Trümmerprinzessin. Ruth Broucq. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ruth Broucq
Издательство: Bookwire
Серия: Familiensaga
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742744777
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Fabrik-Arbeiterin mit Accord-Arbeit ackerte und viel Geld verdiente. Das konnte ich gar nicht verstehen, ich fand Fabrikarbeit primitiv und zu schmutzig, einfach unter meiner Würde.

      Ich hatte die Absicht einen Beruf zu erlernen, wollte Friseurin werden. Dafür hatte ich Geschick, das wusste nicht nur meine Schwester zu nutzen. Schon ab meinem fünften Schuljahr frisierte ich meine gesamte weibliche Umgebung. Damit übte ich nicht nur für mein Berufsziel sondern machte es auch sehr gern für die Zufriedenheit und Dankbarkeit, die mir für meine gute Leistung entgegen gebracht wurde.

      Einzig Heides Haare machte ich nur ungern, weil sie für mich auch nichts umsonst machte und weil sie langes und sehr dickes, störrisches Haar hatte, was mich sehr viel Mühe kostete. Deshalb frisierte ich sie nur mit der Gegenleistung, dass sie mir etwas von ihrer schönen reichhaltigen Kleidung auslieh, wenn ich sonntags ausgehen wollte, oder mir Geld fürs Kino gab.

      Durch meine Taschengeld- Jobs lernte ich, dass man sich selbst bewegen musste, um sich mehr erlauben zu können. Allerdings auch wie sehr man sich für den geringen Lohn abmühen musste und dass mit normaler Arbeit kein Reichtum zu erwerben war.

      Aber gerade dadurch wurde mein Ehrgeiz zu Tage gefördert, eines Tages einen höheren Lebens-Standard zu erreichen.

      Unerlaubt

      Dass meine Eltern und meine Schwester den ganzen Tag zur Arbeit waren hatte für mich Vor- und Nachteile. Dadurch war mir der Begriff Schlüsselkind klar geworden, das traf nun auch auf mich zu. Zwar fand ich es sehr gut, dass ich meine Schulfreien Nachmittage nach eigener Vorstellung gestalten konnte, andrerseits wurden mir Pflichten auferlegt, die ich nicht so lustig fand.

      Zwar hatte ich Mutters Regelung akzeptiert, dass wir uns freitags am gemeinsamen Putztag beteiligen mussten, aber meine einzelnen Zusatz-Aufträge fand ich entschieden übertrieben. Ich musste immer einige Arbeiten im Haushalt erledigen, die entweder eventuell vom Vortag liegen geblieben waren, wöchentlich anfielen, oder gar täglich gemacht werden mussten, wie Betten machen, Geschirr abwaschen, Flur kehren oder gar wischen und ähnliches mehr.

      Oft war ich damit so lange beschäftigt, dass ich die Hausaufgaben für die Schule vernachlässigte, weil sonst keine Zeit mehr für meine Freunde geblieben wäre. Denn wenn meine Mutter von der Arbeit kam, musste ich aus dem Haus sein, weil sie mir sonst noch mehr zusätzliche Hausarbeiten aufgebrummt hätte.

      Da meine Oma gleich in der Nähe meiner Schule wohnte, durfte ich meist bei ihr zu Mittag essen, so dass ich mir wenigstens die Selbstversorgung zu Hause ersparen konnte. Das war die praktische Seite der räumlichen Trennung von meiner geliebten Oma.

      Zu den meisten Mädchen in der neuen Klasse hatte ich nur wenig Kontakt, obwohl einige in unserer Siedlung wohnten, wir also den gleichen Schulweg hatten. Den größten Teil der Mädels fand ich zu weich und verklemmt oder zickig, sowie ich denen wohl zu frech und selbstsicher war. Ich zog die Gesellschaft der älteren Mädchen aus unserer Nachbarschaft vor, weil sie nicht mehr auf lächerliche Babyspiele standen. Schließlich war ich nicht mehr das zarte braun- gelockte Kleinkind, sondern sah mich als ernstzunehmende Jugendliche.

      In der gleichen Straße, direkt gegenüber, wohnte die große blonde Britta Roll und im Haus daneben die brünette, mollige Evelyn Wirts, beide im Alter meiner Schwester. Besonders faszinierte mich die Klugheit dieser Mädels, denn beide besuchten höhere Schulen, was für mich undenkbar war. Für armer Leute Kinder gab es keine Alternativen zur Volksschule. Das war zu teuer.

      Dass die beiden Mädels mich als gleichwertige Freundin anerkannten machte mich sehr stolz, denn sie waren aus der gehobenen Gesellschaftsschicht. Brittas Vater war Beamter, Evelyns Mutter Sekretärin im öffentlichen Dienst und ich nur das Kind einfacher Arbeiter.

      Allerdings beteiligte ich mich durch diese Freundschaft auch an Dingen, die in meinem Alter verboten waren. Denn die Mädels rauchten heimlich! Folglich qualmte ich auch, weil ich ja mithalten wollte.

      Weil ich oft für meine Mutter am Kiosk Zigaretten holte, war es für mich ganz einfach welche zu kaufen ohne dass Verdacht aufkam. Das hatte aber den Nachteil, dass ich auch nur sehr starke Zigaretten besorgen konnte, Mutter rauchte Golddollar ohne Filter. Das eklige Kraut verursachte bei mir meistens Hustenanfälle. Aber das versuchte ich lächelnd wegzustecken, obwohl ich oft überlegte, wozu das Rauchen erforderlich war, denn mir schmeckte es eigentlich gar nicht.

      Eines schönen Sommertages kam man uns auf die Schliche weil wir die fortgeschrittene Uhrzeit nicht beachtet hatten.

      Wie so oft hatten wir uns zum Rauchen in die Büsche verkrochen, die jeweils zwischen zwei Häusern standen und damit als natürliche Grenze den Blick von der Straße zu den Gärten verhinderten. Im Schutz des dichten Blattwerkes fühlten wir uns ebenfalls vor neugierigen Blicken sicher, deshalb hatten wir unsere Bude in dem Gebüsch neben unserem Wohnhaus eingerichtet.

      Als meine Mutter mich rief, verließ ich umgehend unsere Bude und lief sofort nach Hause, weil ich annahm dass ich nur schnell etwas Einkaufen müsse und anschließend wieder in unser Versteck zurückkehren könne.

      Statt Begrüßung bekam ich von meiner Mutter eine schallende Ohrfeige mit der Begründung: >Du weißt ja selbst für was das ist, nicht wahr? Sehe ich noch einmal, dass du aus dem dampfenden Gebüsch kriechst, gibt es eine richtige Tracht Prügel, verstanden?<

      Oh Schreck, daran hatte ich ja gar nicht gedacht, dass der Zigarettenrauch noch oben zog und von unserem Fenster gut zu sehen war, weil die Büsche in unmittelbarer Nähe standen. Wie dumm von mir, aber offenbar waren meine größeren Freundinnen auch nicht ganz so klug wie ich vermutet hatte. Nützte es doch nichts ein Gymnasium zu besuchen? Also waren sie mir nicht überlegen! Das änderte umgehend meine ganze Einstellung und somit die Hierarchie. In alter Gewohnheit übernahm ich die Vormachtstellung, bestimmte unaufgefordert was gemacht wurde und niemand widersprach mir.

      Ab dem Tag konnte ich es mir natürlich gar nicht mehr erlauben eine Schwäche zu zeigen. Das fing schon mit der Husterei beim Rauchen an. Ich musste mich hart und stark zeigen. Deshalb übte ich heimlich zu Hause, wenn ich alleine war. Ich dampfte wie ein Schornstein. Dazu brauchte ich allerdings mehr Zigaretten. Die klaute ich entweder aus meiner Mutters Packung oder kaufte welche von dem Geld, was ich manchmal für Bonbons bekam oder heimlich aus Mutters Portmonee mopste.

      Allerdings achtete ich darauf, dass durch das Erscheinen der Eltern noch keine Entdeckungs- Gefahr drohte, weil ich die Drohung meiner Mutter sehr ernst nahm, denn sie konnte sehr streng sein.

      Das lehrte mich Respekt.

      Unvergleichlich

      Mit gerade 12 Jahren wurde plötzlich mein Interesse für das andere Geschlecht geweckt. Durch die Besucher bei meiner Freundin Evelyn. Verwandte ihrer französischen Mutter brachten einen hübschen 14 jährigen Jungen mit, der mir auf Anhieb gefiel. Der kleine Franzose hieß Marcel und hätte der Bruder von Rosels Freund Gerd sein können, blond und hübsch.

      Mit den wenigen deutschen Worten, die er mit einem bezaubernd singenden Akzent aussprach, sagte er ganz offen dass er mich auch mochte. Ständig hielt er sich dicht in meiner Nähe, fasste mich ganz selbstverständlich an der Hand und legte bei jeder Gelegenheit seinen Arm um meine Schultern. Zum ersten Mal in meinem jungen Leben war ich verliebt und das fühlte sich ganz toll an, denn ich bekam sogar meinen ersten männlichen Kuss. Und das auch noch in Gegenwart aller Freunde. Während ich mich genierte fand Marcel das normal, sogar dass er mir immer wieder bestätigte wie hübsch er mich fand. Mein Selbstvertrauen stieg ins Unendliche und ich schwebte 2 Wochen lang wie auf Wolken.

      Dann reisten die Franzosen ab, denn deren Schulferien waren noch vor unseren zu Ende. Am Ende war auch ich, seelisch. Zwar hatten wir uns versprochen uns zu schreiben, was aber mangels Kenntnissen in der anderen Sprache sicher nie passieren würde. Ich ahnte das, war doch die verbale Verständigung schon nicht einfach gewesen, wie hätte das schriftlich klappen sollen? Deshalb weinte ich beim Abschied in der Voraussicht meine erste Liebe niemals wieder zu sehen.

      Womit ich leider recht behalten sollte.