Verlorenend - Fantasy-Epos (Gesamtausgabe). S. G. Felix. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: S. G. Felix
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738095289
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durch das Spiegeltor bei den Largonen gegangen bin, auf der anderen Seite den falschen Spiegel ausgewählt. Die Folge war, dass ich nicht in einem sicheren Versteck landete, sondern ich musste durch Hunderte weitere Spiegel türmen. Die Späher waren mir immer dicht auf den Fersen. Doch je länger ich mich vor ihnen verstecken musste, je öfter ich durch weitere Spiegeltore gehen musste, desto erschöpfter wurde ich. Meine Flucht durch die Zeiten und Realitäten frisst meinen Verstand auf. Es ist ein Phänomen, das ich als ‚Zeitpsychose’ bezeichne. Aber hier können sie mich nicht hören. Und sehen auch nicht. Ich weiß nicht, wie viel Zeit wir noch haben, bis sie mich finden werden.« Brelius fing an, hemmungslos zu grinsen »Zeit, verstehst du? Ist das nicht witzig?«

      Dann wurde der alte Mann still. Nur das sanfte Brummen der fliegenden Leuchtkäfer durchdrang die Stille.

      Antilius versuchte, einen klaren Kopf zu behalten. Er blickte in den Sternenhimmel. »Was ist das hier für ein Ort? Ist dies hier Verlorenend, der Ort, an dem Zeit keine Bedeutung hat?«, fragte er in Erinnerung an das, was Gilbert ihm über Verlorenend erzählt hatte.

      Brelius schüttelte energisch den Kopf. »Verlorenend ist kein Ort, den man auf einer Landkarte finden könnte. Verlorenend ist mehr, und doch nichts. Verlorenend ist überall und doch nirgends.

      Wir sind hier in meinem Versteck. Ich bin mir nicht sicher, aber ich denke, es ist ein Teil von Verlorenend, der im Moment nur durch meine Willenskraft bestehen kann. Eine abgespaltene Insel von Verlorenend ist dieser Ort hier, wenn du so willst, aber nicht so mächtig wie Verlorenend. Es sieht genauso aus wie bei mir zu Hause. Aber in Wahrheit ist auch das nur eine Täuschung. Ein Faksimile.«

      Antilius war es leid, ständig Fragen zu stellen. Fragen, auf die sich entweder keine Antworten oder nur noch mehr Fragen auftaten. Brelius nahm ihm seine wichtigste und schwerste Frage ab.

      »Ich werde dir jetzt sagen, warum du hier bist, mein junger Freund. Setz dich!«

      Antilius setzte sich auf das weiche Gras des Wurmhügels.

      Es ist so echt! So echt! Wie soll ich Realität und Fiktion noch unterscheiden, wenn schon das Gras sich so echt anfühlt?, fragte sich Antilius.

      »Ich habe dich in meinen letzten Träumen gesehen«, fuhr Brelius fort. »Du bist der mit den Augen. O, ich habe sie leuchten gesehen, deine Augen. Es war so wunderbar!«

      »Ich weiß nicht, wovon Ihr sprecht.«

      »Das Orakel hat es mir gesagt. Es hat mir gesagt, dass ich dich finden muss. Aber zugegebenermaßen hast du mich gefunden.

      Ich war so euphorisch, als ich den Stein gefunden hatte. Der Stein, der ein Schlüssel war. Ich dachte, ich könnte berühmt werden durch die Erfindungen, die ich damit machen könnte. Doch war mir nicht bewusst, dass ich den Stein des Unheils gefunden hatte.«

      Brelius machte eine Pause, um Antilius Zeit für eine Frage zu lassen.

      »Fahrt bitte fort«, sagte dieser nur.

      »Ich weiß nicht, wie dieser Tyrann es erfahren hat. Und ich weiß nicht, wie ich so blind sein konnte, es nicht zu erkennen. Der Stein, den ich mit naiver Faszination studierte, war der Schlüssel, um das Zeittor zu öffnen. Und damit der Schlüssel in die Verdammnis. Als der Tyrann erfahren hatte, dass ich den einzigen Schlüssel für das Zeittor besaß, drang er in meinen Kopf ein.«

      »Ihr redet von Koros?«

      Der alte Mann nickte schwach. »Ich habe ihn angefleht, mich in Ruhe zu lassen, aber sein Geist war stärker, als meiner es zu sein vermag. Ich konnte mich nicht gegen ihn wehren.«

      »Ihr habt das Zeittor mit dem Schlüsselstein geöffnet, ohne zu wissen, was Ihr getan habt«, ergänzte Antilius.

      »In dem Moment, in dem ich es aktivierte, spürte ich seine hasserfüllte Freude über seinen vorläufigen Sieg. Ich spürte seine Unverwundbarkeit und seinen Übermut.«

      Jede weitere Frage, die Antilius stellte, bereitete ihm gemeine Schmerzen in der Magengegend. »Also, ich hoffe, ich habe das alles richtig verstanden: Koros braucht zwei Tore. Ich habe es zwar schon erfahren, aber ich möchte es von Euch hören: Was will er damit?«

      »Woher weißt du von dem anderen Tor-Fragment?«

      »Das habe ich durch den Sandling erfahren, der vor der Largonen-Festung auf mich wartete.«

      Brelius machte ein verzweifeltes Gesicht. »Sag mir, Antilius, ist Koros auch in deine Träume eingedrungen?«

      »Ja. Aber er hat mich bisher nicht manipulieren können, so wie bei Euch.«

      »Er hat mit dir gesprochen? Er ist ja so verschlagen!«, sagte Brelius und vergrub das Gesicht in den Händen.

      »Er hat mit mir nicht wie mit einem Feind geredet.«

      »Natürlich nicht. Er versucht, dich in Sicherheit zu wiegen. Er will dich schwach machen, so wie er es mit mir getan hat.«

      »Nein. Es steckt mehr dahinter. Es ist eine Art kranke Faszination, die ich auf ihn ausübe. Vielleicht ist das sein Schwachpunkt«, vermutete Antilius.

      »Ich versichere dir, er besitzt viele Schwachpunkte.

      Doch zurück zu den zwei Fragmenten. Er hat vor, diese beiden Tore zusammenzufügen zu einem Portal. Dieses Portal wird ihn zum absoluten Herrscher über die Sieben Inselwelten machen. Er wird sich über das Leben und über die Zeit einfach hinwegsetzen. Niemand wird ihn aufhalten können.«

      »Was genau hat das zu bedeuten? Jemand erzählte mir von der Legende vom Transzendenten. Was genau hat es damit auf sich.«

      »Es ist keine Legende. Es ist geschehen, vor vielen Generationen. Und es wird wieder geschehen, wenn du es nicht verhinderst. Die Macht der Transzendenz ist gefährlich und böse durch und durch.«

      »Und was ist mit den Spähern? Sie haben die Largonen in eine Art Gefängnis eingesperrt, bevor Ihr gekommen seid und das Zeittor aktiviert habt. Warum haben die Späher das gemacht? Warum haben sie Koros damit geholfen, ihm den Weg zum Tor zu vereinfachen?«, fragte Antilius ungeduldig.

      »Ohne jeglichen Widerstand wird es Koros ein Leichtes sein, das Tor zu entwenden. Ich befürchte, die Späher haben noch etwas viel Grauenhafteres vor als er selbst. Ich habe es gesehen. Ich kann es nicht in Worte fassen. Meine Augen konnten in meinen Träumen nur einen flüchtigen Blick erhaschen von dem, was die Späher vorhaben.«

      »Was habt Ihr gesehen?«, hauchte Antilius.

      »Ich habe es nur durch die Augen des Orakels gesehen. Jenes Orakel, das mir deinen Namen verriet. Das mir von deinen Augen erzählte. Das Orakel, das mich zurück zu diesem verfluchten Ort getrieben hat, weil es glaubte, ich könne meinen Fehler ungeschehen machen.«

      »Nun spannt mich nicht länger auf die Folter. Was habt Ihr gesehen?«

      »Das Ende. Das Ende von allem. Das Nichts. Wenn die Späher und das Flüsternde Buch ihr Werk vollendet haben, wird nichts als endlose Dunkelheit zurückbleiben. Der Transzendente wird nur der Anfang sein. Wenn die Macht der Transzendenz aus dem wieder zusammengefügten Portal befreit und auf Koros Cusuar übertragen wird, dann wird etwas erwachen, das noch viel gefährlicher ist als der Transzendente.«

      Das Puzzle fügte sich in Antilius’ Kopf langsam zu einem Bild zusammen, auch wenn er nicht verstand, was Brelius meinte. Er hatte gehofft, dass es nicht noch schlimmer werden würde. Aber seine Hoffnung wurde nun auf eine harte Probe gestellt. Er fürchtete, sie nicht zu bestehen.

      »Seid Ihr sicher, was Ihr gesehen habt?«

      Der alte Sternenbeobachter hustete kränklich. »Ich bin zwar dabei, meinen Verstand zu verlieren, aber solange ich mir noch meines schwindenden Geistes bewusst bin, solange ich noch mit mir selbst reden kann, bin ich noch immer Brelius.«

      Antilius fiel es schwer, immer wieder mit einer Abart des Verfalls konfrontiert zu werden. Erst der Verfall der nur kurz andauernden Gemeinschaft mit Haif und Pais, dann der sterbende Sandling, der vor Antilius’ Augen zerfiel, und jetzt der sterbende Verstand von Brelius Vandanten. Es lastete schwer auf ihm.