die Tränen an. Wie besessen renne ich durch den Park, halb blind, meine Beine schmerzen, meine Lunge brennt, aber von meiner Hündin ist keine Spur zu sehen.

      »Stella!« Meine Stimme überschlägt sich, kommt kaum gegen den Schneesturm an. Blindlings renne ich weiter, spüre meine Füße kaum noch und schaue in jedes Gebüsch. Mit jeder Minute wächst meine Verzweiflung und meine Kräfte schwinden immer mehr. Aber ich bin nicht bereit, diesen Park ohne meinen Hund zu verlassen. Sie muss einfach hier irgendwo in der Nähe sein. Wie von einer unsichtbaren Macht getrieben kämpfe ich mich weiter durch das Schneegestöber. Viel sehen kann ich nicht mehr und das Einzige, was ich noch höre, ist der pfeifende Wind und mein rasselnder Atem.

      »Um Himmels willen, was machen Sie denn bei diesem Sturm hier?«, höre ich plötzlich eine Stimme hinter mir rufen. Erschrocken wirbele ich herum und erkenne, dass ich mich am Rand des Parks befinde. Ein Streifenwagen hat angehalten und der Cop schaut mich durch das heruntergelassene Seitenfenster an.

      »Ich ... Mein Hund ...«, stammele ich atemlos.

      »Was ist mit Ihrem Hund?« Der Cop steigt aus, geht um den Streifenwagen herum und kommt auf mich zu.

      »Er hat sich ... sie ist mir entwischt«, antworte ich mit zittriger Stimme und streiche mir erschöpft eine Haarsträhne aus dem Gesicht.

      »Jetzt steigen Sie erst mal ein und erzählen mir in Ruhe, was passiert ist.« Vorsichtig legt der Polizist eine Hand auf meine Schulter und versucht mich in Richtung seines Wagens zu schieben. Doch ich halte dagegen.

      »Nein! Ich muss weitersuchen.«

      »Ms. ...?«

      »McBride«, lasse ich ihn schniefend wissen.

      »Ms. McBride, Sie können unmöglich weiter hier draußen herumlaufen. Der Schneesturm soll sogar noch schlimmer werden. Bitte, steigen Sie ein.«

      Während ich fortwährend den Kopf schüttele, lasse ich mich dennoch von ihm zum Streifenwagen führen und steige wie in Trance ein. Erst jetzt wird mir bewusst, wie erschöpft ich eigentlich bin.

      »Soll ich Sie nach Hause fahren oder möchten Sie in ein Krankenhaus?«

      »Nach Hause, bitte«, antworte ich kraftlos und gebe ihm noch meine Adresse.

      Müde und durchgefroren wie ein Eiszapfen sperre ich meine Wohnungstür auf. Doch auch hier drin empfängt mich nichts als Kälte. Alles, was in der letzten Stunde passiert ist, erscheint mir irreal. Der Gedanke an Stella lässt mein Herz vor Schmerzen beinahe zerspringen. Wie konnte das nur passieren? Kraftlos lasse ich mich auf meine ausladende Couch sinken, wo ich erschöpft nach der Decke greife und sie über meinen schlotternden Körper ziehe. Wie schön wäre es, wenn ich jetzt in einen tiefen, erholsamen Schlaf fallen würde und wenn ich aufwache, würde sich alles nur als ein böser Traum herausstellen. Doch so müde ich auch bin, der erlösende Schlaf will nicht kommen.

      Sobald ich meine Arme und Beine wieder spüren kann, stehe ich deshalb wieder auf und fahre meinen Laptop hoch. Da ich sowieso nicht schlafen kann, möchte ich die Zeit nutzen, Suchzettel zu gestalten und auszudrucken. Ich kann und will die Hoffnung nicht aufgeben. Schließlich ist Weihnachten. Ist das nicht auch das Fest der Wunder und der Liebe? Ich lache bitter auf, während ich mir eine Tasse Kaffee koche. Von wegen Wunder und Liebe. Das Wunder der Liebe hat sich schon vor einiger