»Bald wieder richtig gut, hoffe ich«, war meine Antwort. »Wann geht der nächste verfügbare Flug in den Sinai?«
»Moment bitte, ich schau mal nach.«
Er setzte sich suchend vor seinen Computer, während ich aufgeregt von einem Fuß auf den anderen trat. Die Plastikblumen auf dem Tresen erinnerten mich an die Rezeption des Camps in Dahab. Da hatte ein ähnliches Sträußchen den Tisch geziert, genauso kitschig und genauso verstaubt.
»Am 14. November, also in knapp drei Wochen habe ich einen günstigen Platz frei … aber warten sie … nein, da gibt es keinen passenden Rückflug. Dann ...«
»Den nehme ich!«, platzte es aus mir heraus, »ich fliege one way.«
Noch am selben Tag gab ich auf der Arbeit meine Kündigung bekannt, schrieb einen Brief an die Uni zur Exmatrikulation und berichtete Klaus von meinen Plänen. Er war einerseits betrübt, mich gehen sehen zu müssen, andererseits konnte er mich sehr gut verstehen. Meine unstillbare Liebe zum Sinai war oft Inhalt unserer Gespräche gewesen und manchmal glaubte ich, Klaus hatte als einziger eine ungefähre Ahnung, wie stark diese Verbundenheit war. Ich hatte oft erwähnt, dass ich gerne einmal für längere Zeit dort leben würde, aber nie gedacht, den erforderlichen Mut dazu aufbringen zu können. Mein Freund war derselben Meinung: Eine akademische Ausbildung ohne ausreichende finanzielle Mittel sei kaum zu bewältigen und konnte nachvollziehen, dass ich diesen ungeheuren Tiefschlag erst einmal allein verarbeiten musste. Drei lange Jahre hatte ich damit verbracht, neben meinem Job als Bauzeichnerin mein Abitur nachzuholen, immer mit der Vorfreude auf das anschließende Studium ... Und jetzt das!
Meine Freunde hatten für mich eine sensationelle Abschiedsparty veranstaltet und gaben mir viele gute Wünsche mit auf den Weg. Eine meiner besten Freundinnen, die den Sinai schon mal mit mir bereist hatte, fragte mich, ob ich zum nächsten Semester zurückkommen würde. Während ich mit der Antwort lange gewartet hatte, wurde mir bewusst, dass ich darauf keine klare Antwort hatte. Ich sagte ihr, ich wüsste es nicht. Die Enttäuschung, nicht studieren zu können, war allgegenwärtig und niederschlagend. Ich war soweit mir vorzustellen, eventuell gar nicht mehr wiederzukommen. Denn da war zusätzlich diese ganz starke Sehnsucht nach einer Familie, so wie es damals bei meiner Großmutter noch war oder wie ich sie bei den Beduinen kennengelernt hatte. Ich sagte ihr, ich würde das kommende Semester voll ausnutzen, um die Sprache zu lernen und mir Klarheit über meine weitere Zukunft zu verschaffen.
Drei Wochen später stand ich mit 90 Kilo Gepäck am Flughafen.
In Sharm El Sheikh gelandet, entschloss ich mich, von dort aus zuerst nach Dahab zu fahren und Sahi einen Besuch abzustatten. Er war sehr angenehm überrascht, mich schon so bald wiederzusehen.
Was mir in Dahab am besten gefiel, waren die Abende, an denen ich mit anderen Touristen in die nahe liegenden Wadis fuhr, um dort zu übernachten. Es gab für mich nach wie vor nichts Schöneres, als bis spät in die Nacht hinein mit den beduinischen Fahrern zusammen zu sitzen und mir aus ihrem Leben berichten zu lassen. Hungrig nach immer neuen Einblicken in ihre Traditionen und Gebräuche, ließ ich mich mit Informationen füttern. Da die Fahrer sehr begrenzt englisch sprachen, wuchs außerdem mein arabischer Wortschatz recht schnell. Sprachen ließen sich meines Erachtens wesentlich besser lernen, wenn man versuchte, sie zu sprechen. In der Universität war man der Sprache sehr theoretisch begegnet und ich freute mich nun, sie endlich praktisch anwenden zu können.
Abjad
»Wer Großes versucht, ist bewundernswert, auch wenn er fällt.«
- Lucius Annaeus Seneca -
Da mein Geld sich rapide verringerte, musste ich mir etwas einfallen lassen, wie ich den verbliebenen Rest sinnvoll einsetzen konnte, um hier über die Runden zu kommen. Vielleicht hätte ich in Berlin besser noch eine Weile arbeiten sollen, um mir ein Startkapital anzusparen, aber ich war so frustriert und trotzig gewesen, dass ich mich von meinen Gefühlen geleitet zu diesem schnellen Abflug entschlossen hatte. Bisher hatte ich es nicht bereut, aber etwas musste geschehen, wenn ich nicht bald betteln gehen wollte.
Seitdem ich Deutschland verlassen hatte und hier, viel mehr mit mir selbst konfrontiert war, kam es immer öfter vor, dass meine Gefühle tief in meinem Inneren aus dem Nichts heraus aufkommende Konversationen abhielten.
›Jetzt wäre es gut, ein Kamel zu besitzen‹, sprach in mir die Abenteuerlust plötzlich, als ich eines Morgens im Wadi gerade meine Sachen verstaute, ›dann könnten wir noch hierbleiben.‹
›Au ja!‹, jubelte die Muse.
›Welch verrückte Idee!‹, konterte der Verstand.
Die Touristen, mit denen ich zum Übernachten in die Wüste gefahren war, drängten jedoch vehement zum Aufbruch an den Strand und unterbrachen meine Gedanken. Ich hingegen schätzte bei diesen Ausflügen besonders die frühen Stunden. Daher wachte ich schon mit dem Sonnenaufgang auf und nutzte die Zeit der morgendlichen Frische, durch die stille Einsamkeit der Wüste zu laufen. Immer weiter die schmalen Pfade hochsteigend, erfreute ich mich an der nahezu unberührten Schönheit der Wildnis, den Farben, Pflanzen und den verschiedenen Steinformationen. Sie inspirierten mich, meine kubistische Ader auf Papier zu übertragen. Wenn ich mich stark auf eine Felswand konzentrierte, sah ich nach einiger Zeit Gebilde, manchmal gar Szenen, die sich aus dem Gestein heraus schälten und mich geradezu drängten sie malerisch festzuhalten. Das Skizzenbuch war mein ständiger Begleiter. Mir wurde nie langweilig, ich konnte wandern, meinen Gedanken freien Lauf lassen, schreiben, oder auch einfach nur den verspielten, schwarz-weißen Vögeln bei ihrer Morgentoilette zusehen. Manchmal meditierte ich und war nicht überrascht, wie viel schneller es mir in der kargen Landschaft gelang, Klarheit aufzubauen. Wenn ich manchmal zu lange wegblieb oder die Abfahrt der anderen Touristen absichtlich nicht wahrnahm, musste ich zu Fuß, circa eine Stunde, zum Ort zurückmarschieren. Ich fuhr immer mit denselben Beduinen in die Wüste und diese wussten inzwischen, dass sie mich ruhig einfach zurücklassen konnten. Ich lief gerne zu Fuß, allerdings ging der Rückweg durch eine wenig einladende, mit Müll überhäufte Ebene, deren Weg sich unbarmherzig in die Länge zog.
Auf die Dauer war das nicht erquickend und so schien mir auf einer Rückfahrt, eingezwängt zwischen den Touristen, auf der Ladefläche eines Pick-up sitzend, der abenteuerliche Gedanke, ein Kamel zu besitzen, äußerst praktisch. Außerdem könnte ich mit einem eigenen Wüstenschiff Safaris für die Touristen anbieten, damit Geld verdienen und gleichzeitig endlich auf eigene Faust die wirkliche, tiefe Wüste erkunden. Ich war mit einem Mal wie besessen von meiner spontanen Idee und kannte mich gut genug; wenn mich einmal ein Vorhaben so richtig gepackt hatte, musste ich es einfach verwirklichen. Schon allein aus der Angst davor, mir später einmal vorwerfen zu müssen, ich hätte eine Chance zu neuen Horizonten verpasst. Zurück im Camp erzählte ich Sahis Cousins von meiner Idee. Ihre Familie besaß auch Kamele und sie boten mir begeistert ihre Zusammenarbeit an. Gleich setzten sie sich mit mir unter den Schatten spendenden, großen Baum im Camp und gemeinsam entwickelten wir unternehmungslustig Routenpläne.
›Du solltest es versuchen. Was hast du zu verlieren?‹, bestärkte mich die Abenteuerlust beim Einschlafen.
›Falls es sich als zu schwierig herausstellt, kannst du das Tier jederzeit wieder verkaufen‹ wurde sie vom Tatendrang unterstützt.
Die Vernunft resultierte: ›Das könnte sogar eine vielversprechende Geldanlage sein.‹
›Und wenn du runterfällst und dir das Genick brichst?‹, wimmerte die Angst.
›So ein Quatsch! Halt dich doch einfach da raus, du Weichei‹, konterte der Mut energisch und die Angst verkroch sich schnell hinter den dicksten Gehirnwindungen.
Eine außergewöhnlich große Sternschnuppe, die in diesem Moment vom Himmel fiel und einen langen leuchtenden Schweif hinterließ, erschien mir als gutes Omen.
›Siehst du‹, sagte der Aberglaube, ›wenn das kein klares Zeichen war.‹
Am