Das Erbe der Ax´lán. Hans Nordländer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hans Nordländer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738039832
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sich leise an, ging hinaus und verließ das Gasthaus.

      Er hatte kein besonderes Ziel und schlenderte durch den Hafen. Von einer Straßenhändlerin kaufte er sich ein wenig Obst und ging weiter. Durhad war nicht zum ersten Mal in einem Hafen, wenn ihn seine Wege auch nicht oft in eine solche Gegend geführt hatten, aber ihn befiel immer wieder eine leichte Wehmut, wenn er so manches prächtige Segelschiff auslaufen oder ankommen sah. Er war Zeit seines Lebens nicht zur See gefahren, und doch übte das Meer einen unerklärlichen Reiz auf ihn aus. Am Ende einer Mole setzte er sich auf die Steine und aß sein Obst.

      Es herrschte nur ein leichter Wind und das Meer lag so ruhig wie selten. Nephys stand hinter ihm und so hatte er eine weite Sicht, die an diesem Tag kein Dunst beeinträchtigte. Der Hafenlärm war hinter ihm zurückgeblieben und leise rollten die Wellen gegen die Steine.

      Sein Blick schweifte nach Norden. Weithin sichtbar stand in der Ferne der »Einsame Posten«. Von dort, wo Durhad saß, sah er friedlich und unschuldig aus. Es war kaum zu glauben, dass er seit vielen Jahrhunderten seine Geheimnisse wahrte und nur eine Handvoll Menschen davon wussten.

      Plötzlich durchzuckte Durhad eine unglaubliche und erschütternde Erkenntnis, und er fragte sich, warum noch kein anderer aus ihrer Gruppe darauf gekommen war, zumindest hatte niemand darüber gesprochen. Konnte es sein, dass sie dort ihren eigenen Ursprung entdeckt hatten? Ithlor und Kerlon hatten in ihrer Schilderung davon gesprochen, dass sie aus einem Stamm von Urmenschen hervorgegangen waren und ihre Artgenossen beschrieben. Offenbar hatten sie nur wenig Ähnlichkeit mit den zeitgenössischen Menschen. Und diese Urmenschen waren ungewöhnlich schnell von der Bildfläche verschwunden. Das hatte er mit Tjerulf selbst herausgefunden.

      An ihre Stelle waren die sogenannten »neuen« Menschen getreten. Weder Tjerulf noch die beiden Drachen hatten jemals erklärt, woher sie kamen. War das jetzt vielleicht die Antwort? Das hieße nichts anderes, als dass alle Menschen auf Elveran, so verschieden die Völker auch waren, Nachkommen der Züchtungen der Ax´lán waren. Hatte nicht Angrod in einem kurzen, scheinbar unbedeutenden Satz gesagt, in diesen unglücklichen Kreaturen, die sie entdeckt hatten, floss einst ax´lánisches Blut? Sie alle waren von ihrer grauenvollen Entdeckung zu betäubt gewesen, um darin den Sinn zu erkennen. Doch jetzt, glaubte Durhad, wurde dieser Sinn klar.

      Die Menschheit Elverans hatte also ax´lánische Wurzeln. Sie alle waren Nachkommen dieses Volkes aus einer fernen Welt - und das Erzeugnis verbrecherischer Machenschaften. Es war unglaublich und furchtbar, wenn das stimmte, aber je länger er darüber nachdachte, desto mehr schwanden seine Zweifel. Es wäre unbedingt eine Erklärung für die sprunghafte Entwicklung der elveranischen Menschheit, die zwei Jahrtausende vor ihrer Entdeckung im »Einsame Posten« stattgefunden hatte.

      Durhad war kein religiöser Mensch, und seine Beobachtungen in der Natur hatten ihn stärker geprägt, als das undurchschaubare Gerede der Prediger. Sie sprachen gern von Göttern und verschwiegen, dass sie diese nur heranzogen, um Dinge zu erklären, die sie selbst nicht verstanden. Aber wenn ihre Glaubensvorstellungen einen wahren Kern hatten, dann konnten, dann mussten mit diesen Göttern die Ax´lán gemeint sein, denn schließlich sollte die Menschheit die Schöpfung von Göttern sein. Dann waren ihre Götter keine himmlisch-geistigen Wesen, sondern sehr irdische, Menschen wie die Elveraner, die aus ihnen entstanden. Und dann durchdrangen ihre Wurzeln ein grauenhaftes Geheimnis, das besser niemals gelüftet werden sollte.

      Trotz seiner bedrückenden Gedanken musste Durhad schmunzeln. Wer würde schon glauben, dass er von jemandem abstammte, der einst von einer anderen Sonne nach Elveran gekommen war? Aber schließlich konnte, wer wollte, auch mit dieser Gewissheit leben, denn was änderte sich schon dadurch? Und ob sich darüber irgendwann einmal einpaar Philosophen oder Religionslehrer die Köpfe heiß redeten, für wen, außer für ihre Selbstsucht hätte das eine Bedeutung? Es war so unbedeutend wie ein Regentropfen im Weltmeer.

      Was ihn betraf, so wusste Durhad, dass sein Ursprung nicht im »Einsame Posten« liegen konnte, denn sein Bewusstsein erwachte in der Seemark. Allerdings waren seine Erinnerungen an jene Zeit wie ausgelöscht. Er nahm sich vor, mehr darüber herauszufinden, wenn sie dort waren.

      Durhad stand wieder auf und ging langsam zurück. Er dachte an Fintas. Wo mochte er jetzt wohl sein? Durhad sträubte sich wider besseres Wissen, an seinen Tod zu glauben. Fintas war gewitzt, und wie immer er aus dem Tunnel zur Insel Schalk verschwunden war, er würde sich zu helfen wissen. In seiner Gestalt würde ihn kein Priester des Ordens von Enkhór-mûl als Mitglied ihrer Gruppe erkennen und sich für ihn interessieren. Das war seine Hoffnung. Und trotzdem war es ihm unbegreiflich, dass er noch nicht zu ihnen zurückgekehrt war. Durhad wollte aber auch nicht daran denken, dass Eichhörner nicht am Ende der Nahrungskette standen.

      Als Durhad den »Verlorenen Anker« betrat, war es Mittag, und er entdeckte Valea, Solvyn, Anuim und Freno in der Wirtsstube, bereit zum Essen. Sie winkten Durhad zu sich heran. Er spürte, dass es ihnen nach ihren Erlebnissen schon wieder etwas besser ging. Sie machten immer noch ernste Gesichter, aber ihre Anspannung war ihnen nicht mehr anzusehen. Jedem von ihnen hatte die letzte Nacht gut getan, und wenn die nächste auch wieder so erholsam war, dann würde auch ihre Zuversicht bald wieder zurückkehren.

      „Habt ihr Tjerulf und Meneas gesehen?“, fragte Durhad.

      „Noch nicht“, antwortete Solvyn. „Wo kommst du her?“

      „Vom Hafen. Ich war ausgeschlafen und wollte mir ein wenig die frische Seeluft um die Nase wehen lassen. Wie geht es euch?“

      „Heute schon besser als gestern.“

      Valea machte ein nachdenkliches Gesicht. Sie schien etwas sagen zu wollen, wusste aber anscheinend nicht, wie sie anfangen sollte.

      „Ich sehe dir an, dass dir irgendetwas auf der Seele liegt“, sagte Durhad mit sanfter Stimme. Er wusste nur zu gut, wie sie die letzten Tage gelitten hatte. „Willst du darüber reden?“

      Sie zögerte kurz, doch dann überwand sie sich und sagte:

      „Ich hatte einen merkwürdigen Traum.“

      „So? Kannst du dich noch daran erinnern?“

      „Besser als an viele andere Träume. Ich glaube, es war eine Art Selbsttrost nach alldem, was wir erlebt hatten. Ich befand mich in einem Raum mit großen Fenstern und blickte auf ein weites Sternenmeer. Es ähnelte dem Anblick des Himmels in einer mondlosen Sternennacht, nur viel klarer. Ich wusste nicht, wie ich dorthin gekommen war, aber ich war glücklich, so glücklich, wie schon lange nicht mehr. Und ich war nicht allein.“ Für einen kurzen Augenblick schien ihre Stimme zu zittern. „Bei mir waren Idomanê und Erest. Auch sie waren glücklich und sie sprachen mir Mut zu. Es war, als errieten sie meine Trauer. Ich fühlte mich besser und ich wusste, dass es kein Traum war. Ihr wisst, manchmal träumt man und weiß, dass man träumt. Dieses Mal war es genau anders herum. Ich träumte, wusste aber, es war die Wirklichkeit.“

      „Weißt du noch, was sie sagten?“

      „Nicht den genauen Wortlaut, aber sie meinten, ich sollte mir keine Sorgen machen. Es ginge ihnen gut und sie würden auf uns, nicht nur auf mich, warten, bis wir unseren Auftrag erfüllt haben. Aber möglicherweise sehen wir uns schon vorher wieder.“ Valea wischte sich eine Träne aus den Augen. „Und als ich aufwachte, war ich immer noch glücklich und ich wusste, dass wir uns wiedersehen würden. Ich war beruhigt. Dann schlief ich wieder ein und heute Morgen hatte ich nur noch eine blasse Erinnerung an das, wovon ich träumte. Ich wünschte, es wäre so.“

      „Wer weiß, ob es nicht tatsächlich mehr als ein Traum war“, meinte Solvyn.

      „Solvyn hat Recht“, sagte Durhad. „Im Schlaf erreichen wir Welten, die uns sonst nicht erreichbar sind. Und besonders so klare Träume, wie sie uns nach dem ersten Erwachen in Erinnerung sind, enthalten oft mehr Wirklichkeit, als wir glauben. Wie fühlst du dich jetzt?“

      „Besser, erleichtert. Aber nicht erst, seit ich euch davon erzählt habe. Schon bei meinem letzten Erwachen erfüllte mich eine Linderung meines Schmerzes. Wie immer man den Traum deuten mag, er brachte mir tatsächlich Trost.“

      Durhad nickte wissend. Die Oson hatten Valea für kurze Zeit zu sich geholt,