»Es gibt keine Feier«, unterbrach ich sie.
»Aber du wirst vierzig!«
»Ich bin neununddreißig.«
»Deinen Neununddreißigsten hast du im letzten Jahr gefeiert.«
»In diesem Jahr feiere ich ihn wieder. Und im nächsten Jahr sehen wir weiter. Keine Feier. Gar nichts. Und wer gratuliert, kriegt eins hinter die Löffel. Außerdem werde ich sowieso nicht da sein.«
»Das kannst du uns nicht antun!«
»Ich hasse Geburtstage. Erinnern immer an die Endlichkeit des Seins.«
»Was hast du denn? Ist doch nur eine Feier unter Freunden.«
»Verstehst du denn nicht? Vierzig ist der Rubikon! Hast du dir mit achtzehn vorstellen können, dass du mal vierzig wirst? Und wie du dann bist? Mit vierzig bist du alt. Das ist die Schwelle zum Rentenalter.«
»Mit vierzig werden die Schwaben g’scheit, sagt man.«
»Ich bin frühreif. Ich habe dieses Problem schon mit neununddreißig erledigt.«
»Dein Problem ist eher, dass du auch mit achtzig noch nicht gescheit wirst.«
»Woraus logisch folgt, dass der Vierzigste keinerlei Bedeutung hat. Wenigstens nicht für uns Männer. Ihr Frauen habt ja einen Grund. Mit vierzig kommt ihr in die zweite Pubertät.«
»Du mit deinen Machosprüchen!«
»Habe ich in einer Frauenzeitschrift gelesen.«
Sonja erwiderte nichts, sondern kümmerte sich intensiv um den Ficus im Bonsai-Format, der seit kurzem ein klägliches Dasein auf der Fensterbank fristete. Ob der zum Feng Shui passte?
»Sonst hast du keine Probleme?«, sagte sie schließlich giftig.
»Doch. Du kennst eine Sybille Schneider?«
»Klar. Wir haben uns mal bei einem Indienseminar getroffen. Du kennst übrigens ihren Mann. Der ist bei der Kripo irgendwo im Remstal.«
»Ach, der!« Ich hatte ihn tatsächlich mal getroffen, und obschon er sich anmaßte, einen gelben Porsche zu fahren, schien er ein sympathischer Kerl zu sein.
»Was ist mit ihr?«, fragte Sonja.
»Anscheinend hat sie mich jemandem empfohlen. Woher weiß sie nur von mir? Tratschweiber!« Und ich erzählte ihr von dem Besuch und meinem Auftrag.
Sonja schaltete schnell. »Ich soll mich wohl nach der Dame erkundigen.«
»Kluges Mädchen! Die richtige Sekretärin für einen harten Kerl wie mich.«
»Sekretärin!«
»So hat sie dich genannt. Außerdem möchte ich wissen, was du dieser Sybille über mich erzählt hast.«
»Dass du dich jetzt Privatdetektiv nennst, nichts weiter. Wirklich. So interessant bist du auch nicht, Dillinger, dass man stundenlang über dich reden möchte.«
»Eigenartig, wieso sie dann ausgerechnet auf mich gekommen ist.«
»Sie hat dich nicht gekannt. Das erklärt den Irrtum. Du willst diesen bescheuerten Auftrag doch nicht etwa annehmen?«
»Warum nicht?«
»Schweinestall, Goldhamster und ein Pumpenfabrikant. Das klingt reichlich mysteriös.«
»Eben drum.«
»Darf ich raten? Deine Klientin ist eine Schönheit mit viel Holz vor der Hütte.«
»Exakt.«
»Männer!«
»Es geht um die intellektuelle Herausforderung. Aber das versteht ihr Frauen nicht. Außerdem ist sie viel zu alt für mich. Und ich bin in festen Händen. Und ich habe schon zugesagt. Und einen Scheck bekommen. Und gleich morgen trete ich in die Pedale.«
»Und wer macht dann die Arbeit im Büro?«
»Du natürlich, mein Schatz. Wer kann das besser als du?«
»Manchmal hasse ich dich, Dillinger!«
»Das geht schon in Ordnung. Artikuliere deine Gefühle. Lass es raus.«
»Du wirst dich mit dieser Sache ganz schön in die Nesseln setzen, glaub es mir!«
Brühe mit Einlage
Letztlich waren es nicht die Nesseln, sondern die Jauchegrube. Ich habe das Gefühl, dass ich diesen Gestank mein Leben lang nicht mehr wegkriegen werde. Er sitzt in jeder Pore.
Vor mir steht inzwischen ein Teller Hühnersuppe und dampft verführerisch vor sich hin.
»Greifen Sie zu«, sagt die Bäuerin, »es gibt nichts Besseres, wenn man sich aufwärmen will.« Was sie auf ihr Gesicht zaubert, könnte man vielleicht sogar als ein Lächeln interpretieren.
In der Tat, das Aufwärmen habe ich nötig, die heiße Dusche hat nicht lange vorgehalten. Vielleicht sind es auch die Nerven. Mir wird immer klarer, dass ich dem Tod gerade noch mal von der Schippe gesprungen bin.
Meine Hände zittern, als ich den Löffel zum Mund führe, und ich verschütte etwas von der Suppe. Große Fettaugen dümpeln auf der Brühe, reichlich Fleisch und Gemüse warten auf mich. Das ist keine Suppe aus dem Päckchen.
Die Schrotflinte liegt immer noch auf dem Tisch, zeigt auf mich und macht mich nervös.
»War wohl schon ziemlich morsch, die Abdeckung von Ihrer Jauchegrube«, sage ich.
Der Bauer schüttelt den Kopf.
»Die Bretter sind alt, aber nicht morsch. Sie waren angesägt.«
Er sagt das ganz gelassen, dabei liegt es glasklar auf der Hand, was diese Entdeckung bedeutet. Niemand konnte damit rechnen, dass ich um den Hof schleiche.
»Gehen Sie oft da lang?«, frage ich.
»Regelmäßig. Da geht’s zum Hühnerstall.«
»Haben Sie eine Ahnung, wer das gewesen sein könnte?«
Der Bauer wiegt den Kopf. »In letzter Zeit ist einiges Seltsame passiert hier.«
Ich weiß. An einigem davon bin ich nicht ganz unschuldig.
Im Tal der Erinnerungen
Viele Wege führen von Schwäbisch Hall nach Esslingen. Ich nahm die Schlängelstraße durch den Schwäbischen Wald.
Mein Auto war denkbar schlecht geeignet für eine Beschattung, und deshalb hatte ich es gegen Sonjas Wagen getauscht, was nicht ohne nervige Diskussionen gegangen war.
»Du bist wahrscheinlich der einzige Mensch auf der Welt, der nicht wild darauf ist, Porsche zu fahren«, sagte ich. »Ich habe eine Idee. Fahr nach Aalen, mach einen gemütlichen Shoppingbummel mit Nele ...«
»Shopping! In Aalen!«
»… und tausch meinen Porsche gegen ihren Wagen. Nele weiß mein Prachtstück wenigstens zu würdigen.«
»Geht’s noch aufwendiger? Warum machst du das nicht selber?«
»Nele kommt erst heute morgen von einem Termin zurück. Zu spät für mich.«
»Nein! Mein Auto kriegst du nicht! Schaff dir einen Zweitwagen an! Obwohl ... Da könnte ich mit Nele deine Geburtstagsfeier besprechen.«
»Es gibt keine Feier!«
»Du hast da gar nichts mitzureden. Hier sind meine Schlüssel.«
Sonjas gemütlicher alter Golf war der Schrottprämie zum Opfer gefallen und gegen einen Fiesta eingewechselt worden. Sie nannten es Auto, ich bezeichnete es als Blechbüchse auf