Verlorenend - Fantasy-Epos (Gesamtausgabe). S. G. Felix. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: S. G. Felix
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738095289
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mit Mühe gelang es dem Herrscher in dem Chaos hinter einem der Katapulte, die weiter im Landesinneren standen, Schutz zu suchen.

      Einer der Gedankenwandler hetzte per Telepathie seine ganze Rotte von Piktins auf eine der Echsen. Kampfeslustig stürzten sich die Fleischfresser auf das Reptil und verbissen sich in ihm wie im Rausch.

      Überrascht verlor die Echse ihr Gleichgewicht, taumelte und fiel rückwärts in die Schlucht, so als ob ein Baum gefällt worden wäre. Sämtliche Piktins, die sich festgebissen hatten, teilten das Schicksal des Wächters.

      Zur Strafe wurde der Gedankenwandler von einem besonders langen Dorn eines anderen Wächters getroffen und machte daraufhin seinen letzten Atemzug.

      Einige Gorgens versuchten durch einen Angriff aus dem Hinterhalt bei den verbliebenen Echsen Schaden anzurichten, allerdings mit wenig Erfolg.

      »Richtet das Katapult auf sie! Beeilung!«, schrie Koros, dessen Stimme sich überschlug.

      »Aber dann würden wir auf unsere Leute schießen!«, erwiderte der Katapultführer, neben dem Koros Deckung suchte.

      »Das interessiert mich doch nicht! SCHIESST!«, brüllte Koros panisch.

      Das Katapult, hinter dem er kauerte, wurde von zwei Kreaturen bedient. Einem Tabis und einem Toba.

      Es waren Wesen, die nur gemeinsam agierten. Zu jedem Tabis, der in den Finsteren Ebenen lebte, gehörte ein Toba. Und zu jedem Toba gehörte ein Tabis. Das war so etwas wie ein Naturgesetz. Tabis ähnelten Füchsen, nur, dass sie auf zwei Beinen laufen konnten und fast so groß wie Menschen waren.

      Toba waren etwa dreimal so groß wie Tabis. Und dreimal so hässlich.

      Und noch etwas zeichnete das ungleiche Paar aus: Sie konnten sich gegenseitig nicht ausstehen.

      »Na los! Du hast gehört, was der Herrscher gesagt hat«, rief der Tabis zu seinem größeren Gegenstück.

      Widerwillig drehte der Toba an einer quietschenden Kurbel, sodass sich der Katapultaufbau in Richtung der tödlichen Reptilien bewegte.

      »Schießt doch endlich!«, schrie Koros. »FEUER!«

      Der Tabis betätigte den Auskopplungshebel der Schleuder.

      In einem steilen Winkel wurde daraufhin eine kleine Kugel in die Höhe getrieben.

      Tabis waren Profis in Sachen Katapulte. Die Kugel schlug vor den Echsen ein. Sie schauten irritiert auf das unscheinbare kleine Geschoss herab.

      Ein kurzer Augenblick der stillen Verwirrung folgte. Dann explodierte die Kugel. Es gab aber kein Feuer und keinen Rauch. Eine Druckwelle, die einen Fels mit einem Schlag hätte wegsprengen können, erfasste die restlichen drei Reptilien mit einem dumpfen Donner und schmetterte sie wie Spielzeug durch die Luft. Bewusstlos von dem gewaltigen Schlag flogen sie weit über die Schlucht.

      Fast genau in der Mitte übernahm die Schwerkraft den Rest und sog die Echsen wie Steine in den Abgrund.

      Einige der Gorgens hatte es ebenfalls erwischt. Alle anderen, die weiter entfernt von der Explosion gewesen waren, wurden von den Füßen gerissen.

      Danach folgte Stille.

      Todesstille.

      Nachdem sich die Benommenheit bei ihm gelegt hatte, galt Koros' einzige Sorge seiner Ersatzbrücke. Sie war nur leicht beschädigt worden. Nichts, was man nicht reparieren konnte.

      Auf der anderen Seite waren Lois und seine Mitstreiter gezwungen gewesen, alles mit anzusehen. Für die Bewohner der Ahnenländer waren die Wächter heilig. Es waren gottgleiche Wesen. Und nun waren sie mit einem Augenschlag vernichtet.

      Das Entsetzen war grenzenlos.

      Plötzlich spürte Lois, wie der Herrscher wieder in seinen Kopf eindrang.

       »Sieh, was ich vollbracht habe! Deine Götter sind tot. Alle tot! Sie werden dir nicht mehr helfen. Alle Hoffnung ist verloren. Begreifst du jetzt, dass mich niemand aufhalten kann? Wer wird dich jetzt noch retten?

      Sag mir, wer?«

      Nach der Attacke der Echsen mit den Lanzen, die aus ihren Mäulern geschossen waren, musste Haif sich verbieten, diesen unheilvollen Ort fluchtartig zu verlassen. Seit dem Eintreffen des Herrschers hatte er sich nicht einen Millimeter von seinem Versteck wegbewegt.

      Er wünschte sich, er hätte nicht alles sehen müssen, was sich in den letzten Mondstunden vor seinen entsetzten Augen abgespielt hatte. Die Schreie, die sich in sein Gedächtnis einbrannten und fortan von seinem Unterbewusstsein immer wieder hochgespült wurden. Es war wohl das Grausamste, das er je erlebt hatte. Und Koros war das grausamste Wesen, dem er je begegnet war.

      Den einzigen Trost, den Haif fand, war, dass er durch seine akribischen Beobachtungen wertvolle Informationen sammeln konnte. Das betraf vor allen Dingen Pais. Der Herrscher hatte dessen Verstand irgendwie manipuliert. Er hatte sein Denken verändert. Daran bestand für den kleinen Sortaner mit dem schmutzigen Fell kein Zweifel mehr.

      Als sämtliche Augen auf die Echsen gerichtet waren, hätte er die Gelegenheit beim Schopfe packen und Pais da raus holen können. Aber nachdem dieser mit seiner Armbrust auf die gegenüberliegende Seite geschossen hatte, entschied sich Haif dagegen. Er selbst wäre wahrscheinlich das nächste Ziel der Schusswaffe des Menschen geworden.

      Es musste eine andere Lösung her. Doch je länger Haif zögerte, desto unwahrscheinlicher wurde eine weitere Gelegenheit, Pais zu befreien.

      Wenn Haif seine Situation einigermaßen realistisch betrachtete, dann gab es im Grunde nichts, was er ausrichten konnte, ohne dabei sein Leben zu verlieren oder das Leben des Menschen zu gefährden.

      Was mochte nur im Kopf von Pais vorgehen? Wie war es möglich, ihn wieder zu Verstand zu bringen? Aber die nahe liegendste Frage war: Was machte Haif eigentlich noch hier? Es war doch völlig sinnlos! Gegen diese unsichtbaren Mächte, über die Koros verfügte, war er, der kleine, ängstliche Hasenfuß Haif Haven doch machtlos.

      Trotz aller Zweifel, aus irgendeinem Grund entschied er sich zu bleiben. Er wollte nicht akzeptieren, dass es keine Alternativen mehr gab. Tief in Gedanken versunken vernahm er einen dumpfen Donnerschlag. Erschrocken presste er sich sein Fernrohr vors linke Auge. Alle zwölf Katapulte waren auf die gegenüberliegende Felsspalte gerichtet. Tabis und Toba ließen im Akkord die Druckbomben auf die Ahnen-Seite feuern. Eine Salve von Detonationen erschütterte die Erde.

      Ameisengroße Figuren rannten im Fernrohr des Sortaners um ihr Leben. Und überall dort, wo eine der Druckwellen ausbrach, entstanden innerhalb von Sekundenbruchteilen leere Flächen. Dutzende Gestalten flogen wie aufgewirbelter Staub durch die Luft. Viele von ihnen verschwanden in der Schlucht. Nichts hielt den unsichtbaren Explosionen stand. Die provisorischen Abwehrtürme, Munition, ja sogar Geröll und tief wurzelnde Bäume wurden weggerissen. Nur die großen Steinstatuen hielten stand und beschrieben weiterhin ihren Halbkreis.

      Offenbar verlor Koros die Geduld und machte nun kurzen Prozess.

      Haif sah, wie er während des Bombardements zu seinem Berater hinüberlief.

      »Na? Was sagst du nun, Wrax? Das wolltest du doch, oder? Du wolltest doch, dass es schnell vorübergeht. Hier! Da hast du es. Sieh es dir an! Schneller kann es nicht gehen«, sprach der Herrscher boshaft.

      Wrax war zu einem Eisklumpen erstarrt und reagierte nicht mehr auf seinen Ersten.

      Vielleicht war es der beste Abwehrmechanismus, der ihm zur Verfügung stand, dachte Haif traurig.

      Das Beben der Druckbomben erstarb schließlich nach ein paar unerträglichen Minuten.

      Zitternd blickte Haif mit seinem Vergrößerungsglas auf eine menschenleere Klippe der Ahnenländer. Nichts als Leere. Ein paar Nachzügler auf dem Rückzug huschten durchs Bild.

      Und dann: nichts.

      Nichts, was Koros Cusuar noch aufhalten würde.