Bereits aus der Ferne erspähte Rawgen die Droiden eines Sol Guard-Einsatzkommandos, die mehrere Geräte zur Überwindung des Kraftfeldes vor der Tür des Minenarbeiters installierten.
Er schob seine bärige Statur an einigen Schaulustigen vorbei und durchtrat das Absperrungsfeld des Flurs.
In seiner Funktion als Chief der POE-Dienststelle in Tower 3 verantwortete er das Tagesgeschehen des Ebenenverbundes 44, 45 und 46. Er gehörte zu den dienstältesten Polizeibeamten der Stadt und hatte mit seinen zweiundsechzig Jahren öfter derlei Tragödien erlebt, als er mitzuzählen vermochte: Bergleute, die unter dem Burnout-Syndrom litten. Die der Stress, die Kopfschmerzen und die knappe Freizeit so fertigmachten, dass sie mental zusammenbrachen und sich in manchen Fällen von der Außenwelt abkapselten, indem sie ihr Quartier durch eine illegale Notfallprozedur verriegelten.
Normalerweise kam man bei diesen armen Kerlen mit Geduld und guten Worten recht weit, ohne Randale oder Selbstmord zu riskieren. Selene hatte bis jetzt keinen Sachschaden im Zusammenhang mit Cabrallo gemeldet, aber selbst wenn einige Dinge zu Bruch gegangen waren – der Mann brauchte wegen einer Lappalie nicht in Ketten von der Sol Guard abgeführt zu werden.
Man regelte solche Angelegenheiten anders hier. Und Ecrias Rawgen ließ sich dabei ungern von einer übereifrigen Sicherheitsfirma in die Suppe spucken. Im Grunde hatte er die neunmalklugen Hightech-Clowns von Korvalinskis Laden mit Stumpf und Stiel gefressen.
Seine markante Baritonstimme erreichte die Roboter aus mehreren Metern Distanz. »Sofort aufhören damit! Das ist eine Verstoß gegen die Befugnisse der POE, Paragraph 47 des Polizeigesetzbuches von Kap Rosa. Verlassen Sie diese Ebene … der Vorfall unterliegt meiner Zuständigkeit!«
Der Droiden-Commander drehte sich in die Richtung des heran rauschenden District-Leaders und stapfte ihm entgegen.
»Sir«, erwiderte die Maschine emotionslos, »ich muss Sie und Ihre Leute bitten, sich umgehend von hier zu entfernen. Die Sol Guard hat dieser Ermittlung den Sol-Red-Status erteilt, und der Bewohner des Appartements C-T3 44/76 ist der Hauptverdäch…«
»Sie können mir viel über Ihren Status erzählen, Commander!«, schnaubte Ecrias und kam mit seinen Sergeants bei dem Droiden zum Stehen. Er hatte es so satt, Zuständigkeiten zu klären. »Die Sol Guard setzt sich nicht zum ersten Mal ›zum Wohle der Allgemeinheit‹ über unsere Instanz und die Grundrechte einzelner Bürger hinweg. Also, wie auch immer die fadenscheinige Begründung Ihres Überwachungsvereins bezüglich dieser Verhaftung lautet … das ist meine Show, und Sie sind es, der sich auf der Stelle verkrümelt, sonst werde ich verdammt ungemütlich. Habe ich mich klar ausgedrückt, Commander?!«
Während die anderen Roboter des Einsatzkommandos mit ihrer Arbeit fortfuhren, schnarrte der Droide: »Wie Sie wissen, Sir, ist die POE dazu verpflichtet, im Sinne der übergeordneten Stadtsicherheit zu kooperieren und die Sol Guard bei der Ausübung ihres Dienstes zu unterstützen oder uns zumindest nicht zu behindern. Wenn Sie sich innerhalb der nächsten Sekunden nicht für eine der beiden Möglichkeiten entscheiden, lasse ich Sie von hier entfernen.«
»Kommen Sie mir doch nicht auf die Tour, Freundchen!« Ecrias merkte, wie er in Fahrt geriet. »Alles, was ich weiß ist, dass ich vor wenigen Minuten lapidar über die Abriegelung meiner Ebene informiert wurde, und das nur wegen einer Überreaktion von Ihnen, bei der ich mal wieder zähneknirschend den Kürzeren ziehe. Kann sich Ihre Firma den Papierkram vorstellen, den Dutzende Miners verursachen, die zu spät zu ihrer Schicht erscheinen und sich über Verdienstausfälle beschweren? Falls Sie Ihre Hauruck-Nummer also auskosten möchten, spiele ich da gerne mit … und zwar richtig! Dann hänge ich der Sol Guard ein Untersuchungsverfahren an, das …«
Unvermittelt ertönte aus der Richtung des Cabrallo-Quartiers ein Summton, der rasch anschwoll und von einer alles durchdringenden Vibration begleitet wurde.
Mit der Lautstärke eines Kanonenschlags detonierte das Türkraftfeld und schleuderte die drei Droiden gegen die Wand des Flurs. Der Aufprall zerstörte sie auf der Stelle. Gleichzeitig fegte die Druckwelle Ecrias Rawgen, seine beiden Leute und den Droiden-Commander von den Beinen und den Flur hinunter.
Für einen Sekundenbruchteil hatte der District-Leader den Eindruck, als ob der Fluss der Zeit stockte: Die Möbelsplitter, die durch die Türöffnung aus der Wohnung katapultiert wurden, die Roboter und er selbst – alles verharrte für einen winzigen Moment in der Luft.
Dann krachte Rawgen unweit der Schaulustigen zu Boden.
Die Menge schrie auf.
Der POE-Mann ignorierte den Schmerz im Rücken und kam mit Mühe hoch. Er stand unter Schock und brauchte einen Moment zur Orientierung, während der Sol Guard-Droide bereits seinen Schutzschild aktivierte und auf das Quartier zustürmte.
Als die Maschine jedoch die Türöffnung erreichte, kehrten sich die Kräfte um, und sie wurde mitsamt den Trümmern vom Gang in die Wohnung gesaugt. Kurz darauf hörte Ecrias neben seinem Ohrenpfeifen eine weitere Detonation, die auf das Ableben des letzten Droiden vor Ort hindeutete.
Seine Untergebenen eilten herbei und stützten ihn, bis er sich gefangen hatte. Die drei Männer ließen ihre Schilde aufflammen, zogen die Waffen und pirschten sich an die Wohnung heran. Neben der Tür gingen sie in Stellung. Ein grelles Licht fiel auf den Flur. Kälteschwaden krochen über den Boden.
»Achtung, Achtung! Dies ist ein Polizeieinsatz und dient sowohl Ihrer eigenen Sicherheit als auch dem Schutz der Öffentlichkeit. Nehmen Sie die Hände hinter den Kopf und legen Sie sich auf den Fußboden. Kooperieren Sie unter allen Umständen, sonst sind wir gezwungen, Gewalt anzuwenden. Protection and Order for Everybody. Vielen Dank.«
Der Helm von District-Leader Rawgen verstärkte seine ohnehin imposante Stimme. Doch keine Lebenszeichen drangen aus der Unterkunft.
Der Lichtschein verblasste.
Ecrias raunte seinem Sergeant über Funk zu, eine Kameradrohne freizusetzen, um die Lage zu sondieren. Der angesprochene Beamte bestätigte, und die Drohne von der Größe einer Münze zischte um die Ecke. Bevor die Polizisten jedoch die Bildübertragung auf ihren Helmdisplays verfolgen konnten, geriet die Drohne außer Kontrolle und das Signal erstarb.
Fluchend forderte Ecrias bei seiner Dienststelle Verstärkung an. Dass ein simpler Bergarbeiter solche Geschütze auffahren würde, hatte er nicht erwartet. Offiziell musste auch er sein Vorgehen anpassen. Tausend Dienstvorschriften und die Verhandlungsregeln im Umgang mit Terroristen schossen ihm durch den Sinn, denen er aber wenig abgewinnen konnte. Warten oder Verhandeln gehörte nicht zu seinen Stärken. Die Situation zügig sondieren und bereinigen viel eher.
Probehalber kickte er ein Roboterschrottteil vor die Türöffnung. Das Stück Metall blieb liegen.
Kein Sog-Effekt mehr!
Ein Blickwechsel mit seinen Sergeants genügte, die derselben Ansicht zu sein schienen. Taktisch versetzt und mit den Waffen im Anschlag rückten die Cops in die Wohnung vor, hielten nach ein paar Metern allerdings inne: Klirrende Kälte erfüllte den Flur. Eine Frostschicht überzog den Fußboden und die Wände. Eiskristalle schwebten umher.
Unter den Füßen der Männer knirschte es, als sie vom Flur aus in die Räumlichkeiten vordrangen. Die Scanner hinter ihren Helmvisieren liefen, registrierten jedoch keine Anzeichen des Bewohners.
Ecrias las die Temperatur bei minus fünfzig Grad Celsius ab. Er rief Antonio Cabrallos Namen und erntete abermals Schweigen.
Falls der noch hier ist, dann nur als Eiszapfen …
Eine Klimakontrolle, die so verrückt spielte wie in diesem Quartier, hatte er noch nie erlebt. Er schaltete den Energieschild, der seinen roten Schutzanzug umflimmerte, auf Stufe »Umwelt« und bedeutete seinen Leuten mittels Handzeichen, sich nebenan in Schlaf- und Badezimmer umzusehen, während er den Wohnraum unter die Lupe nahm.
Dort traute er seinen Augen