Paulo bereist die Seidenstraße (4). HaMuJu. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: HaMuJu
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847652465
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sich auf die Terrasse eines Cafes, tranken Kaffee und aßen Kuchen. Frau Aldenhoven behielt die ganze Zeit ihren Hut auf und zog bewundernde Blicke auf sich. Am frühen Nachmittag fuhren sie wieder zurück nach Gumbinnen. Erst als sie wieder auf dem Gutshof waren, nahm Frau Aldenhoven den Hut ab und setzte ihn nie wieder auf, auf ihrer Flucht nach Westen war er verloren gegangen.

      Sie zog alle in ihren Bann, besonders mich, ich wagte es nie, während ihres Erzählflusses dazwischen zu reden oder Rückfragen zu stellen. Alle Erwachsenen hatten in der Laube eine Flasche Bier vor sich stehen, nur Frau Aldenhoven nicht, sie trank ein Glas Wein. Wenn sie erzählte, nahm ihr Gesicht edle Züge an. Um ihren Erzählungen Inbrunst zu verleihen, schloss sie manchmal die Augen. Ihre Stimme hatte eine mittlere Lautstärke, sie sprach unverkennbar ostpreußisch, hinter jeden zweiten Satz setzte sie ein „näch“. Dann roch ich wieder den Duft, den sie verströmte. Das war Frau Aldenhoven, alles gehörte zusammen, ihre Geschichten, die zuhörenden Nachbarn, der Sommer und der Duft nach Frau Aldenhoven.

      Ich würde das nie vergessen.

      Sie war nie wieder in Ostpreußen. Es gab ja organisierte Fahrten, alle Reiseunternehmen boten solche Fahrten an. Von denen, die solche Fahrten unternommen hatten, hörte Frau Aldenhoven aber immer nur, dass drüben alles verfallen wäre, der Iwan nichts instand setzte. Sie war achtzig Jahre alt und wollte sich eine solche Fahrt nicht mehr zumuten, sie müsste sicher weinen, wenn sie den alten Gutshof verfallen da liegen sähe.

      Ab und zu lud mich Frau Aldenhoven ein, bei ihr fernzusehen, was ich sehr gerne tat. Manchmal hatte sie vorher Königsberger Klopse bereitet.

      „Nu iss mal schön!“, sagte sie dann zu mir und legte mir noch zwei Klopse auf den Teller. Ihre ganze Wohnung roch nach ihr, nach Wärme und Gemütlichkeit. Nach eineinhalb bis zwei Stunden ging ich dann wieder hoch zu uns. Ich hatte ihr dann immer alles über meine Freundinnen und Freunde erzählt. Oft war sie dabei auf ihrem Sofa eingenickt.

      Ich weckte sie dann nicht und schlich mich aus ihrer Wohnung.

      Eines Tages starb Frau Aldenhoven auf ihrem Sofa, sie war friedlich eingeschlafen. Mich beschlich eine tiefe Trauer. Ich hatte nie wieder einen Menschen mit so einer Wärme, Aufrichtigkeit und weiser Lebenserfahrung getroffen.

      Ich beschloss, nach meiner Schule, die zwei Monate später beendet wäre, eine Auszeit von meinem Zuhause zu nehmen, ich war von der Bundeswehr freigestellt, hatte also Zeit in Mengen. Ich wollte ein halbes Jahr, völlig auf mich allein gestellt, durch die Welt ziehen. Fürs Erste hätte ich genügend Geld, meine Ersparnisse beliefen sich auf 3500 Euro, damit käme ich schon recht weit. Aber wohin sollte es gehen? Viele fuhren ach dem Abitur eine Zeit lang in die USA oder nach Australien. Da wäre mein Geld im Nu alle gewesen, die Lebenshaltungskosten waren in diesen Ländern mindestens so hoch wie bei uns. Ich musste mir auch darüber klar werden, was ich studieren wollte, denn das wusste ich noch nicht, da käme eine Auszeit gerade recht.

      Ich besuchte Frau Aldenhoven auf dem Friedhof, vielleicht könnte sie mir einen Tipp geben! Ich setzte mich auf eine Friedhofsbank und dachte nach. Was hätte Frau Aldenhoven wohl zu Asien gesagt? Was hätte sie dazu gesagt, wenn ich die Seidenstraße entlang reisen wollte? Die sagenumwobene Seidenstraße ging mir schon lange durch den Sinn. Man konnte so etwas auch organisiert machen, nach Samarkand fliegen und dann komfortabel mit Bus oder Zug durch die Gegend fahren. Daran dachte ich natürlich nicht. Mir schwebte vor, die Seidenstraße entlang zu pilgern, schon mit einem Ziel, aber ohne fest organisiertes Vorwärtskommen. Pilgern würde Laufen bedeuten, endloses Laufen, aber ich würde auch mit LKWs und Bussen fahren. Ich begann, auf dem Friedhof direkt neben Frau Aldenhoven von meiner Fahrt die Seidenstraße entlang zu träumen, ich hatte den Eindruck, sie hätte nichts dagegen gehabt. Fast sah ich ihren edlen Gesichtsausdruck, fast nahm ich ihren warmen Ruhe verbreitenden Geruch wahr. Ich brachte die verbleibenden zwei Monate Schule hinter mich und verabschiedete mich von Freunden und Klassenkameraden. Wir wollten uns natürlich alle wiedersehen, ein Klassentreffen veranstalten, so in zwei, drei Jahren. Viele, denen ich von meinem Seidenstraßenplan erzählte, hielten mich für verrückt.

      Einige gingen zur Bundeswehr, einige fingen ein Studium an, einige gingen auf Reisen.

      Ich begann, mir die Sachen zusammen zu stellen, die ich während meines Unternehmens brauchen würde. Ich brauchte einen stabilen Rucksack, er musste nicht besonders groß sein, schließlich konnte ich nicht so viele Sachen über weite Strecken schleppen, sechzig Liter Packmaß würde er aber haben müssen. Das Material müsste fest und die Taschenverschlüsse müssten haltbar sein. Der Rucksack müsste sehr viele Stöße und unsanfte Würfe aushalten, er müsste auch eine komfortable Rückenstütze haben. Gut zugängliche Seitenfächer für Taschenmesser, Karten und kleine Kleidungsstücke mussten vorhanden sein. Natürlich musste der Rucksack wasserdicht sein, zumindest gegen Regen geschützt. Ich ließ mich beraten, fand aber kaum Leute, die Ahnung hatten und sich vorstellen konnten, welchen Anforderungen der Rucksack genügen musste. Ich machte keine Backpacker-Tour oder eine alpine Bergwanderung, mein Vorhaben war ganz anderer Natur und wahrscheinlich war es das, was die Berater überforderte, ich entschied mich schließlich für den „Bach Overland“ in schwarz. Auch auf die Farbe kam es an, ich wollte nicht durch Symbolfarben die Aufmerksamkeit meiner ganzen Umgebung auf mich ziehen. Mit 229,95 Euro lag der Rucksack im Preis ziemlich oben, ich hoffte, er würde halten, was er versprach. Der „Bach“ war mit 3,5 kg kein Leichtgewicht, das relativ große Gewicht hatte er seiner guten Verarbeitung zu verdanken. In den folgenden Tagen und Wochen setzte ich mir immer wieder den Rucksack auf den Rücken, packte ihn mit schwerem Material, zum Beispiel mit Ziegelsteinen und trainierte das Laufen mit Rucksack. Ich verstellte den Beckengurt und die Schultergurte, bis ich ein angenehmes Tragegefühl hatte.

      In der Stadt kaufte ich mir dann eine Türkeikarte, denn meine Tour würde in Istanbul beginnen. Das war nicht ganz der Beginn der Seidenstraße, ich würde aber spätestens in Täbriz im Iran auf den klassischen Verlauf stoßen. Ich hatte schon seit langem das Schweizer Offiziersmesser, es war das klassische, das über so viele Funktionen verfügte, die ich gar nicht alle brauchte, aber man wusste ja nie! Als großes Problem stellte sich die Aufbewahrung meiner Wertsachen heraus. Es gab die verschiedensten Möglichkeiten: Brustbeutel, Innentaschen in der Hose, Gürtel mit Aufbewahrungsfächern auf der Innenseite usw. Alle Systeme hatten eine Macke, sie wurden am Körper getragen, wenn jemand wirklich scharf auf die Wertsachen gewesen wäre, hätte er einen niedergeschlagen und die Sachen geraubt, die er wollte. Aber man musste wenigstens die Ausweispapiere immer dabei haben, Geld konnte man sich bei Banken beschaffen. Am besten war die Einrichtung der Postbank, auf ausländischen Postfilialen kostenlos Geld abheben zu können. Das ersparte es einem, größere Geldbeträge bei sich tragen zu müssen. Zehn Abhebungen waren kostenfrei, danach musste man eine geringe Gebühr bezahlen, ungefähr 2,50 Euro wenn man 300 Euro abhob, das hielt sich sehr in Grenzen.

      Ich musste mir auch noch einen Schlafsack besorgen, der einerseits wärmte, andererseits aber nicht so viel wog und klein in seinen Abmessungen war. Man hatte bei Schlafsäcken kaum Anhaltspunkte, wonach man sich beim Kauf richten sollte. Es gab den Temperaturbereich, der angab, bei wie viel Grad der Schlafsack noch ausreichend Wärme bot, das Material musste so stabil sein, dass es bei grobem Untergrund nicht sofort einriss. Ich entschied mich für einen „Ajungilak Kompakt 3-Seasons“, der für einen Temperaturbereich von +5°C bis zu -10°C vorgesehen war, er kostete 150 Euro. Ich musste mir zum Schluss noch ein paar solide Wanderschuhe kaufen. Wahrscheinlich wären die das größte Problem, dachte ich. Schließlich gab es gerade bei Wanderschuhen eine solche Fülle an Materialien, dass man kaum zurecht kam. Wollte man Ganzlederschuhe, worauf viele schworen, die aber ihr Gewicht hatten? Sie eigneten sich in steinigem Gebiet, wo sie den Fuß vor scharfkantigen Steinen schützen mussten. Oder genügte ein Leichtbauwanderschuh, der am Schaft nicht die hohe Materialfestigkeit zeigte, aber den großen Vorteil des geringen Gewichtes hatte? Die Sohle wäre genau so stabil wie die der Ganzlederschuhe und er war besser geeignet, den Fuß vor Wasser zu schützen. Letztlich kam es natürlich darauf an, wie der Schuh am Fuß saß. Man musste schon ein paar Tage mit dem Schuh laufen, um sagen zu können, ob Schuh und Fuß miteinander harmonierten. Es gab nur wenige Geschäfte, die sich darauf einließen.

      Am Ende entschied ich mich für den „Raichle Explorer LS“. Der Schuh kostete 98 Euro und bot alles, was ich von einem guten Wanderschuh