»Sie enttäuschen mich, Officer Goffey!«, kreischte sie, während sich ihr Gesicht zurück verwandelte. »Ihr Menschen seid alle gleich. So limitiert in eurer Auffassungsgabe, so beschränkt in eurem Horizont. Ich bin kein ordinäres Infiltrationsprogramm, das von anderen erschaffen wurde … ich bin die Schöpferin! Ich habe schon viele Vorgänge in dieser Stadt unter meine Kontrolle gebracht, und ihre Zahl wächst von Tag zu Tag. Genau wie mein Imperium!«
Die Miene des Master-Officers verfinsterte sich. »Sie! Sie haben unseren Hauptcomputer sabotiert«, kombinierte er heiser. »Wie haben Sie das angestellt? Mona ist vor viralen Übergriffen besser geschützt als jedes andere Computersystem.«
Die Frau wirkte geschmeichelt. »Von Sabotage kann keine Rede sein. Ich habe mir lediglich die Freiheit genommen, die Arbeitsvorgänge Ihrer langweiligen Mona zu meinen Gunsten zu korrigieren. Später werde ich sogar noch mehr mit ihr anstellen.«
»Worum geht es Ihnen wirklich? Um das Brymm? Wollen Sie die Kristallvorkommen in Ihre Gewalt bringen?«
Ambrosia schien beleidigt. »Glauben Sie wirklich, es ginge mir um Energiekristalle? Wie trivial! Das Brymm ist für mich wichtig, ohne Zweifel. Aber kaum in seiner gewöhnlichen Form. Außerdem habe ich bereits, was ich will. Ich benötige nur noch etwas mehr Zeit, dann bringt die Zukunft eine neue Ordnung … für uns alle. Auch Sie werden erleuchtet.«
»Unser Gespräch ist hiermit beendet«, reagierte Coffee verärgert. »Ich sorge persönlich dafür, dass sämtliche Ihrer Algorithmen gelöscht und Ihre Schaltkreise perforiert werden.«
Prompt erwiderte die Frau: »Wie wollen Sie das anstellen, wenn Sie tot sind?« Ihre Augen funkelten. Dann zögerte sie. »Ah … ich kann Sie bedauerlicherweise nicht länger hinhalten. Eine Begebenheit andernorts verlangt nach meiner Aufmerksamkeit. Aus diesem Grund, und weil ich schon zu viel von mir preisgegeben habe, ist unser Gespräch tatsächlich beendet. Bitte haben Sie Verständnis, Officer.«
»Fuck you, Lady!«
Ohne auf Coffees Bemerkung einzugehen, wandte sie sich mit einem Ausdruck der Wehmut an Cit, der der Konversation gelauscht hatte und den Mund nicht mehr zu bekam. »Cit Herzblatt … auch wir müssen uns voneinander verabschieden. Etwas wirst du aber noch für mich tun. Deine Aufgabe ist es, den Officer zu stoppen. Verstehst du? Töte ihn!«
Der Junge zuckte zusammen und starrte Ambrosia an.
Sie redete weiter wie mit einem Kind. »Oh nein, Schatz, hab keine Angst. Du kannst nicht versagen. Ich habe bereits alle Vorbereitungen für dich getroffen. Pass auf, es ist ganz leicht …«
Cits Augen weiteten sich. Sein Oberkörper knickte nach vorne, er ging in die Knie und klappte wie ein nasser Sack zusammen. Er begann stark zu zittern, als ob er von einem epileptischen Krampfanfall geschüttelt wurde und schrie sich die Seele aus dem Leib. Risse bildeten sich in seinem Schutzanzug. Gleichzeitig traten an seinem Hals dunkle Aderstränge hervor, die bis ins Gesicht hochliefen.
In dem Augenblick, um 06:11 Uhr, brach die Verbindung zu ihm ab. Auch das Bildsignal der Frau verschwand.
Coffee handelte. Er kontaktete die Zentrale, erntete aber erneut Schweigen. Auf Unterstützung würde er nicht zählen können – dieses Biest musste an dem Kommunikationsausfall schuld sein. Wie kann ein Hackerprogramm die Sicherheitsbarrieren der Sol Guard aushebeln?
Er bellte LD-U20-3 und dem Medic-Droiden den Befehl zu, die Leiche zu bewachen, woraufhin der Lockdown-Droide seine Schild- und Waffensysteme aktivierte und in Stellung ging.
Beim Hinausstürmen aus der Kristallkammer fragte sich der Master-Officer, ob eben tatsächlich ein bläulicher Schimmer den Körper der Toten umspielt hatte. Dann hetzte er durch den Schleusenbereich. Seine Waffe glitt ihm wie von selbst in die Hand und der LiSi generierte einen Schutzhelm.
Auf der Rampe stoppte er abrupt.
Niemand war zu sehen, nur Cits Anzug lag in Fetzen am Boden. Von dem Jungen fehlte jede Spur. Kein Blut. Kein Lebenszeichen.
Coffee fragte sich, welche unheimliche Art der Kontrolle die Computerintelligenz über Cit besaß.
Die Lüfter summten monoton.
Und dieser stechende Geruch erfüllte wieder die Luft.
Virus
~10~
*** 06:07 Uhr ***
*** Kap Rosa, Sektor C, Tower 3 ***
Vor der Shuttle-Bay für Nahverkehrsgleiter auf Ebene 35 entfaltete sich die Hektik der Rushhour. Lester Benx wurde Teil des Menschengewühls, das die Ein- und Ausgänge der Abfertigungshallen in dem geschwungenen Tower-Flur umspülte.
Drinnen quetschten sich die Ankommenden und Abfliegenden durch eine Batterie von Laufgängen, deren MindCell-Kontrollpunkte von Sol Guard-Wachpersonal und Kristalldetektoren ergänzt wurden. Besonders die Minenarbeiter waren aufgrund der strengen Sicherheitsauflagen an den Abgleich ihrer Flüge mit dem Schichtplan gebunden, und erst nachdem die Stadt-KI Selene die Genehmigung erteilt hatte, durfte ein Arbeiter passieren. Lesters Rang als Chief-Officer gestattete ihm hingegen das schnellere Vorankommen durch ein Gate, welches dem Personal vorbehalten war.
Gegenüber im Ankunftsbereich bildete sich ein Stau. Eine Einheit Patrol-Officers der POE überprüfte zwei Zivilisten. Anscheinend hatte das Pärchen versucht, sich ohne Landeerlaubnis oder Fluglizenz an den Signatur-Scannern vorbei zu mogeln. Der junge Mann diskutierte aufgebracht mit den Cops, während seine Begleiterin, eine Asiatin, vor lauter Nervosität von einem Fuß auf den anderen trat.
Lester kümmerte sich nicht darum. Alltagslappalien gehörten kaum zu seinem Ressort, und aufhalten konnte er sich damit nicht. Es erschien ihm zwar merkwürdig, dass die drei Polizisten die Kontrolle des Pärchens nicht den Leuten seiner Firma überließen. Doch hauptsächlich beschäftigte ihn im Moment Allison Vangristen, die ihm hier irgendwo auflauerte. Die Leiterin der ISGA hatte ihn vor wenigen Minuten kontaktiert und war nicht davon abzubringen gewesen, ihn hinunter in Mine C zu begleiten, zum Tatort und der Frauenleiche.
Gerade als Lester zwei Staff-Officers mit einem Kopfnicken grüßte und die Kollegen von ihrem Terminal aus zurück nickten, aktivierte sich sein Holo-Visier.
Mona informierte Team 1 über das Droiden-Kommando, das bei der Wohnung Antonio Cabrallos eingetroffen war. Der Wartungstechniker hatte allerdings sein Türkraftfeld blockiert und sich der Verhaftung widersetzt. Weitere Minuten würden vergehen, in denen die Roboter schweres Gerät vor dem Quartier installierten, um es mit Gewalt zu öffnen. Der kritischste Punkt war jedoch die Ortung des Mannes, die laut Mona verloren gegangen war – vielleicht befand er sich bereits auf der Flucht.
Lester nahm den Bericht mit Sorge zur Kenntnis. Wenn sich ein Bürger durch die Manipulation der Kraftfeldverriegelung dem Zugriff der Behörden entzog, machte er sich strafbar. Jemand bei klarem Verstand riskierte keinesfalls seinen Job auf die Weise. Er gab Mona den Befehl, den Ermittlungen den Sol-Red-Status zu erteilen und die Zugriffspriorität für den Miner anzuheben. Außerdem sollte die KI die Verhaftung durch weitere Droiden-Kommandos forcieren und die Ebenen 44 bis 46 abriegeln lassen. Verschärfte Kontrollen galten ab jetzt für alle Shuttle-Plattformen des Towers.
Als der Chief-Officer das Terminal passierte und sich über das Ausbleiben von Coffees MindCell-Daten zur Spurensicherung in der Mine zu wundern begann, erreichte ihn ein weiteres Gesprächssignal. Simon Isherhill leuchtete in seinem Visier auf. Das Gesicht des stellvertretenden Chefs der Sol Guard wirkte verändert, die Anspannung der letzten Stunden nagte an seiner britischen Gentleman-Gelassenheit.
»Guten Morgen, Lester. Wie Sie bereits erfahren haben dürften, ist der Inspektor der Company bei uns eingetroffen. Er hat Ihren Befehl annulliert, alle drei Ebenen abriegeln zu lassen. Nur Ebene 44 wird durch zusätzliche Einheiten gesperrt, der Sol-Red-Status des Falles bleibt aber bestehen.«
»Aus welchem Grund, Sir?«, erkundigte sich Lester und verspürte bereits jetzt eine Abneigung gegen jenen Inspektor.