Kishou IV. Michael Kornas-Danisch. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Michael Kornas-Danisch
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754909676
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bemerkte, neben jeder Bank zu finden war. Sie überlegte fieberhaft, was der Breene wohl meinen könnte. In den Kästen lagen Blätter, wie sie bemerkte. Es mussten irgendwelche Formulare sein, erriet sie in Erinnerung an ihr Erlebnis auf dem Wagen.

      „Ach … ach ja, richtig!“, stotterte sie hervor, und lief zurück zu dem Kasten an ihrer Bank. „Ich war so in Gedanken … hab’ ich ganz vergessen!“, meinte sie gequält entschuldigend – bemüht, ihr Gesicht nicht sehen zu lassen.

      Das oberste Blatt war auf ein dünnes Brett geklemmt – ein Stift baumelte an einer Kette daran. Es war tatsächlich ein Formular. Es wies mehrere Spalten auf, über die zu lesen war: Identität, Grund des Aufenthalts, Dauer des Aufenthalts (von: bis:), Gedankengänge (Stichwortartig) usw. Ungläubig betrachtete Kishou das Papier. Einige Blätter waren bereits von Bankbenutzern vor ihr ausgefüllt worden. Sie hatte das untrügliche Gefühl von dem Breenen beobachtet zu werden, der sie angesprochen hatte, so nahm sie den Stift zur Hand und tat, als würde sie etwas aufschreiben, krakelte aber nur in die entsprechenden Spalten hinein. Was sollte sie auch sonst tun …

      Sie legte das Brettchen mit dem Formular zurück in seinen Kasten und wandte sich um. Sie musste warten. Wagen, Kutschen und einiges mehr auf Rädern und Hufe hinderten sie noch daran, auf die andere Seite zu gelangen.

      Was sie in ihrem Lauern auf eine Gelegenheit hinüber zu kommen nicht bemerkte, war, das der hagere Breene hinter ihr das von Kishou bearbeitete Formular aus der Box genommen hatte, und nun aufmerksam betrachtete. Er schob es zurück in den Kasten und verließ eilig den Platz.

      Kishou wurde ungeduldig, der Strom der Fuhrwerke wollte kein Ende nehmen – als plötzlich ein schwarzer langer Stab sich wie eine Schranke vor ihren Körper legte. Sie schaute irritiert zum Anfang des Stabes, und dann in die Augen seines Trägers. Sie hatte in diesem Moment gar vergessen, dass sie dem Gegenüber damit geradewegs Einblick in ihre Kapuze gewährte. Es war einer dieser seltsamen Gestalten in der roten Kleidung, den sie vor dem Portal des besonderen Hauses gesehen hatte – oder zumindest einer, der ihnen gleich war.

      „Es liegt ein Verstoß gegen die Verordnung VOPb 28-13/3715-7 vor! Name?“

      Kishou stockte das Herz. Zeit zum Überlegen war nicht … „Olmar … Olmar Sharie!“, fiel aus ihr heraus. Der Name der Alten aus dem Trachtenhaus im Dritten Tal der Dritten Ebene des Dritten Droms war wohl der unpassendste für sie, der nur irgend denkbar war, aber es war wenigstens überhaupt einer, der ihr in diesem Moment einfiel.

      Der rotberockte Breene fixierte sie Aufmerksam mit seinen Augen. „Ungewöhnlicher Name – ungewöhnliches Gesicht!“, sagte er dann. „Herkunft?“

      Kishous Gedanken überschlugen sich. Ihr wurde plötzlich klar, dass er ihr Gesicht betrachtete – aber seine Reaktion stimmte nicht im entferntesten mit ihren Erfahrungen überein … „Äh … Machnok!“ Immerhin – diese Stadt, an deren Namen sie sich glücklicherweise erinnerte, gab es ja wirklich in diesem Drom. „Also nicht direkt aus Machnok!“, versuchte sie auch hier einen möglichst vertraulichen Plauderton. „aus der nahen Umgebung von Machnok, aber …“

      „Existenznachweis!“, wurde sie unterbrochen. Der seltsam gekleidete Breene streckte fordernd, und scheinbar tatsächlich vollkommen unbeeindruckt von ihr, seine Hand aus.

      Hier war es zu Ende. Der Breene reagierte nicht auf ihren Anblick, und Kishou hatte nicht die geringste Ahnung, was er von ihr forderte – und was immer es war, sie konnte auch nichts dergleichen besitzen.

      „Existenznachweis?“, fragte sie in offener Hilflosigkeit, während ihre Gedanken heillos in ihrem Kopf umherirrten.

      Der Breene antwortete nicht. Seine weiterhin fordernde Hand war für ihn wohl Antwort genug.

      Kishou kramte Zeit schindend in ihren Taschen herum … „Ich hatte das doch … vorhin noch!“, log sie schlecht. „Vielleicht hab’ ich es versehentlich …!“

      „Folge mir zur Identitätsprüfung!“, war die unmissverständliche Reaktion des Roten. Sein Stab schob sich in ihren Rücken und drängte sie vor sich hin in die Richtung des Portals des großen Hauses mit dem Glockenturm. Sie ließ es willenlos geschehen während sie fiebrig nach einer Rettung suchte. Es gab keine. Erst jetzt wurde ihr auch wirklich klar, dass der Breene ihr Gesicht intensiv gemustert hatte – und nicht auch nur ansatzweise in der Art reagierte, wie sie es immer gewohnt war!? ‚Ungewöhnliches Gesicht’ was alles, was er sagte …

      Ihre kreisenden Gedanken begriffen den tatsächlichen Ernst der Lage wohl erst, als sie vor dem Rotberockten – es war tatsächlich einer der beiden, die sie gesehen hatte – die breite Treppe zum Einlass des Hauses emporstieg. Blitzartig bückte sie sich unter dem drängenden Stab in ihrem Rücken hinweg und sprang die Treppe hinunter. Sie vernahm einen schrillen, scharfen Pfiff, während sie ohne Rücksicht auf Breenen und Fuhrwerke auf die Straße und zwischen die Wagen sprang. Sie sah nicht die Köpfe, die sich unter den vielen Breenen schlagartig in die Richtung des Pfiffs umwandten, während sie sich unter dem Leib eines Zugtieres hindurchrollte und endlich die andere Seite erreichte. Sie hetzte durch die Menge, als diese plötzlich seitlich zu den Hauswänden hin auswich – bis auf einige, die hinter und vor ihr direkt auf sie zukamen. Sie zogen etwas aus ihren Taschen. Einer von ihnen, der ihr bereits nahe genug war, dass sie genauer sehen konnte, was er dort aus der Tasche zog, ließ sie erahnen, worum es sich dabei handelte. Der Besondere Apparat, der sich da auf sie richtete, hatte eine Öffnung, wie sie sie unlängst schon einmal gesehen hatte, und von Habadam erklärt bekam – es war eine kleine, quadratische Öffnung.

      Spätestens von diesem Augenblick an war kein Gedanke mehr in ihr. Ein mächtiger Satz, der zwei vor einem Geschäft stehende Breenen von den Füßen riss, beförderte sie durch dessen geöffnete Tür. Die darin befindlichen Breenen wichen erschrocken aus, als sie durch den Raum stürmte. Eine Glastür an seinem hinteren Ende wurde eilig zugestoßen – ein Schlüssel drehte sich in seinem Schloss. Kishou sprang ungebremst in vollem Lauf durch ihren gläsernen Rahmen, noch bevor der Schlüssel abgezogen war. Ein kurzer Flur führte in einen weiteren Raum. Sie riss ein Fenster darin auf und sprang hinaus. Sie landete in einem Hof. Eine kleine Tür im gegenüberliegenden Gebäude öffnete sich in diesem Moment, und ein Breene trat heraus – er erhob gerade seine Hand mit diesen Besonderen Apparat …

      Mit einem kurzen Ruck ihrer Hand entwickelte sich der Bogen aus seinem Tuch, während ihre rechte aus dem Mantel den Pfeil aus dem Halfter zog. Der Gleim hatte nicht einmal mehr die Gelegenheit sein Ziel aufzunehmen. Von der Wucht des Pfeils in der Stirn getroffen, fiel er hinten über, zurück in den Zugang, aus dem er gekommen war. Sie setzte über ihn hinweg und rannte durch den Flur zu dessen Ausgang. Sie fand sich in einer engen, leeren Gasse wieder, und hetzte durch sie hindurch – als plötzlich irgend etwas ihr jäh Einhalt gebot … Jemand riss sie im vollem Lauf zur Seite weg. Sie fiel einige Stufen einer Treppe hinunter, und hörte noch, wie eine Tür hart in ihr Futter schlug – dann spürte sie die Spitze eines kalten Eisens an ihrem Hals und das Keuchen seines Besitzers …

      Von draußen war das Getrappel von eiligen Schritten zu hören. Schatten huschten immer wieder an den zwei kleinen, von Schmutz blinden, knapp unter der Decke befindlichen Fensterschlitzen vorbei.

      Die Schritte wurden leiser und bald war es still.

      „Deine Hände! Zeig mir deine Hände!“. Es war nur ein dämmriges Licht in dem Raum, wo sie sich nun befand, und es roch etwas modrig. „Deine Hände!“, hörte sie noch einmal hinter sich die befehlende Stimme.

      Kishou ließ die Bogensehne über ihre Handfessel fallen, um ihn nicht preiszugeben und öffnete ihre Hände.

      „Die andere Seite!“

      Sie drehte ihre Hände um.

      „Gut! Es heißt, es gibt einige Änderungen!“

      „Was?“ Kishou meinte nicht richtig verstanden zu haben.

      „Ich sagte, es heißt, es gibt einige Änderungen!“

      Kishou überlegte einen Moment, konnte aber nichts mit den Worten anfangen. „Ich versteh nicht, was du meinst!“