Strahlend nickte Ruth. An diesem Tag kam sie nicht mehr dazu in die Zeitung zu schauen, Udo wusste sie abzulenken.
Es wurde eine lange, heiße Nacht, die Ruth wieder in ihrer Ansicht bestärkte, die richtige Wahl getroffen zu haben.
Der Montag fing eigentlich wie ein ganz normaler Arbeitstag an. Für den Nachmittag hatte Ruth sich zwei Telefonnummern, von Wohnungen, aufgeschrieben, die sie nachmittags anrufen wollte. Es schien ein vielversprechender Tag zu werden.
Während Udo im Bett geblieben war, beeilte sie sich ihre Werbetour so kurz wie möglich zu halten, dazu suchte sie sich ein Gebiet im nahegelegenen Gruiten bei Mettmann aus. Die Einfamiliehaus-Siedlung, in der ein Haus dem anderen ähnlich war, eignete sich bestens für unsere Werbung, weil die Häuser alle eine Fassaden-Renovierung dringend nötig hatten. Sie waren sicher eine Billig-Baureihe, denn der ehemals weiße Putz blätterte bei den Meisten stark ab.
Als Ruth die Frauen zu Hause abgesetzt hatte schwankte sie kurz, aber dann entschloss sie sich erst ins Büro zu fahren, bevor sie Udo abholte. Denn es war noch zu früh, um Kunden zu besuchen.
Der Chef schien auf Ruth gewartet zu haben, denn er stand im Empfangsbereich des Vorraumes und fiel gleich, mit einem Redeschwall, über sie her: „Gut das du kommst, Ruth. Ich habe einen Sonderauftrag für dich. Du musst morgen nach Nürnberg fliegen, und mein Auto bei Detewe abholen. Das bringst du mir dann nach Berlin. Und bei der Gelegenheit bleibst du mal zwei Wochen in Berlin und zeigst den dortigen Werbedamen mal wie erfolgreiche Werbung geht!“
Ruth fiel aus allen Wolken, lehnte spontan empört ab: „Was? Nein! Das mache ich nicht. Such dir dafür Jemand anders. Was soll ich denn in Berlin?“
Sauer zischte Meier: „Werbung machen, sagte ich ja eben. Die Frauen kommen mit unserer Werbung nicht klar. Die bringen fast keine Adressen rein, obwohl die täglich stundenlang unterwegs sind. Sagen sie jedenfalls. Du musst da mal Schwung reinbringen. Ja, und auf dem Weg kannst du mir doch mal eben mein Auto abholen, oder etwa nicht? Detewe hat da ein Autotelefon eingebaut, und ich brauche den Wagen in Berlin.“
„Dann mach das doch selbst!“ lehnte Ruth konsequent erneut ab.
„Ich habe hier noch zu tun, und auf dem Weg kannst du ja wohl eben das Auto abholen. Jeder andere würde sich freuen mal einen Stingray Corvette fahren zu dürfen. Nach Berlin musst du ja sowieso.“ Beharrte er auf seinem Auftrag.
„Nein, muss ich gar nicht!“ widersprach Ruth energisch.
„Doch, das musst du schon, wenn ich dir den Auftrag gebe. Denn, meine liebe Ruth, wir haben einen Arbeitsvertrag, den du ja unbedingt behalten willst, und in unserem Arbeitsvertrag steht, dass das Arbeitsgebiet von der Firmenleitung von Zeit zu Zeit neu festgelegt werden kann. Und ich verlege es jetzt nach Berlin. Für zwei Wochen. Das hast du doch sicher in dem Vertrag gelesen, nicht wahr? Also Widerspruch zwecklos. Ablehnung kommt einer Arbeitsverweigerung gleich und kann eine fristlose Kündigung zur Folge haben. Willst du das wirklich riskieren?“ trumpfte er zynisch grinsend auf.
Ruth schüttelte den Kopf und versuchte einen anderen Weg: „Ich denke nicht, lieber Bert, dass du damit durchkommen würdest. Denn ich bin verheiratet und habe Kinder, und mit einer Verlegung in ein so weit entferntes Arbeitsgebiet, schaffst du einen sozialen Missstand. Also vergiss mal dein Berlin.“
Meier lachte laut und zynisch als er seinen letzten Trumpf raus ließ: „Nein, liebe Ruth, den sozialen Missstand hast du gerade selbst geschaffen. Du hast dich von deiner Familie getrennt. Also, geh nach Hause, wo immer das jetzt auch sein mag, pack ein paar Sachen und sei morgen Vormittag um elf Uhr hier. Die Maschine geht um drei.“
Als er sah, dass Ruth noch zögerte, und er wohl befürchtete, dass sie es lieber auf einen Crash ankommen ließ, bot er ihr entgegenkommend an: „Damit du nicht weiter stur bleibst, hab ich mir gerade überlegt, dass ich dir zeige, wie viel Verständnis ich für deine Lage habe. Damit du dich nicht von deinem Udo trennen musst, spendiere ich ihm ein Ticket nach Berlin und lasse ihn morgen nachkommen. Ich habe ein schönes Apartment auf dem Kudamm, darin könnt ihr beide wohnen. Also? Noch Einwände?“
Sprachlos schüttelte Ruth den Kopf.
Draußen vor dem Büro traf Ruth auf Norbert Fuchs, der hielt sie mit der Frage auf: „Na, sehen wir uns übermorgen in Berlin?“
Erstaunt erkundigte sie sich: „Wieso? Kommst du auch dahin? Dann kannst du doch die blöde Karre in Nürnberg abholen. Da habe ich gar keine Lust zu. Ich bin doch nicht Meiers Dienstmädchen!“
Norbert lehnte grinsend ab: „Nee, mach du das mal besser, ich habe auch keine gute Erfahrung mit den Vopos.“
„Mit was? Wieso Vopos? Meinst du die Polizisten im Osten? Was hast du denn mit denen zu tun?“ verstand Ruth seine Antwort nicht.
Norbert lachte laut, erklärte: „Ach das hat er dir wohl nicht gesagt? Du musst doch durch die Zone fahren, und Meier denkt, dass du keine Probleme mit den DDR-Behörden kriegst. Ihn haben die doch letztens schon einmal über Nacht eingesperrt, weil er in seinem Mercedes das Autotelefon benutzt hat. Deshalb traut der sich doch nicht mit dem Stingray durch die Zone zu fahren. Also, lass ja das Telefon ausgeschaltet, sonst packen die dich auch in den Knast. Die Vopos sind da rigoros.“
Unter ständiger Beobachtung
Udo war begeistert, freute sich: „Super, ich wollte schon lange mal nach Berlin. Schade, dass ich nicht gleich mit dir nach Nürnberg kommen kann, mit so einem heißen Schlitten wäre ich auch gerne mal gefahren. Wie ich dich beneide, mit einer Corvette über die Autobahn zischen, toll! Ich verstehe dich nicht, dass du da noch meckerst. Berlin ist doch ne tolle Abwechslung. Ich freue mich!“
„Aber dadurch erübrigt sich vorerst unsere Wohnungssuche, sodass ich mir die Anrufe sparen kann. Das ärgert mich, schließlich ist unser Aufenthalt hier nur eine Notlösung, die ich so schnell wie möglich beenden wollte. Außerdem kann ich nicht zischen, wie du dich ausdrückst. Ich muss durch die Ostzone fahren, da gibt es bestimmt Geschwindigkeitsbegrenzung. Und mit den Brüdern von der Volkspolizei ist nämlich nicht zu spaßen.“ Maulte Ruth wenig begeistert.
„Ach Quatsch, das wird doch alles übertrieben.“ War Udo überzeugt. „Und die Wohnung kann doch noch ein paar Wochen warten, wenn wir doch sowieso nicht hier sind, stört uns die Notlösung doch nicht.“
Warum sollte Ruth ihm widersprechen? Er hatte mal wieder in Allem Recht. Dass der Norbert übertrieb war auch möglich, vermutlich weil er auch keine Lust hatte, für Meier den Botenjungen zu spielen, darum hatte er ihr vielleicht eine Räuberpistole erzählt?
Zudem musste Ruth ihrem Udo beipflichten, ein Kurztrip nach Berlin, war doch mal eine Abwechslung, die noch dazu von der Firma bezahlt wurde. Da sie ihren Freund mitnehmen konnte, konnte sie das als einen Ersatz für den verpassten Wochenend-Ausflug sehen. Also, auf nach Berlin.
Als Ruth am nächsten Tag ins Büro kam erlebte sie eine unangenehme Überraschung.
Die Werbedame, Frau Dietze junior, stand ihr strahlend gegenüber.
„Was machen Sie denn hier?“ platzte es Ruth in ihrer Überraschung heraus. Und ihr ablehnender Gesichtsausdruck musste wohl Bände sprechen, denn dieses kleine Luder sagte mit Häme in der Stimme: „Ich komme mit nach Berlin. Ich fliege nachher mit dem Chef.“
„Was? Wozu soll das denn gut sein?“ brachte Ruth mit ihrer Frage ihre negative Meinung zum Ausdruck.
Mit spöttischem Grinsen erwiderte die Dietze dreist: „Damit mal eine Werbedame von hier, den Berlinerinnen verdeutlicht wie Werbung erfolgreich gemacht wird.“
„Und das sollen ausgerechnet Sie denen zeigen? Dazu müssten Sie mal erst Erfolg vorweisen. Bisher habe ich davon nichts gesehen. Oder meinen Sie einen anderen Erfolg? Nicht Kunden-Adressen?“ brachte Ruth brutal die Tatsache auf den Punkt.
„Also Ruth, jetzt lass mal gut sein. Noch entscheide ich hier wer was macht und wo!“ korrigierte der Chef Ruth