Er hasste die Entrümpelung des alten, muffigen und heruntergekommenen Hauses. Bis er im Keller hinter einem Bretterverschlag auf diverse Kunstwerke stieß. Nicht nur Bilder, sondern auch Skulpturen und Schmuck verschiedenster Art. Sogar zwei Goldbarren, mit einem Hakenkreuz versehen, fand er in eine alte Decke gewickelt. Anfangs ging Siegfried von billigen Kopien aus, bis er auf der Rückseite eines Bildes den Aufkleber des Berliner Kunstmuseums fand. Die Machart und die Schrift wiesen auf längst vergangene Zeiten hin. War der Aufkleber echt? Hektisch suchte er nach einem verschwiegenen Kunstkenner, den er in John McCarthy fand. McCarthy kam mit einer Kollegin, Karin Bergmann, die sich besonders auf niederländische Maler spezialisiert hatte.
„Woher stammen diese Kunstwerke? Wie kamen sie hierher?“, frage John McCarthy aufgeregt. Siegfried hatte längst bemerkt, dass das Interesse der beiden Kunstkenner sehr groß war. Die Stücke waren echt, das lag auf der Hand.
„Mein Onkel war im Zweiten Weltkrieg ein enger Mitarbeiter von Ernst Kaltenbrunner. Ihnen sagt der Name etwas?“
„Selbstverständlich!“ McCarthy und Bergmann hingen an Siegfrieds Lippen. „Gibt es Unterlagen Ihres verstorbenen Onkels? Oder Fotos?“
„Nein, ich habe nichts dergleichen gefunden.“
„Welche Position hatte Ihr Onkel während des Zweiten Weltkrieges inne?“
„Darüber, was mein Onkel genau gemacht hat, hat er nie gesprochen. Er schwärmte Zeit seines Lebens von seiner Militärzeit, er war ein glühender Verehrer vom Führer und von Kaltenbrunner. Ich kann mich noch gut daran erinnern, dass er jedes Jahr zu den Geburts- und Todestagen der beiden Kerzen anzündete und in die Kirche ging. So absurd diese Rituale auch waren, so wenig war er davon abzubringen.“
„Hat Ihr Onkel jemals Altaussee erwähnt?“
„Ja, sehr oft sogar. Nach seinen Aussagen war das der schönste Ort, den er kannte. In Altaussee hatte Kaltenbrunner ein Anwesen, in dem mein Onkel nach dessen Erzählungen ein- und ausging. Wenn ich mich recht erinnere, hat er auch immer wieder eine Blau-Alm erwähnt.“
„Könnte der Name auch Blaa-Alm gewesen sein?“
„Ja, das könnte sein.“
„An was können Sie sich noch erinnern? Denken Sie nach!“
„Was verlangen Sie da von mir? Mein Onkel lebte nur in der Vergangenheit und erzählte viele alte Geschichten, die mich nicht interessierten.“
„Dann helfe ich Ihnen auf die Sprünge: Waldenburg, Liebichau, Königsberg und das Schloß Fürstenstein? Projekt Riese? Klingelt’s?“
„An dieses Schloß kann ich mich erinnern, auch Königsberg sagt mir etwas. Mehr fällt mir nicht ein, leider.“
Bergmann und McCarthy waren nicht enttäuscht, ganz im Gegenteil.
„Ihr Onkel ist nach Kriegsende aus Deutschland geflohen?“
„Ja.“
„Was wissen Sie darüber?“
„Mein Onkel floh mit seiner Schwester, also meiner Mutter, und meiner Großmutter. Ich weiß, dass die erste Station Tunesien war…“
„Welcher Hafen?“
„Tunis. Ein Freund hatte ein Haus in Hammamet zur Verfügung gestellt…“
„Das ist es, das ist das letzte Puzzlestück. Alle Informationen stimmen mit meinen umfangreichen Recherchen überein“, rief Karin Bergmann aufgeregt. Sie hatte sich viele Jahre mit der Suche nach der verschwundenen Raubkunst beschäftigt, bis ihr die Spuren und vor allem das Geld ausgingen. Eine dieser Spuren führten sie über Tunis und Hammamet bis nach Kairo. Dreizehn Jahre waren seitdem vergangen. Und jetzt das!
John McCarthy und Karin Bergmann sahen sich fassungslos an.
„Sie haben keinen blassen Schimmer, was das hier ist, Herr Schweighofer?“
„Selbstverständlich habe ich keine Ahnung. Was glauben Sie, warum ich mir Hilfe geholt habe.“
„Das ist eine Sensation!“, sagte McCarthy. „Bei all diesen Kunstwerken handelt es sich um Raubkunst aus dem Zweiten Weltkrieg, die als verschollen gilt.“
Karin Bergmann klatschte begeistert in die Hände. „Es gibt über Raubkunst die wildesten Geschichten, denen allen nachgegangen wurde. Spuren führten in die unterschiedlichsten Richtungen. Und eine davon ist Hammamet in Tunesien, die bis nach Kairo führt. Ich bin mir sicher mit dieser Spur, ich habe sie selbst verfolgt und Beweise dafür gesammelt.“
„Leider sind in den letzten Jahrzehnten nur wenige Stücke aufgetaucht, ein Großteil ist immer noch verschwunden. Was hier in diesem unscheinbaren Keller steht, ist der Wahnsinn! Nach dem, was Sie uns eben geschildert haben, hat Ihr Onkel die Kunstwerke nach Kriegsende außer Landes gebracht und seitdem in seinem Keller verwahrt. Kaltenbrunner hatte den Befehl, die Raubkunst in Sicherheit zu bringen. Es sieht danach aus, als hätte Ihr Onkel die Stücke für Kaltenbrunner, beziehungsweise dessen Nachkommen, aufbewahrt. Ich kann das immer noch nicht glauben!“
„Ein Halleluja auf Onkel Friedrich!“, rief Siegfried erfreut. „Wie teuer sind die Kunstwerke? Was schätzen Sie, was ich dafür bekomme?“ Für Siegfried stand es nicht zur Debatte, dass er dem Beispiel seines Onkels folgen wollte und alles für Kaltenbrunners Nachfahren aufheben wollte. Und wem sie davor gehörten, interessierte ihn schlichtweg nicht. Siegfried war der Erbe und nur ihm standen die Kunstschätze zu.
„Über die Werte können wir nur spekulieren, wir sprechen über astronomische Summen. Allerdings muss ich Sie enttäuschen. Jedes einzelne Kunstwerk ist auf dem freien Markt unverkäuflich. Es ist Raubkunst, was bedeutet, dass die rechtmäßigen Besitzer gefunden werden müssen. Sobald das geschehen ist, wird denen dann das Eigentum ausgehändigt.“
„Kann ich wenigstens mit einem anständigen Obolus rechnen?“
„Wohl kaum, schließlich wurden die Stücke von Ihrem Onkel geschmuggelt und gehörten ihm nicht.“
„Sie meinen, ich gehe leer aus?“, rief Siegfried.
„Was die Kunstwerke betrifft, ja.“
Siegfried war enttäuscht. Er hatte bereits von einem Leben in Reichtum geträumt – und jetzt das!
„Vergessen Sie die beiden Goldbarren nicht. Das Hakenkreuz darauf ist kein großes Problem. Man könnte die Barren einschmelzen und das Gold dann problemlos veräußern. Bei dem Schmuck wäre ich vorsichtig, der ist sehr speziell. Trotzdem denke ich, dass die Schmuckstücke unter der Hand noch recht einfach zu verkaufen sind. Aber die Gemälde und Skulpturen sind für Sie nichts wert, da stimme ich meiner Kollegin zu.“
„Es gäbe bezüglich der Kunstwerke noch eine andere Möglichkeit“, sagte Karin Bergmann. Die Frau Mitte fünfzig arbeitete im Kairoer Kunstmuseum und konnte gerade so ihr Leben bestreiten. Für sie tat sich eine Chance auf, das zu ändern.
„Wovon sprechen Sie? Raus mit der Sprache!“
„Es gibt Sammler auf der ganzen Welt verstreut, die hohe Summen für Kunstwerke bezahlen.“
„Obwohl es sich um Raubkunst handelt?“
„Das ist vielen Sammlern egal. Was meinst du, John? Würdest du mitspielen?“
John verstand sofort, worauf Karin aus war. Er selbst hatte bereits auch an diese Möglichkeit gedacht.
„Ja, das würde ich durchaus. Allerdings verlange ich fünfundzwanzig Prozent.“
„Das klingt fair, das verlange ich auch. Was meinen Sie, Herr Schweighofer?“
„Moment!“, rief Siegfried, der langsam begriff, was hier eben passierte. „Sie meinen, ich soll Sie am Verkauf beteiligen? Mit jeweils