"Das schätze ich so an dir, Renate" erwiderte ihr Mann "du bist ja nicht umsonst Analyst bei der Hypersuperbank gewesen. Oder muss ich heute Analystin oder Analystende sagen? Spaß beiseite. Du hast recht. Wir wollen noch was von diesem alten Geizhals und Menschenfeind abgreifen. Aber es sind ja auch noch etliche andere mit im Spiel, die ebenfalls nicht unbedingt seine Freunde sind. Es dürfte in der Sippe ein allgemeines großes Bedürfnis geben, ein ordentliches Stück vom Kuchen abzubekommen."
"Das wird so sein. Aber es gibt wie meistens im Leben viele Unsicherheiten und fehlende Informationen. Bevor wir uns hier großartig erregen und irgendwelche Pläne schmieden brauchen wir eben diese Informationen. Damit wir uns richtig verstehen: ich bin sehr dafür, Vater auszunehmen. Sozusagen als Schmerzensgeld für den vorzeitigen Verlust meiner Mutter. Aber alles was wir tun wollen muss vollkommen legal sein. Wenn wir dorthin fahren, treffen wir auf zirka 30 Leute. Wir, meine drei Schwestern mit ihren Männern. Deren Kinder. Und die Enkel. Die sind ja auch schon alle um die Zwanzig. Das ist ja die magische Altersgrenze: 20 Jahre. Wer jünger ist, muss nicht antreten."
"Da bin ich aber froh, dass dein Vater nicht Adolf Hitler heißt. Der hat nämlich im Volkssturm noch 16-jährige Burschen verheizen lassen. Ja, ich weiß, das war unsachlich. Aber dieser alten Knacker ist für mich genau wie der Adolf damals ein Diktator. Ich bin zwar kein Stauffenberg, aber befinde mich trotzdem im Widerstand gegen diesen Tyrannen. Jedenfalls im passiven."
"Das bringt uns nicht weiter. Ich sage es mal so. Wir beide haben aus unterschiedlichen Gründen ein Interesse daran, dass mein Vater möglichst bald das Zeitliche segnet. Das werden wir nicht beeinflussen können, es sei denn, wir mieten uns einen Auftragskiller. Und so etwas schließe ich aus. Es muss subtilere Wege geben. Aber wir stehen ja ganz am Anfang unserer Überlegungen. Alles ergibt aber nur dann einen Sinn, wenn es sich tatsächlich lohnt. Und das wissen wir eben nicht. Hier müssen wir ansetzen. Wir müssen herausbekommen, was der Alte an Vermögenswerten hat. Da kann ich mal ein paar alte Beziehungen spielen lassen. Aber, was dann genauso wichtig wäre zu wissen ist, wie denn ein eventuell vorhandenes Testament aussieht. Hat er keins, gelten die gesetzlichen Regelungen. Aber das kann ich mir nicht vorstellen. Wenn ich mir meine sauberen Schwestern so ansehe hat sich die eine oder andere schon immer große Mühe gegeben, sich bei ihm einzuschleimen. Das würde ich auch noch in Kauf nehmen, wenn ich sicher wüsste, dass wir bei ihm auf dem Zettel stehen. Wir haben also einige Kopfarbeit vor uns."
Die Ehe von Renate und Jürgen Fuchs konnte man als den üblichen Normen entsprechend bezeichnen. Sie waren jetzt 46 Jahre verheiratet und es gab rein gar nichts mehr, was der eine noch vor dem anderen zu verbergen hätte, weil sie sich in verschiedensten guten oder schlechten Lebenslagen freiwillig oder gezwungenermaßen vor ihrem Partner hatten entblößen müssen. Sie waren aber beide sehr intelligente Menschen die das einordnen konnten, und das nicht als erniedrigend, sondern eher klärend eingeschätzt hatten. Es war die gute geistige Verwandtschaft, die sie immer noch eng zusammenhielt. Renate Fuchs hatte in einer Bank Karriere gemacht und die sie störenden Männer in den oberen Funktionen elegant aus dem Weg geräumt. Sie hatte immer wieder darüber gestaunt, für wie unverwundbar sich diese nur durchschnittlich schlauen Kerle gehalten hatten. Sie hatte deren Verhalten immer erst eine Weile aufmerksam beobachtet und dann schnell herausfinden können, dass fast jeder von ihnen gegen irgendwelche internen Regeln des Hauses verstieß. Das waren keine großen Sachen gewesen, aber diese Typen waren so von sich selbst eingenommen, dass sie ernsthaft geglaubt hatten, sich alles erlauben zu können. Sie lancierte Gerüchte über den Missbrauch von Spesengeldern, der unzulässigen Nutzung von Repräsentationsfonds und der extremen privaten Nutzung von Fahrzeugen und Auslandsreisen. An allem war natürlich immer etwas dran gewesen, so dass die Männer entweder degradiert wurden, oder sogar rausflogen. Sie bahnte sich kontinuierlich ihren Weg nach oben, und war dann zum Leitenden Risikoanalysten (damals wurde die Funktion noch so im generischen Maskulinum bezeichnet, und niemand hatte sich daran gestört) aufgestiegen. Da sie fachlich firm war und auch sehr umgänglich, war auch keiner auf den Gedanken gekommen, dass sie die Strippen für die symbolischen Männermorde gezogen hatte.
Ihr Mann Jürgen hatte ihr, da sie immer alles miteinander besprachen, den einen oder anderen Tipp geben können, denn er war immerhin Leitender Kriminaldirektor in einer Hansestadt gewesen. Berufsbedingt war seine Arbeitsweise stets gut strukturiert gewesen. Er sammelte Fakten, Informationen, Hinweise, dachte über Motive nach, analysierte Zusammenhänge, studierte Tatortberichte, sprach mit Sachverständigen und musste all dies so ordnen, dass er irgendeinen Sinn erkennen konnte. Das hatte er vor seinen Beförderungen im realen Kripoalltag getan, viele Erfahrungen gesammelt, aber auch in etliche seelischen Abgründe blicken können. So etwas sah er auch bei seinem Schwiegervater, aber den hatte er damals nicht heiraten wollen, sondern Renate. Es war ein harter Kampf um sie gewesen, denn seine Frau war in jüngeren Jahren eine Schönheit gewesen, von der man selbst heute noch etwas sehen konnte. Ihr hingen damals ganze Gruppen von Verehrern an den Röcken. Jürgen Fuchs war aber nicht bloß ziemlich intelligent, sondern auch sehr hartnäckig. Letztlich hatte er das Rennen gemacht und wenn er es heute ehrlich einschätzen sollte könnte er aus vollem Herzen sagen, dass die vielen gemeinsamen Jahre trotz aller Tiefen und Höhen für ihn ein großer Gewinn gewesen waren. Er würde seine Renate heute noch einmal heiraten. Ihre drei Söhne waren gut geraten, die Familie hielt zusammen. Gemeinsam würden sie diesen Plagegeist an der Spitze der Sippe irgendwie zur Strecke bringen, natürlich nur mit friedlichen Mitteln. Fürs erste erstellte er sich eine Aufgaben- und Rechercheliste.
Jürgen Fuchs hatte wieder Blut geleckt. Seit seiner Pensionierung und auch in den letzten Jahren als Kriminaldirektor hatte er keinen richtigen Fall mehr bearbeitet. Er fühlte sich jetzt wie vor 30 Jahren, als er irgendwelchen, ihm vollkommen unbekannten Kriminellen auf der Spur gewesen war. Diesmal kannte er das Zielobjekt genau: es war sein Schwiegervater.
Henriette und Klaus-Rüdiger von Schwarzbach
"Natürlich werden wir deinem Vater unsere besten Wünsche zu dessen runden Geburtstag persönlich überbringen, das ist doch wohl selbstverständlich, mein Schatz" sagte Klaus-Rüdiger von Schwarzbach zu seiner Frau "und es sollte doch ein angemessenes Geschenk sein."
"Das wird nicht ganz so einfach werden, mein Liebling" erwiderte seine Frau "wir stecken schon wieder einmal ziemlich tief im Dispo. Vielleicht solltest du deine Besuche auf der Pferderennbahn einmal für eine Weile einstellen. Oder du trennst dich von deinem Oldtimer."
"Beides sind ungebührliche Vorschläge, Henriette. Ein von Schwarzbach fährt standesgemäß zum Rennen vor. Außerdem gehe ich davon aus, dass dein Vater nicht mehr das ewige Leben haben wird, und dann könnten wir ja eventuell mit einer finanziellen Spritze rechnen. Nun, ich will es nicht beschreien, aber bei unserem letzten Treffen erschien er mir schon etwas hinfällig. Vielleicht macht er es nicht mehr lange."
"Das sind böse Worte, Klaus-Rüdiger. Er ist mein Vater."
"Der dich zu seinem 85igsten Geburtstag vor allen gedemütigt hat. Und mich mit. Und das vergesse ich ihm nicht. Dieser alte Sack beherrscht nicht einmal die Regeln des menschlichen Anstands. Aber weil alle auf sein Vermögen scharf sind, schlucken sie alles runter und ducken sich weg. Gut, er hat uns vor 30 Jahren mal 10.000 D-Mark geschenkt. Aber so wie ich ihn kenne, war das doch eine Idee von seinem Steuerberater gewesen. Vielleicht ist das als Spende deklariert worden. Diesem raffgierigen Kerl traue ich alles Schlechte zu."
"Bedenke doch bitte, dass er in seinem Leben viel durchgemacht hat. Als halbes Kind musste er noch in den Krieg ziehen. Das hat ihn sicher traumatisiert und könnte so manche unbedachte Äußerung erklären."
"Aber dass er uns allen beim letzten Familientreffen ausgerechnet zum Essen von seinen Kriegserlebnissen erzählt hat, das war schon ein starkes Stück. Ich habe mir jedes Wort gemerkt, weil ich so schockiert gewesen bin. Ich will dir das noch einmal in Erinnerung rufen. Er hat wörtlich gesagt: "Und dann bin ich mit 16 noch zum Volkssturm geholt worden. Zusammen mit nem Schulkumpel hab ich in nem Schützengraben gestanden. Der Rudi hatte ne alte Jagdflinte, ich ne Panzerfaust und ne klapprige