Der Regulator und ich. Peter J. Gnad. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Peter J. Gnad
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783752990287
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die sie bei klarem Bewusstsein nicht tun würden. Also stand auch, zum Beispiel, ein befohlener Selbstmord, wie auch ein Mordauftrag, völlig außer Frage, das wusste man.

      Interessanter war es dann schon, anlässlich einer Reportage in der Schweiz, auf eine Gruppe tibetischer Mönche zu treffen, die man dort, in einem Tal angesiedelt hatte. Insgesamt lebten

      2.500 von ihnen in diesem Tal, in dem sie Zuflucht gefunden hatten, als China sie ganz besonders gewalttätig verfolgte, in der Mitte der Siebziger-Jahre des vergangenen Jahrhunderts. Ich wurde Zeuge einer wunderlichen Begebenheit. Es war leider nicht erlaubt Kameras dabei zu haben, es gab deshalb keine Fotos oder Filmmaterial. Es war auch nur eine kleine, ausgewählte Schar von Journalisten zugelassen, ich fühlte mich geehrt, als man mich namentlich nannte und persönlich einlud.

      Der Mönch trug das bei den Tibetern übliche Gewand, eine Art Toga, in tiefem Weinrot, kahl geschorenen Kopf mit breitem Lächeln und funkelnden Augen, die die Besucher anstrahlten, als seien sie die erwarteten Freunde.

      Man hatte an einem lang gestreckten, eher niedrigen Tisch Platz genommen, der Mönch von dem ich hier nun berichte, saß am Kopfende, hinter ihm ein atemberaubendes Bergpanorama, das durch das wandgroße Fenster ganz besonders nahe schien. Er selbst wirkte, wie von den hellen Strahlen durchdrungen, als ob er selbst Teil des Lichtes war. Sie murmelten gemeinsam, einige Verse eine Gebets, die Gebetsmühle wurde gedreht, man sang auch gemeinsam, eigenartige Laute, alles in dem ganz spezifisch tibetischen Sing-Sang. Sie verstummten wie auf ein geheimes Kommando, alle auf einmal, der Mönch an der Stirnseite sprach Deutsch, mit etwas kantigem Akzent, Schweizerdeutsch mit tibetischem Akzent – eine doch etwas eigenartige Sprachmischung - ich musste unwillkürlich lächeln.

      Meine Verwunderung verwandelte sich in Erstaunen, als mich der Mönch ansprach und sagte, dass er es schön fand, wenn Menschen lachen, er müsse sich entschuldigen für seinen Akzent, das werde sicher, mit den Jahren noch viel besser. Er lachte auch, als er direkt zu mir sprach.

      Woher hatte er gewusst, worüber ich lachen musste, niemand hatte darüber ein Wort verloren, nichts, alle waren ganz ernst geblieben.

      Aber es war nicht Zeit, weiter über dieser Frage zu brüten, denn der Mönch schickte sich nun an, zu seiner Demonstration zu kommen. Zuerst sprach er auch noch über die tibetische Medizin, die ja, ganz für sich, eigenständige und einzigartige Behandlungsmethoden anwandte. Viele Schulmediziner westlicher Natur reisten genau deshalb an, nach Dharmsala in Nord-Indien, wo die geflüchteten Tibeter eine neue Heimstatt gefunden hatten, einschließlich des Dalai Lama. Man konnte dort auch studieren, eine eigene Universität lehrte verschiedene tibetische Künste, Wissenschaften, Philosophie und eben auch Medizin.

      Es war schon ein wenig eigenartig, da saß man in den Schweizer Bergen und lauschte einem Vortrag der lokalen tibetischen Mönche.

      "Ich möchte sie nun höflichst und dringend ersuchen, höchste Aufmerksamkeit walten zu lassen, wie auch absolute Stille. Ich darf bei dem, was ich Ihnen nun zeige, auf gar keinen Fall, ich wiederhole, auf gar keinen Fall gestört werden… sonst könnte eventuell großer Schaden entstehen, an meiner Person. Ich kann dabei auch sterben, wenn die Sphären sich plötzlich begegnen, in mir, dann verbrenne ich oder ich ertrinke, vielleicht sogar beides !"

      Seine Erklärung war auch vollkommen logisch und verständlich, auch in unserem westlichen Verständnis, zwingend und selbstverständlich, jeder kannte den Vergleich, den er gleich brachte.

      "Sie müssen sich das so vorstellen, es ist als ob ich Feuer und Wasser, zu einer gezielten, komprimierten, aber immer noch kontrollierten Reaktion bringe… das ist wie eine kleine Explosion. Wenn etwas schief geht, ich gestört, unterbrochen werde, dann kann es sein, dass ich dabei auch explodiere und... dass da vielleicht auch noch jemand anders dabei verletzt werden könnte."

      Die anderen anwesenden Mönche saßen mit konzentrierten Mienen, leicht vornübergebeugt, sie sahen zu Boden, ihre Hände auf den Knien, völlig entspannt, niemand gab einen Laut von sich. Rimpong, der Chef-Lama, so war sein Name, griff nun nach der Wasserkaraffe, die bis jetzt unbeachtet in der Tischmitte stand, goss ein Glas etwa halb voll, um es anschließend auf eine Papierserviette, direkt vor sich zu stellen.

      Seine Augen fest geschlossen, führte er seine gespreizten Hände zusammen, sodass sich die Fingerspitzen leicht berührten, schloss dann die Finger, woraus sich eine fast schon westlich geformte Bet-Haltung ergab. Er blickte nach oben, nach nirgendwo, ich vermeinte sehen zu können, wie sich sein Geist erhob und von ihm löste, ein seltsames Zittern erfüllte den Raum. Aber was zitterte hier, war es der Fußboden oder war es die Luft, die Welt, der Kosmos. So etwas hatte ich bislang noch nie erlebt und war sogleich völlig fasziniert, wusste, dass ich nun auch den Anfang meines Weges sehen konnte, ich war am richtigen Ort, bei der richtigen Person gelandet. Oder war ich hierher geschickt worden und wenn, wer schickte mich, was ging hier vor ? Es machte mich frösteln, und um ein Haar hätte ich nachgefragt, hätte genau jene Störung bewirkt, die dann eben Höchstgefahr bedeutete. Meine Neugier stieg ins Unermessliche, die Spannung im Raum war fast mit Händen zu greifen, oder erging es nur mir so?

      Die anderen Journalisten, Teilnehmer an der Demonstration, saßen ganz unbewegt, beobachteten nur genau, was sich hier, vor ihrer aller Augen abspielte, aber dieselbe Erregung wie ich hatten sie dabei offensichtlich nicht.

      Es musste meine eigene Veranlagung sein, die hier, bei diesem Vorgang, in irgendeiner geheimnisvollen und auch tonlosen Sprache angesprochen wurde, ich reagierte heftig darauf, Schweißperlen standen auf meiner Stirn, ich konnte spüren, wie sie mir übers Gesicht, bis in den Hemdkragen liefen.

      Es dauerte nicht lange, nur etwa eine halbe Minute, aber mir schien es wie eine halbe Ewigkeit und als es dann geschah, kam es ganz unspektakulär. Es war keine Explosion, die da den Tisch zum Wanken brachte. Erst knackte es, nur ganz leise, dann erklang ein glockenheller Ton, das Glas fiel auseinander, in lauter kleine Teile, keine großen Scherben, es zerfiel mehr als es zerbrach. Das Wasser im Glas wurde zum größten Teil von der Serviette aufgefangen. Rimpong saß noch immer mit geschlossenen Augen, bewegte sich nicht und auch niemand anderer rührte auch nur einen Finger, man hätte die berühmte Stecknadel fallen hören können.

      Rimpong öffnete die Augen, löste seine Hände, sah auf das kaputte Glas vor sich, wischte das restliche Wasser vom Tisch und lächelte sie breit an. Man war fast versucht zu klatschen, wie nach einer Zaubervorführung, im Zirkus oder im Varieté.

      Ich griff nach den kleinen Glasteilen, fragte nach, ob ich dürfe, was der Lama lächelnd bejahte. Das Glas war heiß, als ob das Wasser darin gekocht hatte, was aber eindeutig nicht der Fall gewesen war, wir hatten ja alle ganz genau zugesehen, da war keine Hitze zu bemerken gewesen, das Wasser hatte auch nicht gedampft oder Luftblasen gezeigt. Es war etwas anderes, eine uns gänzlich unbekannte Kraft, die hier eingewirkt haben musste, ich war völlig gefangen genommen, musste nun mehr erfahren und wenn es mein Untergang war.

      Die Mönche versanken in einem gemeinsamen, nur ganz leise gemurmelten Gebet, die Räucherstäbchen verbreiteten den angenehmen Duft von Sandelholz im ganzen Raum. Dann wurde es nochmals ganz still, bis Rimpong, der Chef-Lama, seine Augen öffnete und in die Runde lächelte. Das Murmeln der anderen Mönche wurde nun wieder zunehmend lauter, erhob sich schließlich zur üblichen Lautstärke tibetischen Singsangs, Schellen wurden geschlagen, Gebetsmühlen heftig in Drehung versetzt.

      Rimpong hob die Hände, das Gebet ebbte ab.

      "Danke, für ihre… Aufm… Aufmerksamkeit… und verzeihen Sie meine noch bisschen, Träumen… es ist, wie… Sie können es so vergleichen, als wenn westliche Menschen Haschisch rauchen und der Kopf im Nebel ist und… es dauert noch eine kleine Weile bis wieder alles klar, in mein… Gehirn."

      Ein junger Mönch kam, um frischen Tee zu bringen, ja, man hatte sogar – aus Höflichkeit den Gästen gegenüber, sogar Wein und Bier in den Raum gebracht.

      Mein Mund war während der Demonstration extrem trocken geworden, ich musste unbedingt etwas trinken, ließ mir eine Flasche Bier geben, schenkte ein und trank ein Glas, nein, ich stürzte es hinunter. Rimpong, der dies beobachtet hatte, lächelte mich an.

      "Ihr Mund ist trocken, so wie die Wüste Gobi…