bernsteinhell. Roma Hansen. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Roma Hansen
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738043129
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weiter, bis er zufrieden brummt: „Nach dem Schleifen machen Wachs oder Fett unebene Spuren unsichtbar. Und reibst du den Schmuckstein auf dem Leder deiner Fellweste, entsteht eine hohe Temperatur, davon glänzt er.“

      Mit dem Ergebnis zufrieden und sogar freudig erregt von den künftig sich ergebenden Möglichkeiten, nimmt Helena aus ihren Utensilien am Spiegel der Schlafkammer ein Samtband. Sie fädelt eine Schlaufe durch den Anhänger, bindet die Enden hinter ihrem Hals zusammen. Der kostbare Schmuck wirkt vor Joos’ altem Arbeitshemd wie ein verirrtes Kleinod. Helena lacht schallend, gurrt ein wenig, ruft dann durch die offen stehende Tür:

      „Ich brauche passendes Darunter, wäre sonst für die Katz!“

      Sie geht grinsend zu Ansgar hinaus, der am Küchenfenster nach Vedder ausschaut. Er dreht sich zu ihr, kichert wie sie.

      „Warte, was erst Vedder sagt. Bist sowieso bedeutend für ihn. Trägst du ein feines Kleid, ergreift er die Flucht!“

      „Darin täuschst du dich!“, tönt es an der Hintertür.

      Vedders Augenhelles glüht, während er seine frostigen Hände reibt. Er rückt die Fellkappe aus der Stirn, schaut von unten hoch über Ansgar, dem er das selbstgefällig gereckte Kinn mit einem Haken polieren mag. Dies zutiefst zu tun, stellt er sich vor. Er unterlässt es, spürt sein Vertrauen im Argen, und, ihm schmecke vor lauter Unvermögen sowieso sein Mund sauer. Schwer zu ertragen, würden hernach alle seine Felle davonschwimmen, er wohlmöglich Helena an Ansgar verliere.

      „Wärme dich am Kamin, Vedder.“

      Ansgar drängt mit einer Hand und grinsend, Vedder hinüber. Im selben Dreh schlägt dessen Arm an gegen seine Direktive, mit in etwa einem Fünftel der zornigen Hilflosigkeit.

      „Kaminfeuer kühlt dich wohl nicht“, erfasst Ansgar, und was aus Vedders Augen fliegt. Zu ihm kehrt der vorherige mentale Schlag um, sein Vedder alleine hinaus in den Wald schicken. „Mach halblang, Freund. Du führst dich auf, als müsstest du durch eine Wand, wo gar keine ist!“, knurrt er, ohne an irgend ein helfendes Wort zu denken.

      Gegenüber stehen sie sich, stumm ihre Zwietracht billigend. Vermeintlich verteidigt der Eine, indes der andere abwehrt, was augenscheinlich über bordet. Vedders Blick ähnelt Ansgars, allerdings fühlt er bei sich mehr Brodeln zu Kopfe steigen.

      „Nun sage ich, was wir machen! Dreh bei, Ansgar! Ausbooten lasse ich mich von dir nicht!“

      „Ich jage sie dir nicht ab! Freundlichkeit verbindet uns. Schon mal gehört? Auf Freundschaft jage zu, um deinetwillen.“

      „Reicht erstmal!“, knurrt Vedder. „Zwei Fuhren an Brennholz brachte ich. Passt das Wetter, hole ich mehr.“ Helena sieht er nicken und zustimmen. Er weist zur Tür. „Dem Gaul erfrieren die Hufe, ich will vorm Dustern heim!“

      Ansgar holt Kiste und Jacke aus der Werkstatt, und flüstert im Hinausgehen Helena wehmütig zu: „Kein Übermut vorhanden.“

      Er kraust die Brauen, zuckt mit seinen Schultern. Helena ahnt, er wird Vedder Kontra geben. Daran wäre freundlich, es nicht ihre Ohren hören zu lassen, hätte er es sofort in klaren Worten getan. Innerlich schlägt sie drei Kreuze vor Vedders Schweigemauer, und seufzt über sich:

      „Er übersah meine schmucke Brust und fand kein lobend Wort! Rike, du gute Freundin, du spurtest nur Ansgar in Takt hinein.“

      Im Wintermantel geht Helena kurz noch über den von vielen Schlittenspuren durchkreuzten Hof auf den Asthaufen neben der Scheune zu, und bricht in Freudenjauchzer aus. Einen knorrigen Ast hebt sie an und merkt unmittelbar, mit welch großer Hingabe Vedder den Vorrat herschaffte, und seine Zuneigung versteckte. Für einen Moment spürt sie eine zerknirschte Anwandlung, und legt den Ast zurück. Im Aufrichten schweift ihr Blick auf den Horizont über der Ostsee.

      Doch, ja. Der Gedanke an versteckte Zuneigung bewirkt auch ein Bejahen von mehr Begegnungen. Neben Vedders zu erwartenden Neuantritt, endet ihre Abkehr von anderen. Wie gewaschen sieht Helena ihren Willen für etwas Gutes aus den Fluten steigen und als Wetterpfeil voraus deuten an den Sonntag. Sie kehrt in erneuerter und schon heiterer Voraussicht um. In der Küche hängt sie den Mantel an den Haken hinter der Tür, und schnellt zur Kleidertruhe in der Schlafkammer, wühlt darin nach etwas Passendem zu ihrem neuen ovalen Schmuck.

      9

      Am nächsten Sonntagnachmittag eilt Helena, knapp an Zeit, durch die Schleier frostiger Luft vor den Ahlbecker Hausfassaden. Der lange Atem des Winters gibt noch nicht auf.

      Ihr in Sorgfalt gewählter knöchellanger Rock mit bauschigem Volant wippt im Mantel um die Beine. Helena fühlt sich herausgeputzt mit den schmalen Schnürstiefeln, in denen sie durch den krustigen festen Schnee balanciert. Unter dem Arm stecken, an der Laterne für den Heimweg, ein Buch und ein Beutel mit den Tieren, den Freundinnen zu zeigen. Sie treffen sich bei Emilie, derweil der Lehrer die Chorprobe vom Männergesangsverein im Kurhaus leitet.

      Zum Haus von Martha biegt Helena ein, die mit ihr geht. An der Straßenecke dröhnt das Hufklappern einer geschlossenen Kutsche auf und wird zunehmend lauter. Aus entgegengesetzter Richtung jagt in rasender Fahrt ein leicht gebauter Einspänner auf hohen Rädern heran. Helena prallt zurück vor dem auf sie zu galoppierenden Pferd in ledernem Geschirr. Einige Passanten, sonntäglich aufgetakelt mit Hüten und Kappen, queren noch die Straße und trippeln jäh los, sodass der Kutscher gar nicht anders kann und ablenkt, das Zweigespann herumreißt.

      Geistesgegenwärtig presst Helena sich an ein Haus. Der Pulk der erschreckten Leute bedrängt sie, raubt etwas die Sicht auf den Beinahezusammenprall beider Wagen. Die Kutsche entwischt kaum dem Einspänner, schliddert über das Kopfsteinpflaster, ein linksseitiges Rad streift knatternd einen Laternenpfahl. Um einem nächsten auszuweichen, greift der Kutscher in die Zügel. Zu hastig, die Kalesche ruckt aus der Spur. Die trabenden Pferde werfen ihre Köpfe hoch, auch vom Aufschrei der Menschen wie aus einer Kehle erschreckt. Sie straucheln im verharschten Schnee, doch fangen sich, reißen im Vorwärtsschießen das Gefährt mit sich. Es schlittert nach gegenüber, zu den Pfosten der Einfahrt bei Marthas Haus.

      Dort stiert der schwarzen Breitseite des kollernden Kastens und dem alten Gesicht am Fenster ein schmächtiger Bub entgegen, panisch erstarrt. Das hintere Speichenrad rollt rasant auf den Kleinen zu, quetscht ihn in Sekunden an den Pfosten. Ohne das zu bemerken, zieht die Kutsche vorbei.

      Rasch ist sie fort. Zurück bleibt von der tückischen Bedrängnis ein geräuschloser Moment. Dumpf lärmend bricht er. Neugierige Anwohner gesellen sich den Passanten zu. Helena schaut einzig auf den Jungen, den Riss in seiner Jacke. Ihr Signal. Sie stolpert über die vereiste Straße hinüber zu dem, der sie erblickt, und wiederholt dann auch hinüber zu der Straße.

      „Is er wes?“, lispelt er.

      „Ja, wie dreist! War es ein arg schlimmer Schlag?“

      Schmerzvoll stöhnt er, neigt sich dann und spuckt einen von blutigen Fäden durchzogenen Schwall in den Schnee. Er fischt mit der Hand den ausgeschlagenen Eckzahn heraus.

      Martha eilt im wehenden Mantel herbei, schmiegt ihren Sohn an sich, tastet hektisch aúf Arme und Beine, über sein blondes Haar, sieht dann Helena an, dämpft ihre Stimme.

      „Gemeine, widerliche Kinderschänder! Mein lieber Gatte glaubt und sagte vor wenigen Minuten erst: Nach dem Unglück von neulich käme nichts mehr, den Alten wären wir los. Künftig müssen meine Jungs noch besser aufpassen, das meine ich.“

      Helena erinnert sofort den verletzten Rotschopf. Sie nickt kurz nur, schüttelt dann jedoch vehement den Kopf und flüstert: „Dies Pech heute kuriert ihm hoffentlich seine Annahme.“

      „Mir glaubte er seither nicht, sie hätten es auch auf mich abgesehen, beobachten mich, als täte ich das Verwerfliche, obwohl wir bloß aus der Misere heraus wollen“, ergänzt Martha, indes sie Helena beschwörend anblickt, schon vorausdenkend. „Schade, das Teekränzchen ist kalter Kaffee, ich wäre gerne dabei, wo wir dich so lange nicht sahen. Erzähl ihnen nichts, versprich es!“

      „Wie