Paulo bereist die Seidenstraße (4). HaMuJu. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: HaMuJu
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847652465
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abfahren, sagte mir der Beamte am Schalter. Ich kaufte schnell ein Ticket und setzte mich auf den Bahnsteig. Bei einem mobilen Händler nahm ich eine Sesambrezel und ein Flasche Wasser. Der Zug stand schon bereit, Haydarpascha war ja ein Kopfbahnhof.

      Ich setzte mich in einem Waggon ans Fenster und wartete auf die Abfahrt. Der Zug setzte sich pünktlich in Bewegung und schlängelte sich nach Süden immer die Küste entlang. Nach etwa einer Stunde nahm ich einen letzten Blick auf das Marmara-Meer, dann verschwand der Zug im Landesinneren.

      Die Landschaft, die am Zugfenster vorbei rauschte, war sehr abwechslungsreich, schon bald hörte das Grün der Felder und Wälder auf und wich einem Grau-Rot von karger Steppe und wüstenartigen Landstrichen.

      Konya

      Sehr spät am Abend erreichten wir Konya, die Fahrt hatte doch zwölf Stunden gedauert. Ich nahm ein Taxi zu Yussufs Bruder, der extra aufgeblieben war und mich empfing, toll, die Gastfreundschaft! Er fragte, ob ich etwas trinken wollte, ich lehnte dankend ab und legte mich hundemüde in das Bett, das Ahmed mir zuwies. Ich wünschte ihm eine gute Nacht und schlief sofort ein. Ahmed sprach ein paar Brocken Deutsch, ich saß am nächsten Morgen mit ihm beim Frühstück und trank Cay. Seine Frau Menhire ließ sich nur kurz blicken, ich begrüßte sie, bevor sie wieder verschwand. Ahmed hatte Sesambrezeln geholt, die wir mit Marmelade aßen. Dann fragte er nach Yussuf und ich erzählte ihm von seinem Bruder, dass es ihm gut ginge in Istanbul und dass er mir ein Messer geschmiedet hätte. Ich zeigte Ahmed mein Messer und er sagte, dass er Yussufs Schmiedekunst schon immer bewundert hätte. Schon früher wäre er in Konya ein großer Schmied gewesen. Yussuf wäre in seiner Jugend bei einem der bedeutendsten Schmiede Konyas in die Lehre gegangen. Ahmed nahm mein Messer in die Hand und kam ins Schwärmen. Das wäre eine wirklich tolle Arbeit, fand Ahmed, ich sollte bloß auf mein Messer Acht geben! Dann gab er es mir zurück und ich steckte es in die Scheide, ich packte das Messer in die Rucksackseitentasche, am Gürtel wollte ich das Messer nicht tragen. Ahmed wollte mir Konya zeigen, er hätte mit Yussuf telefoniert und wüsste von meinen Plänen, die Seidenstraße zu bereisen. Ich müsste nach Tabriz in den Iran, von dort aus hätte ich direkten Anschluss an die Seidenstraße. Er würde jemanden in Malatya kennen, fünfhundert Kilometer weiter östlich, dorthin könnte meine nächste Etappe führen. Hassan hieß sein Bekannter und wäre ein Derwisch.

      Konya war die Hochburg der Derwische. Aus der ganzen Türkei kamen Anhänger dieser Glaubensrichtung nach Konya. Die Derwische waren eine muslimische asketisch-religiöse Ordensgemeinschaft, sie trat für Liebe, Bescheidenheit und Disziplin ein. Der ekstatische Tanz, dessentwegen die Derwische vor allem bei uns waren, galt als Möglichkeit, über die Ekstase zu Allah zu finden. Der Trancetanz (sena) war ein Kreistanz, die Derwische drehten sich unablässig um die eigene Achse, um ihr Herz, wie sie sagten. Sie hatten dabei eine Hand zum Himmel geöffnet, um von Gott zu empfangen und eine Hand nach unten geöffnet, um den Menschen zu geben. Der Mevlevi-Orden war in Konya beheimatet, er ging auf den lange Zeit in Konya gelebt habenden persischen Mystiker Mevlana (1207-1273) zurück. Ahmed wollte mit mir zu einer Sena-Zeremonie gehen, die ausschließlich für Touristen veranstaltet wurde. Seit dem 2. September 1925 waren alle religiösen Aktivitäten verboten. Kemal Atatürk hatte somit auch das Wirken der Derwische untersagt.

      Einzig die touristische Darbietung in Konya, die in der gesamten Türkei einen sehr hohen Stellenwert hatte, war erlaubt, sie kam in ihrer Bedeutung gleich nach Mekka. Konya war Hauptstadt des Ruma-Seldschukkenreiches, die Seldschukken galten als tolerant und weltoffen, sie duldeten alle Religionen nebeneinander. In unserer Zeit galt Konya eher als konservativ, am frühen Abend leerten sich die Straßen. Konya war eine sehr große Stadt mit fast einer Million Einwohnern. Ahmed ging mit mir zu den Derwischen, sie durften ihren Tanz in einer Turnhalle aufführen. Es war schon faszinierend zu sehen, mit welcher Hingabe die Derwische ihre Drehungen vollführten, ohne schwindelig zu werden. Ihr Gesichtsausdruck war dabei entrückt, sie blickten starr und teilnahmslos, wenn sie ihren Tanz beendet hatten.

      Ahmed traf seinen Bekannten aus Malatya und umarmte ihn herzlich. Sie hatten sich ein ganzes Jahr lang nicht gesehen. Ahmed fragte Hassan, ob sein Reisebus mich mit nach Malatya nehmen könnte. Hassan überlege kurz und willigte dann ein. Ich sollte ihm ein bisschen Spritgeld geben, dann würde er mich mitnehmen. Die Fahrt würde aber zehn Stunden dauern, ich sollte mich am nächsten Morgen um acht Uhr an der Ecke Mevlana Caddesi/Aziziye Caddesi einfinden, dort würde man mich abholen. Ich dankte Hassan für sein Entgegenkommen und freute mich über die relativ unproblematische Weise, weiterzukommen.

      Als Ahmed und ich wieder nach Hause gingen, war es 20.30 h, die Stadt war wie ausgestorben. Ahmed und ich saßen noch lange in seiner Küche und erzählten. Er war Lehrer für Türkisch und Mathematik an einer Art Mittelschule. Yussuf und er mochten sich sehr, auch Yussufs Frau wäre aus Konya gekommen. Seit sie tot war, wäre es um Yussuf ruhiger geworden.

      Wie Yussuf auch rauchte Ahmed Orientzigaretten und trank ein, zwei Raki pro Tag. Ich nahm einen RaKi und fand ihn eigentlich sehr lecker, wie Ouzo, nur nicht so eiskalt. Er hatte Zimmertemperatur und konnte deshalb sein ganzes Aroma entfalten. Einmal im Jahr sahen sich die Brüder, abwechselnd fuhr Ahmed nach Istanbul oder kam Yussuf nach Konya. Sie waren beide schon über siebzig und deshalb nicht mehr ganz beweglich. Als Ahmed das letzte Mal in Istanbul war, waren sie beide mit der Straßenbahn über die Galata-Brück bis nach Kabatas gefahren. Anschließend waren sie mit der Seilbahn zum Taksim-Platz hoch und die Istiklal Caddesi entlang spaziert. In verschiedenen Lokalen hatten sie Pause gemacht und den einen oder anderen Raki getrunken. Beide tranken sie aber nie zu viel, keiner hatte den anderen jemals betrunken gesehen. Yussuf lebte schon seit fünfzig Jahren in Istanbul. Er war damals von Konya fortgegangen, weil es keine Arbeit mehr für Schmiede gab. Ahmed war seit mehr als zehn Jahren außer Dienst. Er lebte gern in Konya, seine Frau Menhire kümmerte sich um den Haushalt und bekochte ihn. Am nächsten Tag würde ich im Bus mit dem Schreiben beginnen, ich hatte ja schon einiges erlebt.

      Um 23.30 h gingen Ahmed und ich zu Bett. Um 6.00 h stand ich schon wieder auf, ich musste ja um 8.00 h an der vereinbarten Stelle sein. Ahmed frühstückte wieder mit mir, er war ein anderer Typ als Yussuf, dennoch war zu erkennen, dass sie Brüder waren, da waren bestimmte Bewegungen, die auch Yussuf machte, die Art, wie Ahmed seine Zigarette hielt, wie er im Sessel saß, die hatte ich auch schon bei Yussuf gesehen. Um 7.00 h verabschiedete ich mich von Ahmed und dankte ihm, ich umarmte ihn und ging. Es war ein frischer Morgen, die Sonne schien aber. Ich war schon um 7.30 h an der Ecke Mevlana Caddesi/Aziziye Caddesi, es gab schon viel Autoverkehr, die Leute fuhren alle zur Arbeit. Ich trug an diesem Morgen meine „Raichle“, die waren schön warm, auch meine „Northface“-Jacke wärmte mich. Mein Rucksack trug sich wirklich gut, ich war aber auch, außer zu Hause, noch keine weiteren Strecken mit ihm gelaufen. Kurz nach acht erschien der Bus und nahm mich auf. Hassan begrüßte mich und stellte mich der Reisegesellschaft vor. Die Leute nickten alle sehr freundlich. Ich konnte mich mit dem einen oder anderen auf Englisch, mit einigen wenigen sogar auf Deutsch unterhalten. Alle kamen sie aus Malatye. Hassan konnte gebrochen Deutsch. Sein Schwager und er hatten zehn Jahre lang bei Ford in Köln gearbeitet.

      Hassan sprach in hohen Tönen von Deutschland, er lobte die Sauberkeit und Ordnung, die Zuverlässigkeit der Bus- und Bahnverbindungen und den guten Lohn.

      Malatya

      Dennoch wäre er froh, wieder in seiner Heimatstadt Malatya sein zu können. Er betrieb ein kleines Hotel im Ort, „Gelbe Rose“ wäre sein Name. Dort würde ich ein Zimmer bekommen und wäre sein Gast. Das fand ich ausgesprochen nett von ihm. Ich hatte meinen Rucksack oben ins Gepäcknetz gelegt und zog aus der Seitentasche meine Kladde und den Kuli heraus. Dann fing ich mit meinem Reisetagebuch an. Der Anfang war immer schwer, als ich aber in Istanbul angekommen war, lief alles wie von selbst. Der Bus nahm die Strecke nach Adana. Weit vor Adana, circa hundertfünfzig Kilometer vorher, begann die Autobahn. Wir würden sie ungefähr zweihundertfünfzig Kilometer entlang fahren, bis wir den Abzweig nach Malatya nehmen würden, dann hätten wir noch einmal dreihundert Kilometer. Ich schrieb und schrieb, es machte Spaß, sich zurück zu erinnern, eigentlich war es doch schon eine