Schnitt. Carl Wolf. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Carl Wolf
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754132708
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erzeugt. Das Gerät nähert sich meinem Gesicht.

      Ich verliere das Bewusstsein.

      6

      Die dunkle Gestalt richtet sich wieder auf und geht zum Auto seines Opfers. Die Wagentür steht offen, der Motor brummt seinen erwartungsvollen Sound. Sie nimmt das Smartphone aus der Halterung am Cockpit. Die Entsperrung mit dem Fingerabdruck des Besitzers ist kein Problem, es ist der Daumen der rechten Hand des Bewusstlosen. Mit wenigen Streichbewegungen über das Display und ein paar Adresseingaben schickt der Angreifer alle gespeicherten Daten auf einen verschlüsselten Server. Als der Upload fertig ist, installiert er eine App, die ihre Arbeit unbemerkt im Hintergrund verrichtet. Danach löscht er alle Vorgänge aus der Benutzerhistorie und steckt das Handy wieder in die Halterung im Auto. Ohne einen Blick auf den am Boden Liegenden zu werfen, geht er zum Lieferwagen zwischen den beiden Kastanien, startet den Motor und fährt davon.

      7

      Ich weiß nicht, wie lange ich schon im Staub vor meinem Grundstück liege. Mein Mund ist trocken und brennt. Meine Augen schmerzen. Mein Körper fühlt sich zerschlagen an. Hinter mir höre ich mein Auto im Leerlauf vor sich hin tuckern. Mein Herz stolpert beim Versuch Lebenskraft in mich zu pumpen. Langsam, unter Anstrengungen, setze ich mich auf. Die rechte Seite meines Kopfes schmerzt. Vorsichtig betaste ich ihn und fühle eine riesige Beule, hervorgerufen durch den Sturz nach der Stromattacke. Die linke Kopfseite fühlt sich merkwürdig kühl an. Ich fahre mit der Hand über meinen Schädel und stutze. Nein, es ist keine Missempfindung, meine Hand fährt über mit Haarstoppeln durchsetzter kahler Kopfhaut. Der Angreifer hat mir den Kopf geschoren. Zur Hälfte. Neben mir liegt die Fernbedienung für die Einfahrt. Ich drücke auf den Auslöser und lautlos schwingt das Tor nach innen.

      8

      Samstag

      „Sie glauben also nicht, dass es ein makabrer Streich ihrer Freunde war?“

      „Ich habe keine Freunde! Erst recht keine, die mir solche Streiche antun würden. Wie oft soll ich es Ihnen noch sagen.“

      Die beiden jungen Polizisten, ein Mann, eng stehende Augen und eine Frau, blonder Zopf und üppiger Hintern, wirken überfordert mit der Situation. Sie nehmen meine Anzeige auf, aber zu dem Vergehen Haare scheren, zur Hälfte hatten sie auf der Polizeischule nichts gelernt.

      „Haben sie Feinde?“, fragt mich die Polizistin. Sie hält einen Notizblock in der Hand und schaut erwartungsvoll und schreibbereit zu mir.

      „Offensichtlich“, erwidere ich gereizt. „Aber Namen kann ich ihnen keine nennen.“

      „Also Anzeige gegen Unbekannt wegen leichter Körperverletzung und grobem Unfug. Mehr können wir vorerst nicht für sie tun, Herr Norden. Wenn sie uns nicht weiterhelfen und uns keine Verdächtigen aus ihrem Umkreis nennen, müssen wir das so stehen lassen.“

      Die beiden Polizisten erheben sich.

      „War das jetzt schon alles? Wollen sie nicht anfangen zu ermitteln?“

      „Sobald wir dafür Zeit haben machen wir das. Aber bei der geringen Schwere der Tat …“

      Die Polizistin lässt das Ende ihrer Aussage offen im Raum stehen.

      „Gering?“

      Ich werde wütend.

      „Meine Haare sind weg! Und ich habe Stromschläge versetzt bekommen. Das war Folter!“, schreie ich die Polizisten an.

      „Die Haare wachsen wieder nach. Und wenn sie sich nicht gut fühlen, rufen wir gern den Notarzt für Sie. Das haben wir ihnen schon mehrfach angeboten.“

      „Nein! Ich benötige keinen Notarzt! Mein Sicherheitssystem wurde manipuliert, nur deshalb konnte ich angegriffen werden. Das ist doch wohl eine Straftat, bei der ermittelt werden muss!“

      „Was die Alarmanlage betrifft, der Ausfall kann ein technisches Versagen gewesen sein. Reden Sie mit ihrer Sicherheitsfirma. Die wird das überprüfen. Dann sehen wir weiter. Wir haben Haus und Grundstück durchsucht. Es gibt keine Anzeichen dafür, dass jemand in ihr Anwesen eingedrungen ist. Überlegen Sie in Ruhe, wer von ihren Bekannten sie besonders nicht leiden kann. Und lassen Sie sich einen Termin bei ihrem Frisör geben. Nichts für ungut, Herr Norden. Aber wir müssen zum nächsten Einsatz. Sie hören von uns. Auf Wiedersehen.“

      Der Polizist nickt mir zu.

      Ich winke ab und drehe mich von den beiden weg, während sie mein Haus verlassen.

      9

      Tropfnass stehe ich nach der heißen Dusche vor dem wandhohen Spiegel und betrachte mich. Das regelmäßige Training im Fitnessstudio tut meinem Körper gut. Ich lege viel Wert auf ein ansprechendes Aussehen, es öffnet verschlossene Türen leichter. Sei es im Geschäft oder bei Frauen. Viele Türen wurden mir danach fester versperrt, als sie es vorher waren. Das liegt an meinem Tempo, mit dem ich durchs Leben gehe. Die wenigsten können mir folgen. Viele bleiben auf der Strecke. Und irgendeiner der Zurückgebliebenen spielt jetzt den beleidigten Racheengel. Wem ist so ein kindischer Akt zutrauen? Ein Karussell voll von Namen dreht sich in meinem Kopf. Es dreht zu schnell. Niemand ist klar zu fassen. Ich hole meinen Akku-Rasierer aus dem Badezimmerschrank und beginne die andere Hälfte der Haare abzuscheren. Langsam füllt sich das Waschbecken mit meinem tiefschwarzen Kopfhaar. Beim Scheren bemerke ich etwas Dunkles auf der Kopfhaut. Nachdem ich die Stelle frei rasiert habe, sehe ich, dass jemand mit schwarzem wasserfesten Stift zwei Zahlen in Spiegelschrift auf meinem Kopf geschrieben hat. 0 und 2. Genau neben der Beule, die ich durch den Sturz davongetragen habe.

      Eine Botschaft des Angreifers?

      Verständnislos starre ich in den Spiegel. Aus zwei Zahlen kann man nicht viel deuten. Mit Hilfe eines Rasierspiegels sehe ich nach, ob noch mehr auf meinen Kopf steht. Nichts. Nur 0 und 2, in ausgefranster Schrift vorn auf meinen Schädel geschmiert. Mit einem Handtuch und Rasierwasser rubble ich sie weg.

      Ich muss an Clemens denken. Clemens stand auf solche Spielchen. Kryptische Aussagen waren sein Hobby.

      Clemens Richter ist ein ehemaliger Geschäftspartner und Freund von mir. Sein Ausscheiden aus Firma und Freundschaft war, vorsichtig formuliert, etwas dramatisch.

      Für ihn.

      Hat er mich angegriffen?

      10

      „Wie schon gesagt, es gibt nichts, was hundertprozentig funktioniert. Mit einem Störsender kann man alle Funksignale unterbrechen. Und dann gibt es keinen Alarm.“

      Ich begleite den Mitarbeiter der Sicherheitsfirma an die Tür. Er hat nichts gefunden, was auf eine Manipulation der Alarmanlage hindeutet.

      „Und sie meinen das war bei meinem Auto und beim Hausalarm der Fall?“

      „Ja. Leider scheint das so gewesen zu sein. Was heute als super sicher gilt, ist morgen schon geknackt. Die Verbrecher sind uns immer dicht auf den Fersen. Wir können nichts dagegen tun, verstehen sie?“

      „Ich verstehe gerade, meine Alarmanlage ist veraltet und sie wollen mir eine neue verkaufen. Richtig? Ich habe viel Geld bei Ihnen gelassen. Und jetzt kommen sie mir nicht mit veraltetem System und solchen Aussagen. Ich brauche etwas, das funktioniert. Und das hat es offensichtlich nicht. Das ist ihre Baustelle.“

      „Darüber müssen sie mit meinem Chef plaudern. Für den Verkauf bin ich nicht zuständig. Nur für die Wartung. Und ihre Anlage funktioniert im Prinzip einwandfrei.“

      „Mit ihrem Chef werde ich plaudern. Das kann ich Ihnen garantieren. Sie können dann gleich einen Termin machen, wenn sie wieder in ihrer Firma sind.“

      „Tut mir leid. Für Termine bin ich nicht zuständig. Da müssen sie in unserem Büro anrufen. Das Fräulein dort macht das gern für sie. Auf Wiedersehen.“