Das blassblaue Kostüm mit dem sehr kurzen Rock war so eindeutig Chanel, dass sogar ich das erkannte, und der leise Duft, der von ihr ausging, war dann wohl No. 5. Ich dachte natürlich sofort an Marilyn Monroe, an wen auch sonst, aber im Vergleich zu der Dame in Blassblau war die gute Marilyn ein rechter Pummel gewesen. Perfekt ausgemergelt war die Dame, könnte man sagen, dabei machte sie nicht den Eindruck, als sei sie der knochige Typ. Aber Fettabsaugen war ja ein Routineeingriff heutzutage.
Berückend schön, in der Tat. Wenn man auf ältere Semester stand. Die Dame verstand es blendend zu kaschieren, dass sie die Vierzig überschritten hatte. Ein ebenmäßiges Gesicht, von einem kunstvoll modellierten Blondschopf umrahmt, gerade Nase, volle Lippen. Und reichlicher Gebrauch von Make-up. Bei genauerem Hinsehen würde man sicher ein paar Narben hinterm Ohr finden. Wenigsten konnte sie noch lächeln, was für mäßigen Botox-Einsatz sprach.
Vielleicht bin ich gehässig. Aber mit allem jenseits der, sagen wir mal, neununddreißig hatte ich derzeit meine Probleme.
Ich tippte auf eine Lebensversicherung für ihren überzüchteten Rassehund.
»Sind Sie der Privatdetektiv?«, hauchte sie mit sanfter Stimme. »Unten am Haus ist jedenfalls ein Schild.«
Ich konnte mir den dummen Spruch nicht verkneifen: »Sehen Sie außer mir noch jemanden?«
Sie lachte. Sympathisch, diese Frau. Es war diese Art keckerndes Lachen, die man lange üben muss, damit es seine erotisierende Wirkung entfaltet.
Es kommt nicht eben häufig vor, dass mich ein Klient in meiner Eigenschaft als Privatdetektiv aufsucht. Normalerweise stolpere ich eher zufällig über Leichen und muss dann sehen, wie ich damit zurecht komme.
Das war so ein Fall.
Genauer gesagt war es der erste Fall. Mein erster richtiger Klient! Und dann noch eine Klientin! Und eine, die man nicht von der Bettkante schubsen würde! In Asien spricht man dem ersten Kunden des Tages eine große Bedeutung zu. So ein bisschen Aberglauben war vielleicht nicht schlecht. Was immer diese Frau von mir wollte, sie würde es bekommen. Alles.
Ich deutete auf den Besuchersessel, ein ältliches Ding aus rotem Leder, das ich vor langer Zeit bestens erhalten aus dem Sperrmüll gezogen hatte. Aus einem Grund, den ich nicht verstanden hatte, harmonierte er nicht mit Feng Shui, aber in diesem Punkt hatte ich mich durchgesetzt. Der Sessel blieb, basta! Man saß gut in dem alten Möbel, wenn auch manche Frauen ihre Probleme damit hatten, weil die Sitzfläche nach hinten leicht abfiel. Vor allem Frauen mit kurzem Rock.
Diese Frau meisterte das Problem souverän. Sie hatte auch die passenden Beine dazu.
»Was kann ich für Sie tun?«, fragte ich ganz professionell.
»Ich möchte, dass Sie meinen Mann beschatten.«
»Ich mache keine Ehegeschichten«, erklärte ich bestimmt.
»Wieso Ehegeschichte?«
»Wenn eine Frau ihren Mann beschatten lässt, steckt eine andere Frau dahinter.«
»Mein Mann hat keine Freundin, ganz sicher nicht. Ich glaube, mein Mann wird erpresst.«
»Und warum?«
»Das sollen Sie herausfinden.«
»Warum fragen Sie ihn nicht einfach?«
»Das habe ich schon getan.«
»Wohl mit keinem durchschlagenden Erfolg.«
»Woher wollen Sie das wissen?«
»Sonst säßen Sie nicht hier.«
Von mir aus konnte sie gerne noch eine Weile so sitzen bleiben. Sie saß nämlich keineswegs so sittsam da, wie es sich für eine Dame der besseren Gesellschaft geziemt, sondern gab den Blick frei auf viel ansehnliche Oberschenkel. Wenn ich das richtig beobachtet hatte, dann hatte sie nicht, wie das die meisten Frauen automatisch tun, den Rock nach unten gestrichen, als sie sich auf dem Sessel niederließ, sondern ein wenig hochgezogen.
Mein Blick wanderte nach oben. Was ihr knappes Jäckchen zum Schwellen brachte, war ein Wunderwerk der Natur oder höhere Chirurgenkunst. Jedenfalls zeigte die Dame reichlich von dem, was sie hatte. Ältere Frauen haben auch ihre Reize, musste ich eingestehen.
»Sie haben recht«, räumte sie ein. »Er hat gesagt, dass ich mir das einbilde. Aber ich weiß, dass etwas nicht stimmt. Als Ehefrau hat man ein Gespür dafür. Ich mache mir Sorgen.«
Sie schaute mich mit kummervoller Miene an, wühlte in ihrer Handtasche und kramte ein weißes Taschentuch hervor, mit dem sie vorsichtig ihre Augen betupfte. Vorsichtig genug, damit die Schminke nicht verrutschte.
»Entschuldigung«, sagte sie, »ich habe mich noch gar nicht vorgestellt.«
Ein weiterer Griff in das Monstrum von Tasche, das unübersehbar von Dolce & Gabbana stammte, förderte eine Visitenkarte zutage. Susanne Eulert stand darauf. Und eine Adresse.
»Esslingen?«, rief ich entgeistert. »Was soll ich denn in diesem Kaff? Da kenne ich doch niemanden!«
»Eben drum«, lächelte sie. »Deshalb kennt auch Sie niemand.«
»Wie kommen Sie gerade auf mich?«
»Eine Freundin hat mich auf Sie aufmerksam gemacht. Sybille Schneider.«
»Sagt mir nichts.«
»Ich glaube, sie ist eine Bekannte Ihrer Sekretärin.«
»Sekretärin! Lassen Sie das nicht Sonja hören! Sie ist meine Partnerin.«
»Ich sollte eigentlich Grüße ausrichten, aber Ihre ... Partnerin scheint nicht da zu sein. Ihre ... Partnerin hat Sybille viel von Ihnen erzählt. Sie scheinen mir der richtige Mann für diese Sache zu sein. Sie machen das professionell und vor allem diskret. Also? Nehmen Sie den Auftrag an?«
»Dazu muss ich erst mehr wissen. Wer ist Ihr Mann?«
»Mein Mann ist Helmut Eulert, er hat die Firma Eula gegründet.«
»Muss ich die kennen?«
»Die Eula ist Weltmarktführer im Bereich Pumpentechnologie. In Ihrer Waschmaschine, in Ihrer Kaffeemaschine, in Ihrem Auto sind garantiert Teile von uns.«
»Aha, das nächste Mal werde ich darauf achten. Erzählen Sie von Ihrem Mann.«
»Ich glaube, um meinen Mann verstehen zu können, muss man wissen, woher er kommt.«
Ein Porträt des Unternehmers als junger Mann
Helmut Eulert war nicht an der Wiege gesungen, dass aus ihm einmal ein schwerreicher Unternehmer werden sollte. Denn er kam, wie man das so nennt, aus einfachen Verhältnissen. Er war Jahrgang 1950 und stammte aus Stuttgart, genauer: aus dem Stadtteil Bad Cannstatt, wo sich die Eltern auf dem Hallschlag niedergelassen hatten, einem nicht sonderlich gut beleumundeten Viertel. Doch im zerbombten Stuttgart der Nachkriegszeit war man froh, wenn man überhaupt eine Wohnung zugewiesen bekam.
Helmuts Vater war mehrfach verwundet aus dem Krieg heimgekehrt, ein verschlossener, verbitterter, zu Jähzorn neigender Mann, der nie darüber sprach, was er in Polen, in Frankreich, auf dem Balkan, in Russland erlebt hatte. Die sechs Jahre Krieg und die sechs Jahre davor waren ein absolutes Tabu im Hause Eulert.
Auch die aktuelle Politik war nie ein Thema. »Alles Verbrecher«, spuckte Eulert senior allenfalls verächtlich aus, wenn er einen über den Durst getrunken hatte. Dann war er allerdings schon gefährlich nahe am Vollsuff, und da war es ohnehin besser, ihm aus dem Weg zu gehen, denn er wurde gern ausfallend. Der junge Helmut lernte, die Anzeichen zu deuten und sich rechtzeitig aus dem Staub zu machen.
Als gelernter Schlosser versuchte sich Eulert senior zunächst mit einem Fahrradgeschäft. Es war eine gute Geschäftsidee, allerdings nicht in dieser Gegend und nicht in dieser Zeit, und so war er froh, als er schließlich beim Daimler unterkam.
Damit war auch der