bernsteinhell. Roma Hansen. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Roma Hansen
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738043129
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sie schimpfend die stehen gebliebenen Passanten, die das Unglück ihres Jungen zu begierig verfolgen. Deren wartende Menge durchquert Helena achtlos. Eben schlägt in der Ferne die Heringsdorfer Kirchenuhr drei Mal und rüttelt Helena aus ihrem Schreck auf. Sie trippelt, so schnell es geht in engen Stiefeln, zum Garten am Lehrerhaus. Dort steht bereits Emilie in der Haustür und mustert durch ihre Brille die Eintretenden. Wie eine Gastgeberin, die auch im letzten Winkel im Hinterkopf nur ans Gelingen denkt, alles im Griff hat.

      Trappelnde Absätze dröhnen in dem geräumigen Flur, warm von dem Kachelofen, der von hier alle Räume wohlig beheizt. Davor steht Magd Rosa, die Helena mit lauer Gebärde Laterne und Mantel abnimmt. Am Garderobenspiegel zieht Helena die Hutnadel heraus, legt ihren grauen Filzhut ab, zupft ihre schwarze Bluse glatt, tastet zum Bernsteinanhänger. Sie nickt sich aufmunternd zu, um den Vorfall an Marthas Haus zu vergessen, und das Omen im ovalen Schmuck wahrzunehmen. Sie eilt den Anderen in die Mitte der längsseits zum Fenster mit Blick zur Straße ausgerichteten Stube nach.

      Helena tritt hinter der Hausherrin herein, grüßt die Freundinnen vor dem Tischchen am Bücherregal, nimmt sodann ein ausgelegtes Werk zur Hand. Neben ihr befragen, übertönen sich gegenseitig die Frauen, erwägend, was sie daheim lesen, und mustern nebenbei Helena mit raschen Seitenblicken, in denen der Anstand spricht, den ihre schwarze Bluse einfordert.

      Das Buch, und ihr mitgebrachtes, legt Helena ab. Sie spürt, ihre Haltung wackelt. Sie hätte sich anders kleiden müssen! Ihr schwanen lästige Bemerkungen, und die erstickten nur willensstarke Antworten.

      Bald äußert Emilie am Kopf der Tafel laut vor ihren Gästen:

      „Rosa, schenke den vollmundigen Assam der Westindien Company aus. Von einem Sangesbruder ergatterte mein Johann ein ganzes Pfund. Welch einen Duft er hat, und golden anzusehen ist, mischt ihr Milch hinein! Der Tee gewinnt an Leichtigkeit, nehmt ihr hinein nur von den weißen Kluntjes.“

      Als serviert ist und sich Löffelchen leise klirrend in den Tassen drehen, stellt Emilie fest, Rosa vergaß die Likörkaraffe zwar nicht, in allen Gedecken aber die Gläser. Sie rückt ihre Nickelbrille empört an der Nase hoch, und winkt Rosa herbei.

      „Zum Brombeerlikör reiche uns Langstielige aus der Vitrine, danach sei fürs Erste entlassen.“

      Rosa erfüllt es auf der Stelle. Dann stellt sie Bücher im Regal exakt in die Reihen zurück. Beauftragt nachzuzählen, lugt sie in die darunter gestellten Taschen, aus denen kantige Einbände vor schauen. Bevor sie hinausgeht, stellt sie die Spendendose zum Bau der Kirche auf das Tischchen.

      Emilie kredenzt allen Likör, hebt danach impulsiv ihr Glas und ihre Stimme für eine Begrüßung.

      „Mein strebender Geist liebt es, sich sonntags vor trister Routine zu drücken! Nehmen wir Anteil aneinander, doch nicht zu viel, wir wollen ja zurückfinden können aus allem, was vorgeht. Genießen wir die Stunde Teekultur, während unsere Ehemänner die im Gesang erprobten Kehlen strapazieren. Das sichert den häuslichen Frieden.“

      Sie kichert dezent, genehmigt sich ein Schlückchen, deutet einladend dann an die Platte mit Gebäck und Streuselkuchen. Ihr dankt zustimmendes Gemurmel.

      Links von ihr sitzt Eugenia, eine dürre Frau Mitte Vierzig, die sich als Hausdame in Haus Berthold bessergestellt weiß als manch andere Angestellte. Hier in der feinen Umgebung erstrebt sie nur das Gebührliche, führt die Kuchengabel langsam zum Mund.

      Eben mustert Eugenia der Wandhalter hübsche Schmiedearbeit, in deren Petroleumflammen hell brennen, neben einem Gemälde von Gesteinen auf grüner Alm. Still krittelt sie: Das Brennöl tritt an gegen das Nebeltrübe am Fenster, aber zeichnet Emilies Kinn in harter Kontur in ihrem perfekten Puder gegen das Alter, und blass macht sie ihr hellblaues Kleid. Ihr Streuselkuchen mundet auch nicht, weil Emilie unsere existentiellen Unterschiede ob der Ehemänner überging. Das hörte Tine, Witwe seit Jahren, die ihr Kurzwarengeschäft mit Trikotwäscheabteilung führt. Überaus modisch wirkt die blusige Jacke ihres Kostüms. Solch samtiges Grün hat etwas.

      Eugenia reibt über den Stehkragen ihres grauen Kleides, der unter dem Kinn einen blassen Hautstreifen zeigt. Sie neigt sich zu Helena neben sich, hüstelt kurz, zischt dann laut heraus:

      „Hübsch gekleidet bist du heute, mit extra Schmuck für uns. Es geht dir wohl? Und weshalb so bald?“

      „Herrjemine!“, protestiert Helena. „Nun, mir geht es wegen der Handarbeiten gut, die ich so bald wie möglich verkaufe.“

      Rasch zeigt sie Eugenia ein Stofftier, reicht andere weiter an Hanna. Deren Drallheit erbebt. Die bekundet ihr Talent, im Haus von Gemeindevorsteher Kurth auf den Tisch zu bringen, was seiner Wirtschafterin bekömmlich ist. Auch Anderes entgeht ihr nicht. Und wissbegierig schlägt manchmal ihre Zunge zu, die nur spontan ruht, ängstigt Hanna sich, aber kaum vor den Geschöpfen aus Wolle. Ihr Blick huscht an Helenas zerstochene Finger.

      „So kommt eines zum anderen. Und du, Helena, stirbst nicht vor Einsamkeit. Auch isst du gesittet wie vornehme Herrschaft mit der Gabel, bist nicht nur in derber Arbeit, sogar auch mit Nadel und Faden geschickt! Was brachte dich so weit?“

      „Hanna, deinen Augen entgeht wohl nichts, du hast dein Gespür im Nähkästchen dabei. Nun ja, bei meinem winzigen Sticheln öffnen sich mir mächtige geistige Kräfte, und machen fast alles gut.“

      Emilie beugt sich bei diesen Details interessiert zu ihr.

      „Du hast dein unproduktives Trauern bereits hinter dir?“

      Statt einer Antwort erhält Emilie einen Hasen, der ihr den Mund schmal legt und ihre Anteilnahme so verstummen lässt wie die die gestrickten Ohren des Hasen schweigen. Ein nagendes Gefühl flößt ihr der Hase ein. Nach einer Weile ihn betastend, redet und nickt Emilie in die Runde.

      „Er entspringt einer allzu bunten Phantasie! Mir wird kaum gelingen, mich daran oder geschweige zu der simplen Handarbeit aufzuschwingen. Die Talente in Nadelarbeit fehlen mir gänzlich. Ich widme ich mich lieber der Förderung von literarischen Höhen!“

      „Dir und mir mag es unmöglich sein, geistige Gedanken einzufangen, indem wir etwas in ihrer Art zu nähen vorhaben“, stimmt ihr Eugenia zu, und trocken sich räuspernd. „Ich spiele auch sonst niemals mit irgendwelchen Kräften außerhalb meines Geistes, aber gebe zu, in die Herstellung von Spielzeug könnten mehr Impulse eingehen, als unserem ersten Blick erkennbar wäre. Täte aber ich das, würde ich Spott ernten.“

      „Was du nicht sagst!“, ruft Hanna, verschluckt sich am Tee und japst ungeniert, sodass Tine, schräg gegenüber sitzend, ihr den Rücken klopft, damit sie die Kehle frei hüstele.

      Nachdem Hanna sich gefasst hat, erneut ihrem Teller widmet, reicht Helena aus der Tiefe ihres Beutels den zurückgehaltenen Fuchs an Tine. Den in damit spielenden Händen betrachtend, hebt Tine spontan den Kopf, wobei ihr rotblonder Haarzopf vibriert wie die Rute des Fuchswelpen.

      „Nichts taucht nur so auf, Eugenia“, rügt Tine verhalten. Nach einem Atemzug eröffnet sie Helena: „Meine liebende Seele federt hoch, werden mir geklöppelte Deckchen aus der Domäne der Frauen angeboten. Keine kam auf deine gewiefte Lösung solcher Materialien! Davon abgesehen“, Tine legt einen Daumen auf einen Bernstein, dann den Fuchs vor den Teller. Schon quillt Tiefe in ihre Stimme. „Stürzt du mitunter nicht ab? Lehren dich die Tiere etwa den festen Boden? Sag ehrlich, Helena.“

      „Na! Der Sand rutscht unter allen manchmal weg. Ich genieße diese Arbeit, wie einen ersehnten ... mir erfüllten Traum.“

      Eugenia duckt sich, zieht ihr Kinn herab, korrigiert sich jäh, und dreht sich zu Helena.

      „Hoffentlich folgt kein böses Erwachen. Dein Traum ist auf Sand gebaut. Glaubst du etwa, du erhältst, wonach du greifst?“

      Tine zerhackt heftigst ihr Plundergebäck am Teller. Die Krümel hemmen kaum ihren Redeschwall.

      „Wage zu träumen, Eugenia! Du stampftest dereinst ob deines Wertes auf, deshalb wurdest du Witwe! Ich siege, indem ich mein sanftes Inneres nach außen gebe, meine Klärung, die, den Spieß umzudrehen.“ Innig zum Füchslein lächelnd, winkt Tine ab. „Nun, an anderen Einsamen leiste ich