Madame führte mich durch halb Esslingen, und die Stadt war nicht so klein, wie ich gedacht hatte. Sie war eine miserable Fahrerin. Unter anderen Umständen hätte sie mich zur Weißglut gebracht. Wurde schon langsamer, wenn sie sich einer grünen Ampel auf Sichtweite näherte, aus Angst, sie könnte umschalten. Machte fast eine Vollbremsung bei Gelb. Hielt überpenibel die Geschwindigkeitsbegrenzung ein, als könnte hinter jedem Vorgartenbusch eine Radarfalle lauern. Und so jemand fährt einen Sportwagen?
Wenigstens schwamm ihr roter Flitzer auffällig genug im Meer der einheitssilbergrauen Autos, so dass ich keine Angst haben musste, sie zu verlieren. Aber es war ja so langweilig. Warum bog sie nicht mal unvermittelt und ohne Blinken ab, rauschte auf den letzten Drücker über eine Kreuzung? Man hätte meinen können, sie schleppte mich absichtlich hinter sich her.
Mein Navi meldete brav die Straßen, durch die wir fuhren. Das war ausgesprochen nett, nützte mir allerdings wenig. Ich hatte keine Ahnung, in welcher Gegend wir uns befanden, als der Z3 vor einer Reihe von Wohnblocks hielt, die schon vor vierzig Jahren einfallslose Architektur gewesen waren und durch das Alter nicht gewonnen hatten.
Madame parkte, und auch ich fand ohne Mühe mein Plätzchen. In dieser Straße fiel ich wenigstens nicht auf, hier parkten genügend Autos. Madame stieg aus, die Einkaufstüte in der Hand, und ich blieb sitzen. Madame öffnete die Haustür zu Nummer 43, wie es aussah, mit einem eigenen Schlüssel, aber das konnte ich nicht genau erkennen, und ich schoss mein erstes Foto von ihr mit meiner nagelneuen Nikon. Madame verschwand, und ich rätselte, wo ich wohl etwas zu essen bekommen könnte.
Sie hatte mich schon geärgert, indem sie sich einem Kaffee für meine Pinkelpause verweigerte, und jetzt machte sie sich über meinen knurrenden Magen lustig. Immerhin war ich seit fünf Uhr auf den Beinen, und weit und breit kein Laden, nicht mal eine Imbissbude. Ich begann, mein eigenes Handbuch für Privatdetektive zu schreiben. Erste Regel: Begnüge dich nicht mit zwei Brötchen mit Hopfacher Büchsenwurst, nimm die ganze Büchse mit. Zweite Regel: Eine weitere Thermoskanne mit kühlem Riesling.
Eine saublöde Idee, diese Observierung. Überhaupt eine Observierung. Ich sollte das in Zukunft delegieren. Vielleicht an Sonja. Frauen sind für einen solchen Job besser geeignet. Haben sie endlich mal genügend Zeit, die Haare von links nach rechts zu zupfen und die Fingernägel zu feilen.
Warten macht mich ungeduldig. Vor allem, wenn ich nicht weiß, worauf ich warte. Und wie lange.
Ich parkte mein Auto um, auf die andere Straßenseite, damit ich den Eingang besser im Blick hatte. Ich stellte mich so hin, dass ich direkt vor einer Garageneinfahrt stand, so dass ich nicht rangieren musste, wenn ich losfahren wollte.
Ich zählte die Fenster im Block mit der Nummer 43. Zwölf Stockwerke, auf jedem Stock zwei Wohnungen, macht vierundzwanzig Wohnungen. Jede Wohnung mit zwei Fenstern nach vorne, macht achtundvierzig Fenster.
Ich fotografierte methodisch jedes Fenster, links oben beginnend. Varianten von Gardinen wie aus dem Musterkatalog. Die meisten verwehrten jeden Durchblick, andere waren eher Dekoration. An keinem Fenster zeigte sich jemand.
Ich fotografierte jedes parkende Auto, soweit mein Zoom reichte. Das war reine Langeweile, was sollte ich mit diesen Fotos schon anfangen, Nummernschilder waren nicht zu erkennen.
Ich fotografierte das Klingelschild und probierte die Haustüre. Abgeschlossen. Also hatte Madame doch einen Schlüssel, denn geklingelt hatte sie nicht, da war ich mir absolut sicher.
Keiner der Namen neben den Klingeln sagte mir etwas, wie auch? Ob mein Computergenie Rolf sie mal durch ein paar eigentlich unzugängliche Datenbanken jagen sollte? Spekulation: Madame unterhält hier ein geheimes Liebesnest. Indiz: die Tüte mit den Dessous. Vielleicht unter ihrem Mädchennamen? Hatte Sonja endlich ihre Freundin erreicht und etwas über Madame herausbekommen?
Ich rief an. Im Büro der Anrufbeantworter, am Handy die Mailbox. Typisch. Sobald der Herr aus dem Haus ist, tanzen die Mäuse auf dem Tisch. Und ich saß hier ohne wichtige Informationen und kämpfte mit dem Schlaf.
Bestimmt war Sonja bei Nele. Ich konnte mir die beiden lebhaft vorstellen.
Zwei Frauen
Fußgängerzone. Zwei herumschlendernde Frauen.
SONJA: Schick siehst du aus! Da wird Dillinger aber Augen machen! In Berlin gekauft?
NELE: Ja. Schon deswegen sollte man in die Hauptstadt ziehen.
SONJA: Doch nicht ernsthaft?
NELE: Warum nicht? Ich finde die Stadt toll.
SONJA: Das ist mir zu weit im Norden. Und die ganze Zeit unter Preußen? Igitt!
NELE: Für Frauen deiner Sorte ist auf alle Fälle mehr los als hier in der Provinz.
SONJA: Brauche ich nicht. Ich habe Miriam.
NELE: Und nicht mal was nebenbei?
SONJA: Wo denkst du hin! Wir sind ein altes Paar. Auf ewig treu. Und wenn ich eine andere Frau mal länger anschaue, zickt Miriam gleich herum.
Café. Zwei Frauen beim Cappuccino.
SONJA: Was machen wir jetzt mit Dillingers Geburtstag?
NELE: Auf alle Fälle ein großes Fest.
SONJA: Will er nicht.
NELE: Der wird gar nicht gefragt. Das nehmen wir in die Hand.
Herrenunterwäsche. Zwei Frauen bei den Boxershorts.
SONJA: Guck mal, diese weiten Beine, und mit Micky Maus drauf! Tragen Männer das wirklich? Meine Erfahrungen in der Hinsicht sind beschränkt.
NELE: Dillinger nicht.
SONJA: Was dann?
NELE: He, du rührst an der intimsten Stelle eines Mannes.
SONJA: Ich dachte, die kommt, wenn die Unterhose fällt.
NELE: Die kommt, wenn du den Kerl zum ersten Mal in Unterhosen siehst. Vor allem, wenn es nicht vorhersehbar ist. Da zeigt sich das wahre Gesicht des Mannes. Ganz schön peinlich manchmal.
SONJA: Und wie ist das bei Dillinger? Ich darf das fragen, bei mir ist das reine wissenschaftliche Neugier.
NELE: Er hat sogar noch so eine Feinripp. Kennst du die?
SONJA: Nur vom Hörensagen. Und?
NELE: So was von daneben.
SONJA: Dann schenk ihm doch eine schönere. Guck mal, dieser Tanga. Ich könnte mir vorstellen, dass der gut sitzt.
NELE: Wenn die Freundin Unterhosen verschenkt, kann das leicht missverstanden werden.
SONJA: Wieso? Ich schenke Miriam auch dauernd Dessous, in denen sie richtig scharf aussieht.
NELE: Männer sind da anders. Die fassen das als Kritik an ihrem Kleidungsstil auf.
SONJA: Dann kriegt er sie von mir.
Fußgängerzone. Zwei herumschlendernde Frauen.
SONJA: Wie wäre es mit einem Detox-Wochenende?
Sie prusten los.
NELE: Entschlackung würde ihm nichts schaden.
SONJA: Vor allem geistig. Das mit dem Alter wird ja zu einer fixen Idee bei ihm.
NELE: Ich glaube, er hat wirklich Angst davor.
SONJA: Vierzig ist doch nichts! Das ist das Alter, in dem wir Frauen erst richtig interessant werden.
NELE: