Sindy Sea Turtle
Das Flüstern des Tornados
Unser Leben jenseits der Zeitenwende
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Inhaltsverzeichnis
Kapitel 8: In der Zentralbibliothek
Kapitel 10: Von Kunden und Kakerlaken
Kapitel 12: Das Flüstern beginnt
Kapitel 1: Prolog
Haben wir wirklich die Wahl zwischen richtig und falsch?
Oder agieren wir nur in einem geschlossenen System,
das diese Entscheidung längst für uns getroffen hat
und uns unsere Willensfreiheit nur vorgaukelt?
Ich habe das Gefühl, im Innern einer Kugel gefangen zu sein.
Obwohl ich mit ganzer Kraft vorwärts renne,
bewege ich nur die Kugel, nicht mich selbst.
Annas letzter Tagebucheintrag, 09.September 2065
Kapitel 2: Der Neue
„Das ist Nathan. Er hat den Highscore seines Jahrgangs an der Marie Baum Gesamtschule geschafft und konnte jetzt zu uns wechseln, um hier sein Abitur zu machen. Anna, Sie kümmern sich um den Neuen. Sie brauchen ja sowieso noch ein paar Sozialpunkte.“
Aus dem B-Sektor. Natürlich. Frau Meier musste es nicht erwähnen. Das konnte eh jeder sehen und riechen. Der muffige Geruch, der vom schlechten Sekundärwasser fürs Waschen herrührte, hing einfach an allen B-lern dran. Und eine Schuluniform würde Nathan erst bekommen, wenn er die ersten drei Monate hier überstand. Die Direktorin war da schon ein bisschen gnadenlos, aber neue Uniformen waren teuer, das musste sich lohnen. Ressourcenschonung ging eben vor. Das ganze Notenblabla hätte sich Frau Meier auch schenken können. Was für einen anderen Grund hätte es geben können, dass ein B-ler zu ihnen ans Gymnasium kam? Keinen. Jetzt hatte sie den Neuen an der Backe. Das machte die Meier doch mit Absicht. Sie war ja selbst aus dem B-Sektor und wollte denen immer helfen. Anna war die Klassenbeste. Gerne erinnerte die Meier sie an ihre Verantwortung für die Gesellschaft. Als ob das nötig wäre. Aber okay, ihr fehlten wirklich noch ein paar Sozialpunkte fürs Stipendium. Sonst würde sie nach dem Abitur keinen Platz in einem Geoengineering-Studiengang erhalten. Notentechnisch war sie ja schon prima aufgestellt, den Highscore ihrer Klasse würde sie sich von diesem Nathan ganz bestimmt nicht nehmen lassen. Das sollte der ruhig mal versuchen. Ein Paten-Amt bei einem Neuen war immerhin besser als die lästige Nachhilfe in den unteren Klassenstufen, die sie sonst immer gab. Und einer aus dem B-Sektor würde nicht viel Arbeit machen. Die waren ja alle immer so schrecklich langweilig und überangepasst, ja geradezu ängstlich. Wenn sie sich einmal an die gut gefilterte Luft und das gesunde Essen gewöhnt hatten, wollten sie eigentlich gar nicht mehr nach Hause. Aber an diesem Nathan war irgendetwas anders. Schon wie er dastand. Gar nicht schüchtern, eher selbstbewusst. Und sein Blick war nicht unsicher, wie bei anderen B-lern, nein, er war, eher, ja, wie eigentlich? Herausfordernd? Nein, trotzig, ja genau, das traf es. So, als wollte er zeigen, dass er hierhergehörte, auch wenn er wusste, dass ihn keiner haben wollte. Aber wie er sich fühlte, war schließlich nicht ihr Problem. Anna musste nur dafür sorgen, dass er ihr die volle Punktzahl als Patin gab, alles andere konnte ihr egal sein. Und, naja, für einen aus dem B-Sektor sah er auch ganz gut aus. Nicht, dass er ihr Typ gewesen wäre, aber immerhin.
„Nathan setzen Sie sich bitte zu Anna, Mia, du gehst bitte auf den freien Platz neben Paul, danke.“
Auch das noch! Daran hatte Anna nicht gedacht. Entsetzt schaute sie zu Mia rüber. Jetzt würde sie auch noch die anstehende Geschichtshausarbeit mit diesem Nathan zusammen machen müssen. Denn dafür wurden immer Zweierteams aus den Tischnachbarn gebildet. Anna hatte sich das mit ihrer besten Freundin Mia schon so schön vorgestellt. Mia war überhaupt nicht ehrgeizig und überließ immer ihr die Konzeption und das Schreiben. Dafür übernahm Mia die nervigen Recherchejobs und brachte das Ganze in Form. Diese Arbeitsteilung hatte sich in den letzten Jahren schon oft bewährt und brachte ihnen beiden immer eine gute Note ein. Damit war es für dieses Mal wohl vorbei.
Mia gab ihr einen kurzen Stoß mit dem Ellenbogen und riss Anna aus ihren Gedanken.
„Tut mir leid für dich, jetzt musst du das Gemuffel ertragen“, flüsterte sie. Dabei lächelte sie zaghaft und fing an, ihre Schulsachen in den Rucksack zu stopfen. Ja, natürlich. Mia fand das Umsetzen toll. Schon seit der Grundschule schwärmte sie für Paul. Das hatte in der ersten Klasse angefangen. Damals gab es noch integrierte Schulen mit Kindern aus beiden Sektoren und ohne Standard-Verpflegung für alle. Mias Eltern waren KEs, sie gehörten zur Klima-Elite. Entsprechend gut gefüllt war ihre Brotbox. Denn die Lebensmittelversorgung war im A-Sektor schon immer wesentlich besser gewesen. Die kleine