Dreckiges Erbe. Irene Dorfner. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Irene Dorfner
Издательство: Bookwire
Серия: Leo Schwartz
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742762887
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den Zugang blockierten. Leo mochte diese Menschenansammlungen mit übelgelaunten und hektischen Menschen nicht, er musste sie auch nicht mehr lange ertragen. Auf ihn warteten unbeschwerte Urlaubstage am Strand in Georgs Gesellschaft. Wie lange hatten sich die beiden nicht gesehen? Drei Jahre, vier Jahre oder mehr? Er konnte sich noch sehr gut an den dunkelhäutigen Georg mit den wilden, schwarzen Locken erinnern, der immer gut gekleidet und meist gut gelaunt war.

      Leo schlenderte auf den Ausgang zu und freute sich nicht wirklich auf den Bus, der ihn zwangsläufig wieder mit vielen anderen Urlaubern zusammenpferchen würde.

      „Leo! – Leo! Halloooooooo!“, rief Georg, der seinen Freund sofort entdeckt hatte, was bei dessen Körpergröße von einem Meter neunzig kein Problem war. Grau war er geworden, ebenso wie er selbst. Allerdings trug er immer noch diese schrecklich bunten T-Shirts, mit denen er überall auffiel. Konnte es sein, dass er immer noch dieselben ausgelatschten Cowboystiefel trug? Tatsächlich! Georg rief wieder und wieder. Endlich reagierte Leo, denn er blieb stehen und sah sich um. Hatte er eben seinen Namen gehört? Leo konnte es kaum glauben, als Georg direkt vor ihm stand. Er hatte sich verändert. Die wilden, dunklen Locken waren grau geworden. Auch das spitzbübische Grinsen war nicht mehr so frisch, wie er es in Erinnerung hatte. Mit ausgebreiteten Armen ging Leo auf ihn zu.

      „Du bist alt geworden, mein Freund. Ich hätte dich fast nicht erkannt.“

      „Charmant wie eh und je. Keine Sorge, Leo, der Zahn der Zeit hat auch an dir ordentlich genagt.“

      Beide lachten. Es war, als ob es die letzten Jahre nicht gegeben hätte.

      „Bitte sag mir, dass du mit einem Wagen hier bist. Ich habe keinen Bock auf eine Busfahrt voller Touristen.“

      „Sei fair, Leo, du bist auch ein Tourist. Aber keine Sorge, ich bin mit einem Taxi hier und mit dem fahren wir zurück zum Hotel.“ Georg sah Leo an. „Hast du getrunken?“

      „Ja.“ Sollte er sich erklären? Warum?

      Die Fahrt war sehr angenehm. Der Taxifahrer Sharif sprach einige Worte englisch, die er ohne Sinn aneinanderreihte und immer wieder wiederholte. Der Typ war eine Frohnatur, was Leo sehr lustig fand. Sharif redete ununterbrochen, wobei er in verschiedene Richtungen zeigte. Es war offensichtlich, dass er seine Heimat anpries, auf die er sehr stolz zu sein schien. Dann stoppte er und drehte sich um.

      „Was will er?“, fragte Leo.

      „Keine Ahnung. Er hat offenbar eine Frage gestellt, auf die er eine Antwort erwartet.“

      „Yes“, sagte Leo schließlich lachend und zuckte mit den Schultern, als Georg ihn anstarrte. Sharif lächelte und fuhr von der Straße ab.

      „Hoffentlich kommen wir irgendwann im Hotel an“, maulte Georg, der keine Lust auf eine Tour durch die karge Landschaft hatte.

      „Sei kein Spielverderber, alter Freund. Wir haben Urlaub! Was spricht dagegen, sich etwas umzusehen? Ich war noch nie in Ägypten und bin gespannt, was uns der Mann zeigen möchte.“ Leo hatte beste Laune und sah sich interessiert um. Schon wie Sharif den Wagen wendete, war lustig, denn ihn schienen die anderen Verkehrsteilnehmer nicht zu interessieren.

      Georg musste schmunzeln. Leo war stockbesoffen und er musste zusehen, dass er starken Kaffee für ihn fand. Was soll’s, dann gab es eben heute eine Touristentour. Die karge Gegend wurde bewohnter, bis sie schließlich eine Stadtgrenze passierten. Welche Stadt das war, war Leo gleichgültig. Georg war klar, dass das Hurghada sein musste. Leo sog die Luft durch das offene Fenster ein und ließ sich den Fahrtwind um die Nase wehen.

      „Hier riecht es fantastisch“, rief er laut. Der Fahrer verstand zwar kein Wort, lachte aber dennoch. Er fuhr geschickt durch die belebte Stadt, in der es von Einheimischen und Touristen nur so wimmelte. Dann stoppte er, drehte sich grinsend um und forderte die beiden auf, ihm zu folgen.

      „Sharif ist wohl der Meinung, dass wir einen Markt besuchen möchten. Sieh dich um, Georg, das ist doch der Wahnsinn!“ Leo war begeistert und stieg aus. „Komm schon, sei kein Spielverderber und gönn mir diesen Spaß.“

      „Meinetwegen! Aber zuerst gibt es Kaffee, damit du wieder nüchtern wirst. Ich habe keine Lust darauf, den ganzen Tag eine Attraktion nach der anderen ansehen zu müssen, nur weil du nicht ganz klar in der Birne bist.“

      Georg machte Sharif klar, dass sie Kaffee trinken wollten. Dieser verstand und ging einfach los, Georg und Leo folgten ihm. Leo hatte noch niemals vorher solch einen vollgestopften und lebhaften Markt gesehen. Überall standen Menschen, die wild gestikulierend miteinander sprachen. Es war offensichtlich, dass man nicht den Preis bezahlte, der auf der Ware angebracht war. Leo war ein leichtes Opfer für die Händler. Er blieb überall stehen und ließ sich bequatschen. Sharif kümmerte sich um ihn und zog ihn einfach weiter, wobei er dem einen oder anderen Einheimischen der Klangfarbe der Stimme nach zu urteilen Schimpfworte an den Kopf warf. Oder ging man hier so miteinander um? Leo amüsierte sich köstlich, während Georg die Menschenmassen mehr und mehr auf die Nerven gingen.

      Endlich gab es starken Kaffee, den Leo widerwillig trank. Georg bestand darauf, dass er einen weiteren herunterschluckte, auch wenn der noch widerlicher schien, als der erste. Da Leo keine Lust darauf hatte, sich jetzt schon mit Georg anzulegen, fügte er sich. Dann ging es erneut mitten ins Getümmel des Marktes.

      Leo und Georg wurden immer wieder von Händlern angesprochen, aber das würgte Sharif mit kurzen Worten ab, wenn sie ihr Desinteresse zum Ausdruck brachten. Sie aßen an einem Stand, an dem es verführerisch duftete. Sharif übernahm die Bestellung und war fast beleidigt, als Leo die Rechnung übernehmen wollte. Georg kaufte ein T-Shirt für seine Tochter, mehr fand er nicht. Leo erstand ein Tuch für Tante Gerda und Honig für die Kollegen. Ob das das richtige Geschenk war? Leo musste schmunzeln und freute sich jetzt schon über die dummen Gesichter der Kollegen, wenn jeder ein Glas Honig in die Hand gedrückt bekam. Leos Laune war bestens. Gerade, als er erneut von einem Tuchhändler angesprochen wurde, lief ihm eine Frau vor die Füße. Es hätte nicht viel gefehlt, und sie hätte ihn umgerannt. Leo konnte sich selbst und die Frau gerade noch festhalten. Sie sah ihn an und Leo konnte die Angst in ihren Augen sehen.

      „Sprechen Sie deutsch?“

      „Ja.“

      „Kann ich Ihnen helfen?“

      „Ich muss hier weg, ich werde verfolgt.“

      Leo musste sich konzentrieren. Was sagte die Frau da?

      „Haben Sie eben gesagt, dass Sie verfolgt werden?“

      „Ja.“

      Leo sah sich um. Georg war mit Sharif in Verhandlungen, wobei es wohl um Gewürze ging. Dann bemerkte er zwei Männer, die sich auffällig suchend umblickten. Das mussten die Verfolger der Frau sein.

      „Kommen Sie mit“, entschied Leo und betrat den Laden, vor dem sie gerade standen und in dem sie mit offenen Armen empfangen wurden. Sofort wurden Stoffe ausgebreitet.

      „Den hier“, deutete Leo auf einen pinkfarbenen Stoff und zeigte auf die Fremde. Der einheimische Verkäufer strahlte und nahm den Stoff an sich, wobei er ihn wie ein rohes Ei behandelte. Durch eine Fülle von Stoffen gab es eine schmale Stelle, durch die man nach draußen sehen konnte. Leo behielt im Auge, was sich vor dem Geschäft abspielte. Er bemerkte die Verfolger, die immer näher kamen. Er nahm dem Verkäufer den Stoff aus der Hand und hielt ihn schützend vor die Frau. Das war geschafft, die beiden Männer gingen weiter. Leo wollte den Stand verlassen, aber der Verkäufer ließ nicht locker. Er redete auf Leo ein, aber der verstand kein Wort. Der bemühte sich redlich, dann endlich verstand Leo.

      „Er will Ihnen ein Kleid nähen. Und so, wie ich ihn verstehe, will er das sofort machen“, sagte er zu der Frau, die ängstlich in der Ecke stand und es nicht wagte, sich zu bewegen.

      Sabine war nervös. Der fremde, freundliche Mann hatte ihr geholfen und sie war ihm unendlich dankbar. Für ein neues Kleid hatte sie jetzt keine Nerven. Sie war kurz davor abzulehnen. War es nicht klug, das Äußere zu verändern? Aber wie sollte sie das bezahlen? Darüber musste sie sich später Gedanken machen, jetzt war nicht der richtige Moment dafür. Sie nickte