Die Delphin Therapie. Jacques Varicourt. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jacques Varicourt
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847612292
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seine hingebungsvolle, eigentlich immer verständnisvolle Gattin, soll, gegenüber Heide Lüders, von Scheidung gesprochen haben, bedingt durch diesen schlimmen Vorfall, welcher im Gesamtbereich Ottensen für Gesprächsstoff gesorgt hatte. Sie denkt deshalb über Scheidung nach, weil sie es mit Ralf einfach nicht mehr aushält, „er ist mein Untergang“, waren ihre Worte. Magda ist nämlich nervlich am Ende, sie nimmt starke Beruhigungstabletten; raucht Hasch, trinkt gelegentlich selber das ein- oder andere Gläschen über den Durst, damit sie nicht durchdreht, sie ist, um es dann dabei zu belassen, in einer bemitleidenswerten Situation. Doch komme ich nun auf die anderen zu sprechen. Patricia, Arthur und Bert Teufel wollen ein Theaterstück schreiben, - das heißt konkret, sie haben schon damit angefangen. Es ist ein Theaterstück mit politischen, wirklichkeitsnahen, aktuellen Elementen. Die drei wollen versuchen, den von Hartz IV betroffenen Bürger aufzurütteln, und die Studentin, Chantal sowie Kirstin nehmen, obwohl sie ackern wie die Blöden, so ganz nebenbei Schauspielunterricht, um in dem Stück eine Rolle zu übernehmen, damit das Stück, als solches betrachtet, eine gewisse Glaubwürdigkeit erhält, die der unwissende und angepasste Bürger, der dumm gemachte Bürger wohlgemerkt, zu spüren bekommt, - und damit der Bürger merkt, dass wir „alle“ endlich auf die Straße gehen müssen, um unsere Ziele durchzusetzen. Was sagst „du“ dazu, ist das nicht geil? Ist das nicht genial- und „echt“ wahnsinnig? Was hältst du von der Idee, die bereits im Anfangsstadium ist, mein Schatz?“ „Was ich davon halte willst du wissen? Ich sage nur: Gut, dass wir noch eine Woche Urlaub haben! - Das sage ich dazu! Denn, wenn wir heimkehren, gerade, weil wir alle mal wieder Geldprobleme haben, wird auf uns so manches zu kommen, darum lass uns die letzte Woche genießen, Probleme will ich im Moment nicht hören. Überlege doch einmal, Mäuschen, erst sollte, oder schon ein paar Mal, eine Partei gegründet werden, und jetzt muss ein Theaterstück herhalten für die Revolution der verarmten Leute, die trotzdem immer wieder die traditionellen Parteien wählen. Ich finde, man könnte sich mal auf „etwas“ einigen, das dann auch funktioniert.“ „Sei nicht immer nur pessimistisch!“ Ermahnte mich Bianca. Ich sagte daraufhin: „Vielleicht bin ich bisweilen pessimistisch, aber ich bin auch realistisch. Es ist mir nicht entgangen, dass die SPD unter 20% abgesackt ist und noch weiter absacken wird, weil sie die Leute zu oft belogen haben, und dass die CDU ohne die FDP nichts wäre, ja, auch das ist mir durchaus klar. Die Grünen und die Linkspartei gewinnen an Zulauf, weil sie die Hartz IV Reformen in ihren eigenen Wahlkreisen, also bei den Betroffenen, hautnah zu sehen bekommen – und das nicht erst seit gestern. Aber, der Bürger muss endlich kämpfen gegen die Hartz IV Scheiße, der Bürger muss sich wehren, er muss den Stein nehmen und ihn werfen, das ist meine Meinung!“ „Ich liebe dich,“ sagte Bianca, „so will ich dich haben. Stets kampfesbereit, national, korruptions-resistent und natürlich glaubwürdig. Was bist du doch nur für ein Mannsbild? - Das Theaterstück, zu dem du übrigens die Musik schreiben könntest, könnte wirklich etwas bewirken, glaube mir!“ Und Bianca hatte mal wieder recht. Ich durfte mich dem neuen Zeitgeist, der mit den vergangenen Bundestagswahlen zusammenhing, nicht widersetzen, ich musste meinen Beitrag leisten, ich fühlte mich geradezu verpflichtet und freute mich schon darauf, dass ich bald meine Gitarre im Hotel Lüders in die Hand nehmen würde, um dann ein Lied zu schreiben, dass uns alle anging, und ich machte mir schon mal Gedanken, wie ich den Titel gestalten würde, inhaltlich meine ich damit.

      Die Zeit raste nämlich mit einmal unglaublich schnell dahin. Einen Tag, bevor die Delphin-Therapie abgeschlossen war, packten ich und Bianca unsere Koffer. Wir schauten uns auch noch mal die die Delphine an; wir promenierten entlang des Meeres und genossen die Sonne; wir gingen Essen, und spät am Abend bumsten wir ein bisschen. Ja, und am Tag des Abfluges waren wir froh, dass es nun endlich wieder ins Hotel Lüders ging, Florida war zwar schön gewesen, die faszinierende Delphin-Therapie zu beobachten war ebenso schön gewesen, und dennoch wollten wir den 24. Dezember mit unseren Kindern sowie unseren Freunden im Hotel in Ottensen verbringen. Ja, und als wir dann am frühen Morgen des 24. Dezembers alle im Flieger in die Heimat saßen, kribbelte es in mir und in Bianca, - das ist, so glaube ich, auch ganz natürlich, wenn man sich auf die Heimat freut, nicht wahr? Kurz nach dem Start der Maschine verzog sich Bahama-Thomas mit Ilse, wie schon auf dem Hinflug, in die erste Klasse und beide begannen sofort heftigst zu vögeln, und zwar wieder so hemmungslos, dass wir in der zweiten Klasse alles mitbekamen, die zwei trieben es irrsinnig laut: Unnatürlich laut für unsere Begriffe. Gichtkrallen-Bernd schlug daraufhin vor, dass wir einen Film gucken sollten, damit wir durch das Gestöhne von Bahama-Thomas und Ilse nicht gestört werden. Alle stimmten Gichtkrallen-Bernd seinem Vorschlag zu. - Schlagartig wurde es in der zweiten Klasse dunkel, man hörte das Surren der Filmleinwand, die von der Decke automatisch herabgelassen wurde, und dann begann eine Dokumentations-DVD über das Dritte Reich: Es wurde ganz, ganz still in der zweiten Klasse, denn plötzlich ging die Dokumentation los. Gebannt sahen wir den Vorspann, und schon erschienen bekannte Damen wie: Emmy Göring, Magda Goebbels, Leni Riefenstahl, Eva Braun und viele andere Repräsentantinnen des Drittes Reiches mehr. Gichtkrallen-Bernd schrie daraufhin wie von Sinnen: „Das ist sie, das ist Eva Braun, dass ist die Herrscherin vom Berghof, die langjährige Freundin- und spätere Ehefrau von unserem Führer Adolf Hitler! Mein Gott, was für ein bezaubernder Anblick, sie ist so wunderschön, so unvergleichlich reinrassig, so unverbraucht, so... ich möchte am liebsten mit ihr schlafen. - Oh, ja, ich muss schon sagen, auf dieser Großleinwand wirkt das alles viel echter, viel näher und viel intimer als zuhause vor dem Fernseher. Ach, Leute, wie ist das geil – ein Dreifaches: Sieg Heil, wenn ich bitten darf, meine Damen und Herren! Ich könnte sterben vor Freude,“ ließ Gichtkrallen-Bernd uns, völlig außer Rand und Band, wissen. So euphorisch, so dynamisch und so leidenschaftlich hatten ihn die Drogenabhängigen- und auch die Alkoholiker bereits auf dem Hinflug erlebt, und es war in der Tat beeindruckend mit welcher Inbrunst Gichtkrallen-Bernd, die zum Teil farbigen Bilder, in sich aufsog und begeistert mitfieberte, wenn ihm irgendwelche bekannten Persönlichkeiten der Vergangenheit auf der Großbildleinwand gegenübertraten.

      Noch während der Dokumentation war ich eingeschlafen, Bianca weckte mich, als wir bereits in Hamburg gelandet waren.

      Wir, so wie auch alle anderen, checkten aus und dann begaben wir uns in unsere vertrauten Gefilde. Wir fuhren mit dem Taxi nach Ottensen, ins Hotel Lüders. - Kaum dass ich unseren Taxifahrer bezahlt hatte, hielt vor dem Hotel Lüders ein Krankenwagen mit quietschenden Reifen an. Sekunden später sahen wir, wie offensichtlich ein Notarzt im weißen Kittel mit: Magda, Heide und Rudolf Lüders, den völlig besoffenen Ralf durch die Eingangstür des Hotels nach draußen zum Krankenwagen führten. Die Türen des Krankenwagens öffneten sich, zwei Pfleger legten Ralf umgehend auf eine Bahre und schnallten ihn fest, anschließend schoben sie ihn in den Krankenwagen hinein, verschlossen die Hintertür und brausten mit Blaulicht auf- und davon. Als Heide Lüders uns sah, sagte sie: „Kommt nur herein, es ist zwar Heiligabend, aber diesen Heiligabend, nein, den werden wir wohl alle im Gedächtnis behalten.“ Ein wenig besorgt lotste uns Heide in den Frühstücksraum, welcher von einem leuchtenden Tannenbaum feierlich geschmückt war, - ja, und dort, jenseits des Baumes saßen: Bert Teufel, Chantal, Kirstin Lüders, die Grishams und die Studentin Sybille von Burg. – Keine/keiner sagte etwas, die Stimmung war, ich würde nachträglich sagen: Im Arsch. Nur unsere Kinder fielen uns freudig um den Hals. Sie wollten endlich ihre Geschenke haben, um damit zu spielen, ich erlaubte es ihnen diese, welche sich in einem Schrank im Frühstücksraum befanden, auszupacken, sie bedankten sich bei uns allen artig, und dann verschwanden sie, wie die Wilden, in ihren eigenen Zimmern, die sie mittlerweile ganz für sich alleine besaßen – Heide Lüders hatte das so veranlasst und wir fanden das pädagogisch in Ordnung. Heide stellte mir und Bianca etwas Alkoholisches, etwas stark Alkoholisches (einen Mix) auf den Tisch, bevor sie sich selber hinsetzte, Rudolf Lüders saß bereits. Magda sagte zum Thema Ralf zu uns: „Ralf war schon vorhin, vor ungefähr einer knappen halben Stunde, hier im Hotel an der Rezeption, in einem dramatischen Zustand gewesen; er hatte sich fürchterlich in eine „Aldi-Markt-Tüte“ erbrochen, ferner hatte er immer wieder bittere Tränen der Verzweiflung geweint. Er hat, wenn ich das einmal so sagen darf: Kontrollverluste! Die Sache mit der Eckkneipe hat ihm ungeheuerlich zugesetzt, er kommt mit dem Rauswurf, welchen Doris zu verantworten hat, einfach nicht klar, er ist verrückt geworden, ich trage mich mit dem Gedanken, dass ich mich von ihm scheiden lasse. Ich kann nicht mehr, ich bin am Ende mit meinen Nerven- und mit meinem Latein. Irgendwann ist auch mal Schluss! Das einzig Gute ist, dass Ralf „freiwillig“ ins Krankenhaus