Goliath aß die Spiegeleier, den Spinat verschmähte er. „Ich mag dieses Grünzeug nicht“, schrie er, „und werde keinen Happen davon essen, selbst wenn ich mein Lebtag nicht größer werde als du, Vater.“
Der kleine Pirat war ratlos. Wie sollte er sein Kind aufziehen, wenn es keinen Spinat und keinen Lebertran mochte? Da er auf diese Frage keine Antwort wusste, beschloss er, erst wieder einmal ein Schiff zu kapern und danach weiter zu überlegen. Doch sein Sohn schien auch nicht viel vom Seeräuberhandwerk zu halten.
„Kannst du nicht auf ehrliche Weise dein Brot verdienen, wie andere Leute?“, mahnte er seinen Vater. Aber dieser antwortete störrisch:
„Ich liebe dich, mein Sohn, doch ein guter Mutterersatz wird niemals aus mir. Hingegen bleibe ich ein tüchtiger Pirat und das mein Leben lang.“
Sie fuhren aufs weite Meer hinaus. Nach einigen Tagen tauchte am Horizont ein Schiff auf. Der Kapitän ließ es herankommen, dann gab er den Befehl zum Angriff. Doch da näherte sich aus der Ferne ein weiteres Schiff, noch eins und noch eins. Es war eine ganze Flotte, die der König ausgesandt hatte, um den Zwergpiraten zu fangen. Gegen eine solche Übermacht kamen die Seeräuber nicht an. Der Kapitän ließ wenden und das Schiff flog mit vollen Segeln davon. Die Flotte folgte, aber sie war nicht so schnell. Der kleine Pirat sah den Abstand immer größer werden und lachte:
„Eine ganze Flotte schickt der König aus, um mich zu fangen. Du siehst, wie schrecklich, wie gefährlich, wie gefürchtet ich bin, mein Sohn. - Nanu“, staunte er, als er keine Antwort erhielt, „wo bist du?“
Sein Junge war verschwunden. Der besorgte Vater ließ das ganze Schiff durchsuchen. Nirgendwo fand man den Kleinen.
„Er ist über Bord gefallen und ertrunken“, schluchzte der Zwergpirat traurig.
Goliath war tatsächlich über die Reling ins Meer geplumpst. Doch er lebte noch. Matrosen der königlichen Flotte hatten ihn aus dem Wasser gefischt. Als sie den Knirps tropfend vor sich stehen sahen, jubelten sie:
„Juchhu, wir haben den Zwergpiraten gefangen. Das Schiff braucht nicht weiter verfolgt zu werden, wir haben seinen Kapitän.“
„Ich bin kein Kapitän und erst recht kein Seeräuber“, krähte der Kleine empört. - Niemand wollte ihm glauben. „Mein Name ist Goliath und nicht Zwergpirat.“
„Seht euch diesen Knirps an. Er heißt Goliath“, feixten die Matrosen. Sämtliche Offiziere und der Kapitän waren inzwischen hinzugekommen. Die ganze Mannschaft wieherte vor Vergnügen.
„Du bist nicht größer als ein siebenjähriges Kind, also haben wir den Zwergpiraten vor uns stehen.“
„Irrtum, ich bin so klein, weil ich tatsächlich erst sieben Jahre zähle“, protestierte der Junge, doch es half ihm nichts. Man sperrte ihn ein und brachte ihn an die Küste. Von dort wurde er unter strengster Bewachung zur Hauptstadt geschleppt und ins Gefängnis geworfen. In drei Monaten sollte der Prozess gegen ihn sein.
Vier kräftige Wärter bewachten den kleinen Häftling. Sie brachten ihm Wasser und Brot, wie das damals im Kerker üblich war. Doch Goliath hatte sich eine List ausgedacht. Er schob den Napf beiseite.
„Ich esse nur Spinat und trinke nur Lebertran,“, erklärte er. Da nahmen die Aufseher das Essen wieder mit. An diesem Abend musste der Piratensohn sich hungrig schlafen legen. Trotzdem schob er auch am nächsten Tag Brot und Wasser beiseite. So ging das mehrere Tage lang; er rührte nichts an. Die Wärter sahen, wie ihr berühmter Gefangener dünn und blass wurde. Da packte sie die Angst.
„Er darf nicht vor der Gerichtsverhandlung sterben, sonst hängt man uns an seiner Stelle“, sagten sie sich.
Von da an bekam der Junge zu allen Mahlzeiten Lebertran und Spinat, wie er es gewünscht hatte. Er griff tüchtig zu und erholte sich schnell.
Die drei Monate vergingen. Eines Morgens brachte man den Häftling vom Gefängnis zum Justizgebäude, wo der Prozess gegen ihn stattfinden sollte. Auf dem Weg dorthin drängten sich die Leute neugierig in den Straßen. Doch als er vorüber geführt wurde, ging ein enttäuschtes Murmeln durch die Menge.
„Das ist doch nicht der Zwergpirat. Dieser lange Kerl kann doch nicht der Zwergpirat sein.“
Tatsächlich, Goliath war in den vergangenen Wochen von all dem Lebertran und den Unmengen Spinat unglaublich in die Höhe geschossen, er überragte seine Wärter um einen Kopf.
„Ihr habt den Zwergpiraten entkommen lassen“, donnerte der Richter die Aufseher an. „Die Seeräuber haben ihren Anführer aus dem Gefängnis befreit und einen Unschuldigen an seiner Stelle eingesperrt. Nehmt ihm sofort die Fesseln ab und lasst ihn laufen.“
Ehe er sich besann, stand der Piratensohn als freier Mann auf der Straße und trug sogar noch einen Beutel mit Münzen bei sich, mit denen man ihn für die Tage im Kerker entschädigt hatte. So schnell ihn seine nun langen Beine trugen, floh er aus der Stadt.
Von dem Geld kaufte der Junge sich einen Fischerkahn. Diesen belud er mit Spinat und Lebertran als Proviant und fuhr aufs Meer hinaus. Mehrere Tage trieb er auf den Wellen. Da tauchte am Horizont das Schiff seines Vaters mit der schwarzen Totenkopffahne auf.
Der Zwergpirat stand an Bord. Er war es gewohnt, alles, was sich auf dem Wasser bewegte, vor ihm fliehen zu sehen. Doch dieser Mensch in dem elenden Fischerkahn schien keinen Respekt vor ihm zu haben, er steuerte direkt auf ihn zu. Der Kapitän kniff die Augen zusammen und spähte nach dem Insassen des Wasserfahrzeuges. Und jeder liebevolle Vater, selbst ein Seeräuber, erkennt seinen Sohn, auch wenn er ihn mehrere Monate nicht mehr gesehen hat und dieser in der Zwischenzeit unheimlich gewachsen ist.
„Hallo, Goliath, du lebst noch?“ rief er ihm erfreut zu. „Komm an Bord, damit ich dich umarmen kann.“
Der Matrosen ließen eine Strickleiter hinunter. Doch der Piratensohn zögerte.
„Einen Augenblick noch, ich muss erst meinen Teller leer essen“, entgegnete er.
„Was isst du denn da?“ wollte der Vater wissen.
„Spinat“, rief der Junge hinauf.
„Spinat?“ Der Seeräuberkapitän war sprachlos. Er sah seinem Sohn staunend zu, der seelenruhig den Teller leer löffelte und dann erst zu ihm hinaufkletterte. Sie umarmten sich.
„Du machst deinem Namen alle Ehre“, sagte der Kapitän und führte Goliath in seine Kajüte. Dort saßen sie stundenlang beisammen und der Junge erzählte, wie Spinat und Lebertran ihm geholfen hatten.
„Fabelhaft“, staunte der Pirat, „fabelhaft. Vielleicht sollte ich es auch einmal damit versuchen? Wer weiß, vielleicht wachse ich auch noch?“
Und weil er alles was er tat, besonders gründlich machte, entließ er seine Seeräuber-Mannschaft, verkaufte das Schiff und erwarb vom Erlös ein großes Stück Land, nahe bei Kleinmeindorf, wo ihn niemand kannte. Der Zwergpirat und sein Sohn bauten ein Haus und pflanzten Spinat an, nur Spinat, soweit man sehen konnte, Spinat.
Und wenn die beiden abends müde von der Feldarbeit heimkamen, dann aßen sie ihr Grünzeug und tranken dazu Lebertran.
Als der Zwergpirat älter wurde und ihm das Bücken schwer fiel, überließ er seinem Sohn allein den Ackerbau. Er eröffnete in Kleinmeindorf eine Gaststätte und nannte