Sie mussten einige Zeit nach einem Gasthaus suchen und erst, nachdem sie einen Einwohner, der sich dick vermummt durch die Straßen schlich, befragt hatten, fanden sie das einzige der Stadt. Seine Fassade sah nicht gerade einladend aus, aber auch nicht so übel, wie sie es befürchtet hatten. Und trotzdem erwartete sie eine unangenehme Überraschung.
„Ob der Wirt überhaupt weiß, nach wem er sein Wirtshaus benannt hat?“, fragte Anuim finster.
Auf einem großen Holzschild über der Eingangstür stand in abblätternden Buchstaben »Ax´láner-Klause«. Verständlich, dass dieser Name bei den Ankömmlingen ein deutliches Unbehagen hervorrief.
„Bestimmt nicht“, sagte Valea. „Es sei denn, er hat eine ganz besondere Art von Geschichtsverständnis.“
„Ob der Orden von Enkhór-mûl auch Wirtshäuser betreibt?“, fragte Freno.
„Das hätte uns noch gefehlt“, meinte Solvyn.
Aber war dieser Gedanke wirklich so abwegig? Der Orden war wie jeder andere mehr oder weniger geheime Bund auf Nachrichten auch aus dem Volk angewiesen und wo konnte er sie leichter erlangen als dort, wo sich viele Menschen trafen. Und dazu gehörten eben auch Wirtshäuser. Unabhängig davon mochte auch manch ein Gastwirt heimlich diesem Orden angehören, ohne dass je irgendwer davon erfuhr.
Als sie die Gaststube betraten, lag sie in einem trüben Licht. Was der Name versprach, schien das Innere des Hauses zu halten. Nur zwei armselige Öllampen verbreiteten eine kümmerliche Helligkeit. Wenn ihnen der Fußgänger nicht gesagt hätte, dass es in ganz Landsende nur ein Gasthaus gab, wären sie auf dem Fuße umgedreht und wieder hinausgegangen. So blieb ihnen nichts anderes übrig, als es mit diesem zu versuchen.
Sie konnten keinen anderen Gast erblicken. Es dauerte einige Zeit, bis jemand auf sie aufmerksam wurde. Nachdem sie sich ein wenig lauter als gewöhnlich verhalten hatten, hörten sie Schritte. Dann öffnete sich eine Tür jenseits des Schanktisches und ein kleines, kahles Männchen kam herein.
„Oh, Gäste“, stellte er mit ungewöhnlich hoher Stimme fest. „Verzeiht, dass ihr warten musstet, aber ich war hinten im Haus beschäftigt. Was kann ich für euch tun?“
Wie sich herausstellte, waren sie außer einem anderen Reisenden die einzigen Gäste zu dieser Zeit. Nachdem der Wirt ihnen ihre Zimmer zugeteilt hatte, ging er mit Anuim und Meneas nach draußen, um die Pferde unterzustellen. Es war weniger aus Hilfsbereitschaft, dass die beiden ihn begleiteten, sondern mehr aus Misstrauen, denn sie wollten sichergehen, dass die Tiere vernünftig untergebracht waren. Sie hatten den Wirt noch nicht wissen lassen, dass sie die Stellplätze wahrscheinlich für mehrere Tage benötigten, und ehe sie es ihm sagten, wollten sie die Gegebenheiten überprüfen.
Aus einer dunklen Ecke blickte ihnen der Mann hinterher, der vor ihnen im Gasthaus abgestiegen war. Der Tisch vor ihm war leer. Er trank nicht, hatte sich nichts zu essen bestellt und rauchte nicht. Ein leises, kaum vernehmbares Summen war zu hören, als er den eintretenden Gästen sein Gesicht zuwandte.
Es war sicher nicht der beste Stall, aber er war einigermaßen sauber und nicht erfüllt von stickiger Luft. So sehr der Sturm draußen auch tobte, es zog nicht.
„Es war bestimmt kein Vergnügen, durch den Sturm zu reiten“, meinte der Gastwirt.
Er hatte sich zwischendurch als Kilrod vorgestellt.
„Bestimmt nicht“, gab ihm Meneas Recht.
„Darf ich fragen, was ihr in dieser Gegend vorhabt?“
„Wir sind in einer geschäftlichen Angelegenheit hier“, antwortete Meneas.
Kilrod nickte und gab sich mit der Antwort zufrieden.
Sie erfuhren von ihm den Grund für den Namen des Gasthauses und er war nicht so schicksalsträchtig, wie sie angenommen hatten.
Das Meer vor der Ostküste Päridons hieß seit alters her das Meer von Ax´lûm und niemand kannte den Ursprung dieses Namens. Doch die Seefahrer, die von Süden herkommend die Stadt Landsende erreichten, hießen bei den Einwohnern Ax´láner, weil sie eben das Meer von Ax´lûm befuhren. Das hatten Meneas und seine Freunde nicht gewusst. Und immer wieder kehrten welche von ihnen in dieses Wirtshaus ein. Daher trug es den Name »Ax´láner-Klause«. Dass diese Namensgebung für seine Gäste eine weitaus dramatischere Bedeutung hatte, davon ahnte wiederum der Wirt nichts und er erfuhr es auch nicht.
So trostlos ihnen das Wirtshaus vorgekommen war, und der heulende Sturm und der gegen die Fenster schlagende Regen trugen ihren Teil dazu bei, so sehr schien sich der Wirt zu bemühen, den Wünschen seiner Gäste gerecht zu werden. Er ließ Badewasser zubereiten und ebenso ein nicht zu knappes Abendessen. Alles in allem wurde ihr erster Eindruck durch die Umstände schließlich widerlegt.
Als sie sich zum Abendessen in der Gaststube einfanden, hatte der Wirt einige Lichter mehr angezündet und sie erschien ihnen in einem freundlicheren Bild.
Mitten in ihrer Mahlzeit stutzte Solvyn. Ihr war plötzlich ein unerwartetes grünes Leuchten unter der Kleidung von Valea, die ihr gegenübersaß, aufgefallen. Im gleichen Augenblick ertönte ein leises Summen.
„Was ist das?“, fragte sie verdutzt und zeigte auf Valeas Brust.
Sie sah an sich herunter und erstarrte. Nun hatten es Tjerulf, Freno und Durhad auch gesehen.
„Es ist - verdammt!“
Hastig blickte Valea sich um, dann zog sie das Amulett hervor, das ihnen die Nähe eines Roboters ankündigte. Sie dachte nur selten daran. Und in all der Aufregung im »Einsamen Posten« hatte sie es völlig vergessen, denn sie trug es nicht um den Hals, sondern in einer Hemdtasche. Es leuchtete hell in ihrer Hand.
„Ein Roboter!“, sagte sie alarmiert. „Irgendwo in der Nähe.“
Als sie das Amulett in ihren Händen hielt, fiel den anderen auch wieder ein, welchem Zweck es diente. Sie hatten es nach ihrer unangenehmen Erfahrung im Schafsloh von Tjerulf bekommen. Er besaß einige sonderbare Gerätschaften, das war ihnen mittlerweile bekannt, und dieses Amulett war eins davon. In der Zwischenzeit hatte sich aber so viel ereignet, dass es schon fast wieder in Vergessenheit geraten war. Erst jetzt stellten sie fest, dass es im »Einsame Posten« auch gar nichts angezeigt hatte, obwohl es die ganze Zeit hätte lärmen müssen. Tjerulf behauptete später, dass all die Maschinen um sie herum die Arbeitsweise des Amuletts wahrscheinlich beeinträchtigt hatten. Das war wirklich der Grund, aber eine genauere Erklärung hätten sie nicht begriffen.
Durhad und Tjerulf nahmen ihre Lichtschwerter in die Hand, ohne die Klingen einzuschalten, und Meneas vergewisserte sich, dass er schnell sein Schwert ziehen konnte. Seit er damit zwei Kampfroboter zur Strecke gebracht hatte, war es ihm lieber geworden als die sonderbaren Waffen der Sinaraner, die ihm immer noch etwas unheimlich waren.
Plötzlich bewegte sich etwas in der hinteren Ecke des Schankraumes. Ein Stuhl schleifte über den Boden und dann folgten schwere Schritte. Ohne auf die Gäste zu achten, verließ der Gast, von dem ihnen Kilrod erzählt hatte, die Gaststube. Nur Valea, Meneas, Anuim konnten ihn sehen, die anderen saßen mit dem Rücken zu ihm. Wenn er nicht diesen steifen, unnatürlichen Gang gehabt hätte, hätte es ein ganz gewöhnlicher Mann sein können. Er ging durch die Tür und verließ das Haus. Sie erkannten es daran, dass für kurze Zeit das Heulen des Windes zunahm und dann die Eingangstür zuschlug.
„Das war er!“, sagte Meneas hastig. „Verfolgen wir ihn?“
Tjerulf und Durhad sprangen auf.
„Was denkst du denn?“, erwiderte Tjerulf und verließ ohne zu zögern mit Durhad die Gaststube. Meneas und Freno folgten. Meneas gebot Solvyn, Valea und Anuim im Gasthaus zu bleiben, und ließ sich von Valea das Amulett geben.
Ein kurzes Aufheulen des Sturmes und ein Zuknallen der Tür, dann waren sie fort.
Auf den Aufruhr aufmerksam geworden, kam kurz darauf der Gastwirt herein.