Klaus Mann - Das literarische Werk. Klaus Mann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Klaus Mann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754940884
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– rauhe Schale, aber sonst gut beisammen: gerade was die süße Wienerin lieb hat! – schmiegten Arme um Taillen, drückten Schnurrbärte an zarte Wangen. Die Halbwüchsigen – musikalisch bis in die Fingerspitzen und übrigens voll frühreifem Verständnis für Laune und Bedürfnis der Großen – trällerten und pfiffen, alle miteinander: »Wien, Wien, nur du allein – sollst stets die Stadt meiner Träume sein …« Eine Melodie, bei der kein Mädchenfuß stillstehen kann! Selbst die Dicke in der blauen Schürze, die den Bankdirektor gebeutelt und damit die ganze Gaudi in Gang gebracht hatte, wiegte sich rhythmisch. Da keiner der Berliner Gäste sich um sie bemühte, ward sie ihrerseits aggressiv; der junge Mann, den sie schüttelte, war lang und dünn; erst fürchtete er sich, weil er meinte: Jetzt folgt wohl gleich die Maulschelle und alles übrige! Dann ward ihm klar, daß es diesmal wirklich nur um Schabernack ging: da stellte er seinen Mann, nicht schlechter als die Kumpane. Er stürzte sich ins Vergnügen – ein wenig stöhnend; denn das Gewicht der dicken Blauen war kolossal.

      So eine Hetz – das hat’s lang nimmer geben! Seit den Tagen des seligen alten Franz Joseph nicht mehr. Ja, so fesch hat man sich in Wien wahrscheinlich überhaupt noch nie amüsiert.

      »Wien, Wien – nur du allein!« – Walzertaumel bei den Burschen von der SS, der SA, der Gestapo, der Reichswehr, der Polizei, der Hitler-Jugend, den Nationalsozialistischen Studentenverbänden. »Zwei Herzen im Dreivierteltakt …«: das patriotische Hochgefühl vermischt sich wohlig mit den Freuden anderer Art. Österreich ist verloren! Österreich ist verraten! Der preußische Kommißstiefel über unserer Stadt! Hurra! »Das muß ein Stück vom Himmel sein – Wien und der Wein …«

      Die Wartenden vor dem Konsulat blicken sowohl befremdet als auch hoffnungsvoll. Sie denken: Jetzt werden sie alle närrisch. Umso besser – dann wird man uns vielleicht in Frieden lassen. – Die Gasse hat sich in einen Ballsaal verwandelt, die allgemeine Munterkeit ist grenzenlos; auch Bernheim faßt neuen Mut: ›Sie singen so frohe Lieder, vielleicht bleibt mir das Schlimmste erspart!‹

      Die Walzerseligkeit war intensiv; aber doch nicht stark genug, um die Gemüter von den heiter-ernsten Pflichten des Tages völlig abzulenken. Die Halbwüchsigen zwitscherten noch: »Ich weiß – auf der Wieden – ein kleines Hotel …«: da schrillte die Stimme der verblühten Haushälterin: »Er soll putzen – die Bedürfnisanstalt soll er putzen!« Sie vermied das rauhere Wort, das der junge Mann mit dem Geistesblitz verwendet hatte und das dann von der Menge wiederholt worden war: »die Bedürfnisanstalt«, sagte sie spitz und fein. Glücklicherweise fand sich ein solches Lokal an der Straßenecke. Man schleppte Herrn Bernheim hin. Er ward mit Fußtritten, Püffen und lustigen Worten über das schmutzige Pflaster geschleift. Er blutete. Aus einer Verletzung an seiner Stirn lief das Blut, und es tröpfelte rötlich in den Bart. Ach, wohin war seine Würde! Sein edler, menschenfreundlicher Anstand – wohin! War dies noch derselbe Mann, der seine Gäste – Filmvedetten, Staatssekretäre, Professoren – am Portal der Villa, schlicht und feierlich, empfangen hatte? Welche Verwandlung! Welch Sturz!

      Hat das Goldene Wiener Herz kein Erbarmen? Ist ihnen das Opfer nicht genug entstellt? Wenn sie kein Mitleid kennen – spüren sie denn nicht Ekel, angesichts solchen Elends? Und es riecht nicht gut, wo sie ihn jetzt hinzuknien zwingen.

      Sogar etliche Frauen sind mit eingetreten, obwohl die kleine Baulichkeit ein Schild »Für Männer!« trägt. Wer wird zimperlich sein, zu so festlich-orgiastischer Stunde? Die Ungeheure in der blauen Schürze schnuppert munter die scharfen Odeurs, die hier wehen – während die Verwelkte, geniert und freudig erregt, an der Türe stehenbleibt: Eintreten – nein, das würde nicht schicklich sein! Andererseits will sie sich das Schauspiel keineswegs entgehen lassen.

      Das diskrete Häuschen liegt inmitten einer kleinen Parkanlage: glücklicher Zufall; denn hier kann man weiter tanzen. Walzertexte vermischen sich mit dem donnernden Sprechchor: »Den Abort soll er putzen!« Die Melodie setzt sich sieghaft durch: »Nichts Schönres kann’s geb’n – als ein Wiener Lied …« Dann dröhnt es wieder: »Den Abort soll er putzen!« Woraufhin die Mädchenstimmen jubeln: »Das haftet im Herzen – und geht ins G’müt!« – dieses wieder auf das Wiener Lied bezogen.

      Wer hatte denn die scheußlichen Geräte bereit, deren Herr Bernheim sich nun bedienen muß? Was man ihm präsentiert, ist ein Nachttopf, und erst stößt man einmal, spaßeshalber, sein Gesicht hinein. Die zähe, dicke Flüssigkeit, mit der sich sein Antlitz beschmiert, hat dunkel gelbliche Farbe und ist ätzend scharf. Aus was für Ingredienzien hat man diesen üblen, fetten Brei gebraut? Er verbrennt die Haut – erst die des Gesichtes, dann auch die der Hände.

      Das Bürstchen aber, mit dem er diesen Boden säubern soll, ist derartig klein, daß ringsum das allgemeine Gelächter sich noch steigert. Der Wiener Humor kommt wahrhaft auf seine Kosten; in brüderlicher Eintracht mit dem Berliner Witz darf er sich herzhaft austoben. Es ist ja ein altes Zahnbürstchen, ein zerzaustes, jämmerliches Ding, mit dem der reiche Jud den Boden putzen soll – und was für einen Boden! Die Verwelkte meckert wie eine Ziege über soviel drolliges Malheur. Der Alte stellt sich ungeschickt an, er schnauft und wimmert, es ist wie in einer Posse, im »Theater an der Wien« kann es nicht unterhaltender sein. Die Verblühte tut einen kecken Schritt, weiter in das halbdunkle Lokal hinein, das zu betreten ihr von Natur und Sitte keineswegs bestimmt war. ›Die Sitten ändern sich!‹ beschließt sie kühn. ›Und was die Natur betrifft – nun, ich habe niemals viel Spaß und Vorteil von meinem weiblichen Geschlecht gehabt!‹

      Alter Mann auf der beschmierten Erde – du hast Kot und Blut im Barte; du kannst nicht sehen, denn die Augen sind dir von dem verdächtigen Putzmittel verklebt; du kannst nicht sprechen: Scham und Grauen nehmen dir die Stimme; du kannst immer noch leiden, du leidest immer noch. Du bist Hiob, dem der Herr vieles gab, um ihm alles wieder zu nehmen; der Unglücksmann von Uz, den Er mit Aussatz schlug, mit jeglicher Armut, jeglichem Gebreste; den Er stinken ließ und sich im Miste wälzen – Du bist es, wir erkennen dich. Die platte, fleischige Nase, aus welcher Blut rinnt; der entwürdigte Bart – einst deine ehrbare Zierde – die zerrissenen Hände, das zerrissene Herz: es ist uns alles vertraut, die großen Bilder der Menschheit kehren wieder, die Situationen des großen Schmerzes wiederholen sich; du wirst die Stimme heben, Erniedrigter, wirst dir die Brust schlagen, klagen und rasen wirst du: Warum tatest du mir dies, Gott, mein Herr?

      Für diesmal ist es genug; der Klageschrei, die mythische Pantomime der extremen Pein – sie sind dir erlassen; nicht diesen Tieren sollst du sie vorführen, sie würden sie nicht verstehen. Sie sind nur Werkzeuge der Züchtigung, ihre Hirne sind stumpf, und sie wissen kaum, was sie tun. Übrigens bleiben auch ihnen Qual und Schmach nicht erspart, du magst davon überzeugt sein. Es wird für sie Ernüchterung ohnegleichen kommen; wer sich so verirrt und so vergessen hat wie dieses Volk, für den wird die Stunde des Erwachens schon der Augenblick der Strafe sein – ganz zu schweigen von mancherlei anderer Heimsuchung, die ihnen vorbestimmt sein könnte.

      Nun singen sie noch – wie das Geheul von Irrsinnigen gellt es uns in den Ohren. Noch wiegen sie sich, noch stampfen sie vor Vergnügen. Einer von ihnen möchte den besonders Grausamen spielen: er schlägt den Alten, dessen Hände sich nicht mehr regen, mit gewaltiger Kraft auf den Kopf. Gerade dadurch verkürzt er ihm die Qualen: Bernheim verliert die Besinnung. Er sinkt nach hinten, mit verdrehten Augen; die blutigen Flächen der geöffneten Hände nach außen gekehrt – als wollten sie es dem strengen Himmel zeigen: Siehe, meine Hände sind leer! Ich habe nichts mehr, du hast mir alles genommen!

      Dunkelheit nimmt ihn gnädig auf. Er sieht nicht mehr die entmenschten Gesichter seiner Verfolger, er muß nicht mehr ihre schaurig-munteren Lieder hören: den obszönen Chorus der Idiotie; das Triumphgeheul der Verblendeten.

      Tausende haben gelitten wie er; manchen ward noch Schlimmeres zugemutet, andere kamen etwas glimpflicher davon. Ein Strom von Flüchtlingen ergießt sich aus dem gemarterten Land: wohin mit ihnen? Wer nimmt sie auf …? Manche Züge, voll mit Menschen, die sich schon in Sicherheit wähnten, mußten an den Grenzen wieder umkehren: das Nachbarland wollte die Unseligen nicht. Sie bringen Unglück, und sie fressen uns arm – dies war das Empfinden der guten Nachbarn. »Weg mit euch!« riefen sie und verscheuchten die Emigranten wie böse Geister. »Sucht euch ein anderes Asyl! Nicht bei uns! Ihr verpestet die Luft, die ihr atmet!« – Wieviel Tränen flossen