Rimpong beobachtete mich genau, schwieg aber, ließ mich kommen und die folgende Frage stellen, so wie es sich geziemte. Schließlich wollte ich etwas von ihm, nicht umgekehrt.
"Wo kann man denn mehr über diese geistige Kraft erfahren, ich würde gern mehr wissen, vielleicht ja sogar selbst erlernen, wie man…"
"Du weißt, dass man diese Kraft nicht gegensätzlich einsetzen kann, sonst richtet sie sich gegen den missbrauchenden Menschen selbst und das ist sehr gefährlich, es kann das Leben kosten." "Ich habe nicht die Absicht, Verbrechen gegen die Menschheit zu begehen, ganz im Gegenteil, ich will dieser Welt Gutes tun, wenn ich denn kann und mich nicht bereichern oder anderwertig mit niedrigem, egoistischen Gedankengut belasten."
Rimpong sah mir lange und mit sehr ernstem Blick in die Augen, bevor er weitersprach.
"Ich weiß nicht, was ich da sehe, bei dir, in deinen Augen, aber ich sehe, dass da kein übles Tier in dir haust, das dich beherrscht, da ist kein Drache, keine Schlange, aber da ist etwas, ich kann es nur nicht genau erkennen, es ist warm, in dir, manchmal vielleicht ein bisschen zu heiß – du musst kühlen lernen, um nicht von innen her zu verbrennen."
Wir standen eine Zeit lang völlig unbeweglich, sahen in das gleißende Weiss der schneebedeckten Berge, sprachen kein Wort, aber es herrschte ein seltsames Einverständnis zwischen mir und dem Mönch, man musste nicht alles aussprechen, um verstanden zu werden. "Ich weiß es gibt da dieses seltsame Phänomen, diese geheimnisvollen Selbst-Entzündungen, bei der ein Mensch ganz einfach zu brennen beginnt. Das hat mich, seit ich davon erfahren habe, nicht mehr los gelassen, aber darauf weiß niemand eine Antwort und schon gar nicht unsere Schulmediziner, die stehen da ja nur fassungslos davor und wissen gar nichts." Rimpong lächelte ein schmerzhaftes Lächeln.
"Ja, ich weiß das… Es passiert wenn die Basis-Elemente im menschlichen Körper aus dem Gleichgewicht geraten, wie ich erklärt habe, wenn Feuer und Wasser aufeinanderprallen, dann wird der Mensch in sich selbst verbrennen und anschließend auch außen verbrennen, ohne dass man etwas dagegen tun kann."
Ich bekam es etwas mit der Angst zu tun, als neuerlich Schweigen einkehrte, wir unseren Gedanken nachhingen.
"Wollen Sie denn… was wollen Sie mit ihren Kräften anfangen, ich meine… was wollen Sie tun, wenn Sie lernen diese Kräfte zu gebrauchen, sie zu bündeln und auch in eine Ordnung bringen… es gibt wohl Mittel und Wege und vor allem auch einen Ort, wo sie lernen können… wenn Sie wirklich wollen. Aber es muss auch klar sein, dass dies kein Erholungsurlaub ist und kein Spaß."
"Ich will !"
Meine Antwort kam ganz ohne Zaudern oder Zögern, wie aus der Pistole geschossen, ich sah Rimpong direkt in seine grauen klaren Augen.
"Da ist ein ganz bestimmtes Kloster, in Tibet, natürlich, wo sonst… und es ist gar nicht so schwer erreichbar, man kann von Indien, über Kashmir und dann weiter nach Nordosten reisen, nach Leh und Laddak, dann ist es nicht mehr weit."
"Aha, sehr interessant, wie heißt denn das Kloster und würden die mich denn aufnehmen… wie viel Zeit müsste ich da investieren… und, was kostet das ?"
"Sie fragen zu viel, alles das sind keine Fragen, die gestellt werden sollten – es wird kein Geld fließen, außer Sie entschließen sich, am Ende ihrer Lehrzeit, eine Spende dazulassen, da wird man sicher nicht Nein sagen – tibetische Klöster sind oft arm, an finanziellen Mitteln, dafür aber haben sie sonst alles was man braucht."
"Was braucht man denn, um dort bleiben zu können ?"
"Unser wertvollstes Gut, nämlich Zeit und den nötigen guten Willen !"
Ich sah ihn an, er lächelte mir offen ins Gesicht und lachte laut auf.
"Ich weiß, davon haben wir nie genug… Nun, aber ohne Scherz. Ich kann Ihnen eine Empfehlung schreiben, und, vorher auch anrufen, denn auch Mönche in Tibet haben mittlerweile Mobiltelefone, zumindest gibt es eines in jedem Kloster, schon auch um eventuell Hilfe herbeiholen zu können, auch Mönche werden zuweilen krank und brauchen einen Arzt." "Wie lange dauert es, bis ich nach Tibet einreisen kann, bis die im Kloster wissen, dass ich komme, angenommen ich entscheide mich dafür, und was werden die Chinesen sagen, die ja die Herrschaft über Tibet innehaben ?"
"Die Chinesen haben von vielen Sachen, die bei uns vor sich gehen, keine Ahnung und sie müssen auch nicht alles erfahren. Zum Kloster kommen Sie über Schleichwege, Freunde werden Sie an der Grenze abholen und hinbringen, anders geht das ohnedies nicht, auch aus Sicherheitsgründen für die Mönche."
"Okay, aber wie wird das mit der Sprache, ich spreche zwar vier oder auch fünf Sprachen, darunter ist aber nicht die Landessprache von Tibet"
"Oooh, sie haben eine antiquierte Sicht der tibetischen Mönche, denn auch die reisen in der Welt herum, haben schon lange andere Sprachen gelernt, vor allem aber Englisch, schon allein durch die Nachbarschaft mit Indien und Pakistan – man wird Sie auf Englisch unterrichten, wenn Sie denn Englisch sprechen."
Ich lachte auf, ich war ja fast zweisprachig aufgewachsen, Englisch war, durch die Nachbarschaft mit einer amerikanischen Familie, geradezu zu meiner zweiten Muttersprache geworden. Die Kinder hatten fast kein Deutsch gesprochen und ich kein Englisch - wir brachten einander die jeweiligen Sprachen gegenseitig bei.
Die anderen Journalisten kamen ebenfalls auf die Veranda, ein humoristisches, oberflächliches Geplänkel kam auf. Ich ging hinein und trank noch ein Glas von dem Buttertee, schon allein um mich daran zu gewöhnen. Ich würde bald und sehr oft Butter-Tee trinken, denn mein Entschluss war gefasst, ich würde definitiv nach Tibet reisen um dieses Kloster zu besuchen, ich musste das tun, es gab keinen anderen Weg mehr.
Wieder zu Hause, suchte ich sofort das Kloster, vielleicht gab es ja auch Fotos im Internet. Aber da war nichts zu finden. Es hieß "Rimpung Che" und Rimpong hatte gelächelt, als er mir den Namen nannte.
"Ja, wie schon mein Name vermuten lässt, auch ich war Mönch in diesem Kloster gewesen, nahm auch von dort meinen Namen an - bevor ich, vor 15 Jahren, hierher kam, in die Schweizer Berge, um unsere Botschaft in die Welt zu tragen. Ich wurde auserwählt um diese ehrenvolle Tätigkeit ausüben zu dürfen – obwohl mir meine Heimat sehr fehlt. Ich werde Sie beneiden müssen, wenn sie wirklich hinfahren."
III
Drei Monate später beendigte ich meine Tätigkeit bei der Zeitung, heuerte beim Fernsehen an, ein Freund, ein Kollege, hatte mir diese Tür aufgestoßen, und es war leicht, ich hatte mir da ja auch schon einen gewissen Namen gemacht gehabt, man wusste, wen man da "bekam".
Ich verabredete, als Bedingung, eine kleine Auszeit, eben für die Reise nach Tibet, wo ich aber auch mit Material und einer Reportage zurückkehren wollte, als meinen Einstand in der neuen Redaktion der bewegten Bilder.
Ich hatte noch einige Male mit Rimpong, dem Chef-Lama in der Schweiz telefoniert, auch ein weiterer Besuch fand statt, ganz unkonventionell, gerade auch für einen tibetischen Mönch. Es war in einer Konditorei in Zürich. Da gab es in der Nähe, in Rikon eine große Tibeter-Gemeinde. Rimpong und ich waren mittlerweile regelrecht befreundet, wir lachten gemeinsam, auch über die gleichen Scherze, er verfügte ebenso wie ich, über einen sehr hintergründigen, eher schwarzen Humor.
Rimpong dachte an alles, er gab mir eine richtige Checkliste, mit Dingen die ich erledigen musste, vor der Reise, mit Details, was für Kleidung, bzw. auch Dinge die ich mitnehmen musste, die mir noch sehr dienlich sein konnten, im Kloster, in Tibet. Wir hatten sogar einige Flaschen Bier zusammen geleert, Rimpong hatte leuchtende Augen bekommen und ein gerötetes Gesicht, er war sichtlich euphorisiert, wollte am liebsten mitkommen, aber das ging nicht. Er wurde hier, in der Schweiz dringender gebraucht, als Oberhaupt der lokalen Gemeinde der Tibeter. Ich versprach, dass wir einander wiedersähen, wenn ich wieder zurück war, ich wollte auch genügend Fotos und