"Danke, dass Sie ruhig geblieben sind… Ich kenne das auch, so reagieren nur Menschen mit einem gewissen seltenen Talent."
Er lächelte geheimnisvoll, wandte sich dann aber wieder der allgemeinen Unterhaltung zu. Die anderen mitgereisten Journalisten wollten, verständlicherweise, jede Menge Fragen stellen. Ich hielt mich zurück, war noch immer innerlich aufgewühlt, als ob ich unter extremen emotionalen Stress gestanden hätte, ich zitterte leise.
Die Fragen der Kollegen waren mannigfaltig, wie es sich für ihre Zunft gehörte, sie versuchten alle möglichen Punkte nachzufragen, zu ergründen, was da eben vor ihrer aller Augen stattgefunden hatte. Ein Journalist, der von der größten Tageszeitung - etwas arrogant und unwillig - meinte, dass man das so wohl nicht zweifelsfrei als "wundersam" bezeichnen konnte, es gäbe zu viel Möglichkeiten, dass hier irgendein Trick angewandt worden war. Man müsste das unter wissenschaftlichen Bedingungen, wenn überhaupt, noch einmal verifizieren. Erst dann wäre er bereit zu "glauben", was er eben gesehen hatte.
"Ich war auch schon mal bei diesem amerikanischen Superstar, ein Zauberkünstler, der Menschen schweben lassen konnte oder verdampfen, um sie später an anderer Stelle, im Saal, wieder zu 'materialisieren' – das ist alles zwar sehr erstaunlich, aber…"
Rimpong lächelte ihm offen ins Gesicht.
"Ja, ich kenne diesen Zauberer auch, er ist faszinierend… Aber es hat nichts mit mir zu tun. Und ja, manchmal kann auch ich Dinge schweben lassen, manchmal, nicht immer, es kommt immer sehr darauf an, wie die Umstände sind, der Ort, vielleicht sogar das Wetter."
Wieder lachte Rimpong aus voller Kehle, er war völlig frei von Sarkasmus oder Doppeldeutigkeit, er sprach und jedermann wusste, dieser Mann meinte genau das, was er sagte, er war ohne jegliche Arg oder List, sein Herz war rein. Man konnte dies in seinen klaren grauen Augen sehen. Er hielt jedem Blick stand, lächelte dem Betreffenden offen ins Gesicht.
Nach dem gemeinsamen Mahl, es gab Hähnchen mit Reis, mit einer faszinierenden Gewürzmischung - so etwas hatte ich noch nie gegessen, es roch verführerisch gut - wollte ich mich einfach etwas näher an diesen Mönch heranmachen. Ich musste die Frage wohl in meinem Gesicht geschrieben tragen, denn Rimpong antwortete schon wieder, ohne dass ich ein Wort gesagt hatte.
"Das ist Kardamom, schwarzer und weißer Kardamom, und Kreuzkümmel – aber nicht in der Pfanne braten, sonst wird es bitter und nicht gut für den Magen."
Diesmal wunderte ich mich nicht mehr, dass er meine unausgesprochene Frage beantwortete, bei diesem Mann durfte man sich über gar nichts wundern. Auch nicht, als er sich neuerlich an mich wandte, mich direkt und persönlich ansprach.
"Sie haben Fragen an mich, wollen Sie mit mir kurz nach draußen gehen, auf die Veranda, ich antworte gerne, kein Problem."
Wir gingen hinaus, die trockene kalte Luft fühlte sich gut an, auch in meiner Lunge. Wir lächelten einander an.
"Sie haben… Erfahrungen gemacht, mit ihrem Kopf, mit ihrem Geist, nehme ich an… etwas Geheimnisvolles, Unerklärliches ?"
Ich blickte an ihm vorbei, sah in das gleißende, makellose Weiss des Berges auf der anderen Seite des Tals. Was sollte ich ihm sagen, was konnte ich ihm sagen… was durfte ich ihm sagen, ohne gleich alles zu verraten.
"Ich, äh, ja… da waren schon ein paar eigenartige Ereignisse, in der Tat, wo ich völlig im Dunkeln tappe…"
"Bitte haben Sie keine Angst, stellen Sie sich vor, ich wäre Priester, die müssen auch… schweigen. Sind Sie religiös veranlagt oder sollte ich sagen, spirituell… Das Wort 'Gott' und ganz besonders der europäische Gott, ist ja etwas… bedrohlich. Mit all diesen Die haben da einen Fehler drin, Gott ist Liebe und Wärme, nicht Strafe !“
Er lächelte mich an, sodass mir neuerlich ganz warm wurde, ich zog mein Sakko aus. Er lachte noch mehr.
"Ihre Reaktion zeigt mir, dass ich da wohl nicht ganz falsch liege, Sie reagieren, wie ich es in meiner Jugend getan habe, als ich auch noch nichts wusste…"
Ich verharrte noch eine Weile, den Blick in die Ferne gerichtet, spürte meine Verunsicherung, erst der Anstoß durch die Vorführung, schließlich die klare Ansage des Mönches. Ich musste wissen, woran ich war, musste einfach nachfragen, worauf wollte ich denn warten. Dies hier war die Gelegenheit, die Wahrheit, oder zumindest Hinweise zu bekommen. Vielleicht war es ja doch nur alles Zufall.
"Erzählen Sie…"
Und ich erzählte. Aber nur die Geschichte mit dem Schwan und der Rettung des Entleins. Ich erzählte es in allen Einzelheiten, schilderte auch meine emotionale Verzweiflung, mein Suchen nach einem Weg, den Schwan irgendwie zu vertreiben, sodass er endlich von dem kleinen Tier abließ.
Rimpong legte mir seine Hand auf den Unterarm, sah mir direkt in die Augen, ich spürte seine Kraft, ohne dass er auch nur den geringsten Druck ausübte. Ich lächelte ihn an, verstand auf einmal, was er meinte. Es war, als ob eine Art elektrischer Strom auf meinen Körper übergriff, aber ohne jegliche Bedrohung, es war wie ein übereinstimmendes, in Takt fallendes, gemeinsames Vibrieren, als ob man den gleichen Rhythmus verspürte, man gewissermaßen deckungsgleich wurde - kongruent, war das schöne Wort aus dem Mathematikunterricht.
Womit ich gedanklich automatisch bei dem Lehrer landete, der uns so gepiesackt hatte, mit seiner Art, mit seiner widerlichen Art, uns alle mies zu machen, für Trottel zu erklären, für "Weicheier, die ohnedies nicht genügend Mumm in den faulen Knochen hätten, denen man am Besten erst einmal die Hammelbeine lang ziehen musste, auf dem Exerzierplatz". Ja, da hätte er uns gern "gehabt" und dann folgte die x-te Wiederholung der Geschichte seiner Flucht aus Stalingrad. Bis eben zu jenem Tag, als dieser Miesmensch, wie ich ihn bezeichnete, es eindeutig zu weit trieb. Er hatte mich im Visier und nicht nur das, er wurde auch noch handgreiflich, zog mich, wie einen Grundschüler, an den dünnen Haaren an meiner Schläfe zur Tafel nach vorn, um mich dort, vor versammelter Klasse, auf die Knie zu zwingen. Und das alles, weil ich gewagt hatte nachzufragen, ob denn "alle diese alten Nazis" so vernagelt waren und auch so blieben. Seine Hand hatte meine Schläfenhaare fest gepackt, es war sehr schmerzhaft. Ich riss mich los, stand ganz nah vor ihm, sah ihm direkt in die Augen, bis er sich abwandte. Ich wusste, das er meinem Blick nicht standhalten konnte, dieser hinterhältige Kleinkrämer, mit der Schlussrechnung im Kopf.
Es geschah nach dem Unterricht. Ich war an der Kreuzung gestanden, als er mit seinem Wagen, einem schwarzen Mercedes, wegen des Rotlichts anhalten musste. Ich sah ihn und ich kochte vor Wut. Dann fuhr er los, ganz unvermittelt, direkt in den Gegenverkehr, Frontalzusammenstoß. Wobei es nachträglich hieß, dass er davor, noch an der Ampel stehend, bereits einen Herzinfarkt erlitten haben musste, es war seine Leiche gewesen, die dann das Gaspedal betätigte. Ich lief weg, als es krachte. Ich hörte das alles erst am nächsten Tag, als meine Klassenkameraden, wild durcheinanderschnatternd, in der Pause darüber sprachen. Niemand hatte mich an der Kreuzung gesehen, aber selbst wenn, ich hatte ja nichts gemacht, außer ihm vielleicht die Pest an den Hals zu wünschen. Das geschah doch täglich, zehntausendmal, in jeder Schule auf der Welt, dass Schüler auf irgendeinen Lehrer fluchten. Das war die normalste Sache der Welt, jeder kannte das, auch die Lehrer selbst, denn auch sie hatten ja, in ihren Schulzeiten, auf ihre Lehrer geflucht.
Ich meine, klar, mir war schon etwas eigenartig zumute, als der dann gleich starb, quasi direkt vor meinen Augen, wie auf meinen Befehl. Deshalb war ich auch instinktiv davongelaufen. Am Nachmittag ging ich dann hinüber, zu dem nahen Fußballplatz, kämpfte um jeden Ball, lief mich, spielte mich ausreichend müde, sodass die Bilder in meinem Kopf langsam verblassten.
Bis eben am nächsten Tag, als die ganze Schule darüber sprach.
Ein abschließendes Gruseln noch, wir mussten alle - die ganze Schule, also alle Klassen, die ihn als Lehrer gehabt hatten - zum Begräbnis gehen, verpflichtend. Und da lag er dann aufgebahrt, mit gelblich blassem Gesicht, spitzer Nase und einem nicht ganz geschlossenen linken Auge. Es blickte mich an, so dachte ich, als ich ihn sah. Ich verließ die Kirche eine Sekunde später und weigerte mich, auch nach Aufforderung des Direktors, dieselbige