Abschiedsbrief an die Liebe. Patrick Sandro Nonn. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Patrick Sandro Nonn
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738039399
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die sich ma­ni­fes­tier­ten und auf der nächs­ten Schu­le noch deut­li­cher in Er­schei­nung tre­ten soll­ten.

      Die Su­che nach Er­satz kann müh­sam sein. Wenn man jung ist, weiß man nicht ge­nau, wo­nach man sucht und ahnt nicht, dass die Su­che viel­leicht das falsche Ziel hat. Er­satz ist nichts Hal­bes und nichts Gan­zes. Er­satz ist Wun­sch­den­ken und Hirn­ge­spinst. Die Su­che nach Er­satz re­sul­tiert aus der Un­fä­hig­keit los­zu­las­sen. Ich ha­be mich da­vor ge­fürch­tet, dich los­zu­las­sen. Um dich dreh­ten sich neun­zig Pro­zent der in mir wach ge­blie­be­nen Erin­ne­run­gen an mei­ne Ver­gan­gen­heit. Ein Mensch oh­ne Ver­gan­gen­heit ist ein Mensch oh­ne Zu­kunft. Ich weiß nicht wo­her der Satz kommt, aber ich weiß, es ist so. Das in der Ver­gan­gen­heit Er­leb­te macht uns über­haupt erst lern­fä­hig. Lern­fä­hig­keit ist für mich die mensch­lichs­te al­ler Ei­gen­schaf­ten. Auf­hö­ren zu ler­nen, be­deu­tet Selb­st­auf­ga­be. Mich selbst auf­ge­ben kann ich nicht, denn ich ha­be wo­mög­lich ei­ne Auf­ga­be in die­ser Welt. Sie mag glo­bal ge­se­hen nich­tig, un­be­deu­tend und klein sein, aber sie will er­füllt sein. Bis das mein Schöp­fer sagt: „Es reicht.“ Wer bin ich klei­nes Licht, in die­sen Pro­zess ein­zu­grei­fen? Auf­ge­ben? Nein! Ich ha­be schon an der Schwel­le ge­stan­den. Bin nie ge­sprun­gen. Wer ver­letzt wur­de weiß, dass er über­le­ben kann. Mög­lich­kei­ten sich das Über­le­ben schmack­haft zu ma­chen gibt es vie­le. Man muss sie nur se­hen und als Chan­ce beim Schop­fe pa­cken. Be­vor ich nicht je­de ein­zel­ne er­wo­gen und aus­pro­biert ha­be und dar­über hin­aus, ist für mich noch lan­ge nicht Schluss. Wenn das heißt kämp­fen, dann neh­me ich die­sen Kampf auf – so­fern nö­tig auch ge­gen mich und mei­nen in­ne­ren Schwei­ne­hund. An­de­re mö­gen an ih­rem Lie­bes­kum­mer zer­bre­chen. Mich hat er ir­gend­wie stär­ker ge­macht. Ei­ne gu­te Freun­din hat mich ge­lehrt, da­mit klar­zu­kom­men. Sie heißt Ein­sam­keit und ist viel mehr, als die­ses au­gen­schein­lich nie­der­schmet­tern­de Wort. Ich dach­te emo­tio­na­le Öd­nis und Wüs­te sei­en schlimm. Man geht in die Wüs­te, um sich selbst zu fin­den. Durch sie ha­be ich er­fah­ren, dass ich die schöns­te Wüs­te und Ein­öde in mir ha­be. Mein Herz ist ei­ne end­los wei­te, stei­ni­ge Land­schaft. Des­halb brau­che ich nicht durs­tig zu sein und nicht zu ver­durs­ten. Ich trin­ke den spär­li­chen Re­gen, der in der Wüs­te fällt. In der Ein­sam­keit mei­ner ei­ge­nen Wüs­te kann ich un­ein­ge­schränkt ganz ich selbst sein. Oh­ne je­man­dem ge­fal­len zu müs­sen. Kei­ne Wüs­te auf un­se­rer Er­de ist schö­ner als mei­ne Ein­sam­keit.

      Nur ist Ein­sam­keit nichts an­de­res als ein schwa­cher Er­satz für Lie­be, Zärt­lich­keit und Part­ner­schaft. Kaum mehr wirk­lich eins zu eins aus­tausch­bar. Bei Licht be­trach­tet nicht ehr­li­cher, nicht ver­lo­ge­ner als Wut und Hass. Wie bringt man die­se Na­tur­ge­wal­ten in Ein­klang? Wie lässt man sie har­mo­nisch, wie in ei­nem Or­che­s­ter, zu­sam­men­spie­len?

      Kei­ne Ah­nung. Lei­der weiß ich es nicht. Si­cher ist, sie al­le ha­ben ih­re Exis­tenz­be­rech­ti­gung. Aber in dem gan­zen Ge­fühl­s­tru­bel gibt es schließ­lich und end­lich auch noch mich. Und ich will mei­nen Frie­den ha­ben. Egal wie er aus­sieht und selbst wenn das be­deu­tet, dass ich mei­ne ganz große Chan­ce ver­passt ha­be. Schweigt, ihr lie­ben, bö­sen Emo­tio­nen. Hal­tet die Klap­pe!

      Ich wür­de euch ger­ne ge­gen neue Ge­fähr­ten ein­tau­schen. Es wird Zeit, die Räu­ber­höh­le nach dem Win­ter­schlaf zu durch­lüf­ten und für fri­schen Wind zu sor­gen. Ich bin so­wie­so all­zeit für je­de Art von Ver­än­de­rung be­reit. Et­was Neu­es braucht der Mensch. Das Jahr 1995, alt und grau ge­wor­den, ver­ging so sang und klang­los, wie es kam. Ich muss­te mich neu ori­en­tie­ren und mei­ne Wahl fiel auf die Hö­he­re Be­rufs­fach­schu­le für Wirt­schaft und Ver­wal­tung in Bad Neu­e­nahr. Ein klei­nes Stück den Rhein hin­un­ter und dann das schö­ne Ahr­tal hin­auf. Bei al­len Schu­len, die ich be­sucht ha­be, schwang ich wie ein Pen­del, rhein­auf, rhein­ab um mei­nen Hei­mat­ort, den Platz wo ich hin­ge­hö­re. Wa­rum nicht da wei­ter­ma­chen, wo man auf­ge­hört hat? Schu­le an­statt Aus­bil­dung in Er­man­ge­lung ei­ner Idee, wel­cher Be­ruf mir ge­fal­len könn­te. Er­satz eben.

      Wa­rum sucht man nach Er­satz? Das fragst du dich jetzt si­cher­lich. Vi­el­leicht hast du auch schon mal nach ei­ner an­de­ren Mög­lich­keit ge­sucht. An­statt Kaf­fee trinkt man Tee, gibt’s kei­nen Rot­wein, dann viel­leicht einen wei­ßen. Er­satz kann die Ab­wechs­lung und die Wür­ze sein, die man sucht, um neu­en Schwung in den All­tag zu brin­gen. Oder aber die Su­che nach Er­satz ist der Ver­such, ei­ne große Lee­re, einen schwer­wie­gen­den Ver­lust aus­zu­glei­chen, da­mit die Waa­ge wie­der im Gleich­ge­wicht ist. Ob­wohl die Wut großes Ge­wicht un­ter den Emo­tio­nen hat, den Ver­lust der großen Lie­be, die ei­nem nur ein­mal im Le­ben be­geg­net, kann sie nicht er­set­zen. Sta­bi­li­tät und Aus­ge­wo­gen­heit sind mit die wich­tigs­ten Fak­to­ren im Le­ben. Oh­ne schwarz kein weiß, oh­ne Tag kei­ne Nacht. Je­des Ele­ment hat sei­nen Ge­gen­pol. Es müs­sen bei­de spür­bar vor­han­den sein, um Si­cher­heit ge­währ­leis­ten zu kön­nen.

      Was hast du bei de­nen ge­sucht, die dich nicht ver­ehr­ten, wie es dir ge­bühr­te? Wo­mit hast du dich ab­spei­sen las­sen? Tee an­statt Kaf­fee? Du hast doch so oft ge­merkt, dass et­was fehl­te. Ich weiß ja lei­der wor­an das liegt. Mir ist klar, du willst das nicht hö­ren. Ich selbst hab ja schon kaum ein Selbst­be­wusst­sein. Wa­rum siehst du dich selbst aus­schließ­lich durch ruß­ge­schwärz­tes Glas? Du bist doch… (Du weißt schon, was ich sa­gen will.)

      Ich ha­be die Idee im Hin­ter­kopf, bei je­der Frau, die mir gut ge­fällt: Was ist, wenn sie doch nur wie­der Er­satz ist?

      Ei­gent­lich bräuch­te ich gar nicht mehr zu su­chen. Noch öf­ter als bis­her, muss ich gar nicht fest­stel­len, wie un­in­ter­essant ich als Part­ner bin. Für lan­ge, tief­schür­fen­de Ge­sprä­che über Gott und die Welt durch­aus ver­wend­bar. Zu mehr je­doch wohl kaum. In die­sem Uni­ver­sum schei­ne ich lau­ter Pech mit den Frau­en zu ha­ben. Ein Hoch auf al­le Par­al­le­lu­ni­ver­sen, die es gibt. Die kön­nen es nur bes­ser an­tref­fen. Ein biss­chen iro­nisch ist, dass wir vom Schick­sal auf die glei­che Art ge­schla­gen wor­den sind, bei dem was wir lie­ben. Ist das nicht ver­rückt? Op­ti­mis­ti­scher Schwarz­se­her, der ich bin, ver­mu­te ich, es gibt hin­ter all den ver­zer­ren­den Spie­geln, die uns die Sicht ge­ra­de­aus ver­sper­ren, einen Weg, auf dem wir bei­de wie­der zu­sam­men­fin­den. Lei­der ist er mir in den drei­zehn Jah­ren, die ich dich jetzt ken­ne, noch nicht be­geg­net. Ich su­che ja auch ganz al­lei­ne da­nach. Er­satz. Die ein­zi­ge Mög­lich­keit, einen Fun­ken vom Glück zu er­ha­schen. Ein win­zi­ger Schim­mer, halb ver­düs­ter­ter Hoff­nung, kaum der Re­de wert. Der kleins­te Stern des Uni­ver­sums. Der Rest, der bleibt, wenn man das große Glück schon ver­spielt hat.

      Für mich per­sön­lich ha­be ich fest­ge­stellt, Er­satz ist nicht das Rich­ti­ge für mich. Er­satz füllt nichts aus. Ich mag kei­nen Tee. Ha­be letz­tens ei­ne Kan­ne Erd­beer­tee ge­trun­ken, weil nichts an­de­res mehr da war. Vor al­lem kein Cappuc­ci­no. Ein re­la­tiv bil­li­ger Tausch, na­tür­lich. Aber für mich muss es schon Kaf­fee sein. Das heißt nicht, dass der Tee nicht ge­schmeckt hat. Im Ge­gen­teil, er war so­gar recht gut. Ich weiß nur lei­der, oder Gott sei Dank, je nach Stand­punkt, viel zu ge­nau, was ich will. Ich will in die Tie­fe boh­ren, wo an­de­re nur an der Ober­flä­che krat­zen. Mag ja sein, dass de­ren Fin­ger­nä­gel bre­chen. Ich will die kla­re Wahr­heit, wo ge­flun­kert