„Aber dies ist doch keine neue Erfindung“, sagte Ohle Sohlenmuster. „Das gibt es längst; man nennt es Telefon.“
„Telefon, Telefon“, überlegte Quirin Quantler-Binder. „Tatsächlich, du hast recht. Ein Telefon hat vor mir schon ein anderer erfunden. Dann muss ich mir eben etwas Neues einfallen lassen.“
„Was hast du dir diesmal ausgedacht?“ fragte der Schuster, nachdem der Bastler und Erfinder sich wieder für einige Tage in seinem Haus eingeschlossen hatte.
„Oh, etwas Wunderbares, etwas ganz Wunderbares“, sagte der Gefragte und strahlte vor Stolz. „Es ist ein viereckiger Kasten, den ich aus alten Dielenbrettern, einer Milchglasscheibe, verrosteten Fahrradspeichen, einem undichten Gartenschlauch und zwei oder drei Geheimnissen zusammengesetzt habe. Man kann darin Menschen sich bewegen sehen, sie sprechen und singen hören, obwohl sie hunderte von Kilometern entfernt sind.“
„Aber das ist doch nichts Neues“, sagte Ohle Sohlenmuster. „Diesen Kasten gibt es längst, man nennt ihn Fernseher.“
„Du hast recht“, musste Quirin Quantler-Binder zugeben.
Eine Zeitlang lebte er ganz so wie die anderen Rentner auch: Morgens saß er auf der Bank unter der Dorflinde, las entweder die Zeitung oder schimpfte über Steuern, Politiker, das Wetter und die Fußballer vom FC Großkloßmoos, er ging mit seinen Enkelkindern spazieren und pflanzte Stiefmütterchen auf das Grab seiner verstorbenen Frau.
Dann war eine Sondermüllaktion. Medikamente, Thermometer, Spraydosen, Lacke und Farben, verbrauchte Batterien, altes Autoöl, alles was nicht auf die Hausmülldeponie gehört, wurde eingesammelt. Quirin Quantler-Binder lieh sich die Schubkarre von Hyazinth Immergrün, dem Gärtner, aus, fuhr damit durch die Straßen und lud auf, was er für brauchbar hielt. Danach ließ er sich fünf Tage nicht sehen. Während dieser Zeit roch die ganze Straße nicht nach Frühling, sie stank eher nach Jauche, verfaulten Abfällen und angesengten Putzlappen. Am sechsten Tag kam Quirin Quantler-Binder pfeifend durch’s Dorf, in der Hand hielt er eine Hundeleine, die er hinter sich herzog.
„Nanu“, staunte Ohle Sohlenmuster, „was machst du da?“
„Ich führe meinen Hund spazieren; er ist mir vorige Woche zugelaufen, kurz bevor ich mich eingeschlossen habe. Moritz heißt er.“
„Aber ich sehe keinen Hund“, entgegnete der Schuster.
„Was, du siehst meinen Moritz nicht? - Ach ja, richtig, du kannst ihn gar nicht sehen. Ich habe nämlich das Pulver Machunsichtbar erfunden. Mein Vierbeiner hat daran geschnüffelt und nun ist er für das menschliche Auge verschwunden. Macht aber nichts. Hübsch ist er wirklich nicht. Eine Promenadenmischung zwischen Pudel und Spitz, mit verfilztem, gelbem Fell, Hängeohren und Triefaugen - aber sehr brav.“ Quirin Quantler-Binder bückte sich, tätschelte und streichelte die Luft etwa fünfzehn Zentimeter über dem Boden. „Guter Hund“, sagte er und ging weiter.
Ohle Sohlenmuster staunte. Im Nu verbreitete sich die Neuigkeit in Kleinmeindorf. Der Bürgermeister, Rex König, hörte auf in seinen Akten zu kramen, Peter Pankeponk verließ die Apotheke, Fred Federtraum, der Dichter, legte seinen Kuli beiseite, Malermeister Karl Kleckerkleister stieg von der Leiter, die Hausfrauen eilten mit ihren schweren Einkaufstaschen herbei, Polizist, Gärtner, alle fanden sich vor dem Haus von Quirin Quantler-Binder ein und umringten ihn. Zuletzt gesellte sich noch der Bäcker Bäcker hinzu, der nicht nur Bäcker von Beruf ist, sondern auch so heißt. Er war misstrauisch und äußerte Zweifel an der Erfindung.
„Du kannst gerne das Zauberpulver versuchen, dann siehst du, ob ich gelogen habe“, schlug der Bastler und Erfinder vor.
„Her damit“, forderte der Bäcker Bäcker. Er wandte sich an die anderen Kleinmeindorfer. „Quirin Quantler-Binder hält euch zum Narren, ich werde es beweisen. Schon früher, als Lehrer, versuchte er meinem Sohn allerlei beizubringen, was sich völlig unglaublich anhörte und außerdem überhaupt nichts mit Chemie oder Zeichnen und Werken zu tun hat. Er erzählte von Sternen, die unendlich weit weg sind. Ihr Licht soll uns erst nach einer Million oder noch mehr Jahren erreichen. Man könne den Abstand zur Erde sogar in Kilometern umrechnen, aber die Zahl ist riesig groß - mir wird schwindlig davon. Ich möchte wissen, wie er so etwa behaupten kann. - Hat er etwa nachgemessen. Hahahah.“
Quirin Quantler-Binder unterbrach den Redeschwall. „Bevor ich dir von dem Pulver gebe, muss ich dich auf etwas aufmerksam machen: Bis jetzt habe ich noch kein Gegenmittel gefunden. Vielleicht gelingt es mir schon morgen, vielleicht nie, dann wirst du dein Lebtag unsichtbar bleiben.“ - Da schlich der Bäcker Bäcker davon und die anderen Kleinmeindorfer, einschließlich Bürgermeister, ebenfalls.
Einige Tage später kam Quirin Quantler-Binder laut schreiend von einem Morgenspaziergang zurückgelaufen. „Ein Drache, ein fürchterliches Drachenungeheuer“, brüllte er lauthals.
„Wo? Wo?“ riefen seine Nachbarn.
„Auf der Wiese beim Dorfteich!“
Da rannten die Kleinmeindorfer in ihre Häuser, verriegelten die Türen, machten die Fensterladen zu. Zitternd hockten sie in den Stuben. Gegen Mittag hörte Ohle Sohlenmuster ein fürchterliches Poltern und Schreien im Nebenhaus. Trotz seiner Angst bewaffnete er sich mit einem Besen und schlich auf die Straße hinaus, um seinem Nachbarn zu helfen. Er schaute durch ein offenstehendes Fenster ins Wohnzimmer des Bastlers und Erfinders. Dort lagen Sessel und Tisch umgekippt auf dem Boden, die Vorhänge waren von den Fenstern heruntergerissen. Mitten in der Stube sprang Quirin Quantler-Binder herum, schlug mit den Fäusten in die Luft, duckte sich, machte einen Satz in die Höhe wie ein Zirkusclown, dabei keuchte und schrie er. „Nun ist der Ärmste vor lauter Nachdenken, Basteln und Erfinden übergeschnappt“, sagte der Schuster laut. Quirin Quantler-Binder hörte ihn sprechen, warf einen kurzen Blick zum Fenster und haute dann wieder mit den Fäusten um sich.
„Hole Hilfe“, schrie er dabei. „Der Drache ist in meinem Zimmer.“
„Der Drache? - Ich sehe keinen Drachen.“
„Ich weiß“, keuchte Quirin Quantler-Binder und duckte sich hinter dem umgeworfenen Tisch. „Er hat von meinem Zauberpulver genascht. Nun ist er unsichtbar und das macht ihn besonders gefährlich. - Nun rufe endlich ein paar starke Leute herbei, sonst ist es aus mit mir.“
Der Schuster wetzte davon. Er trommelte gegen Fensterläden und Türen. „Kommt zum Bastler und Erfinder. Wir müssen ihn retten. Der Drache hat ihn überfallen.“
Die Männer befahlen ihren Frauen und Kindern, in den Wohnungen zu bleiben. Dann bewaffneten sie sich mit Besenstielen, Beilen, Kohlenschaufeln und Suppenlöffeln, schlichen zum Haus von Quirin Quantler-Binder und spähten durch das offene Fenster. Der Bastler und Erfinder rang keuchend und schwitzend mit seinem unsichtbaren Gegner. Doch plötzlich ließ er die Arme sinken, wischte die Hände an den Hosenbeinen ab und wandte sich an die Zuschauer.
„Das wäre geschafft“, sagte er erleichtert. „Das Untier ist besiegt, es liegt dort auf dem Boden.“
Die Kleinmeindorfer sahen zwar nichts, doch sie jubelten und klatschten begeistert Beifall. Der Bürgermeister, der als letzter herbeigeeilt war, überlegte: „Was machen wir mit dem toten Drachen?“
„Wir werfen ihn in die Schlucht im Wald“, schlug Quirin Quantler-Binder vor. Der Gärtner Hyazinth Immergrün lief davon, um eine Schubkarre zu holen. Als er zurückkam, waren sämtliche Kleinmeindorfer zu ängstlich, den Drachen aufzuladen.
„Vielleicht lebt er doch noch ein wenig“, sagte sogar