Abschiedsbrief an die Liebe. Patrick Sandro Nonn. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Patrick Sandro Nonn
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738039399
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dem Wis­sen um ei­ne grau­sa­me Tat­sa­che wich: Ich bin ein Clown. Ich bin nie­mals wirk­lich jung ge­we­sen. Statt mei­nen Weg zu ge­hen, ha­be ich mit Clow­ne­rei­en ver­sucht, da­zu­zu­ge­hö­ren und bin doch in die wort­lo­se Stil­le ab­ge­drif­tet. Ha­be mei­ne Ge­füh­le ver­bor­gen und ver­steckt, weil die All­ge­mein­heit un­se­rer Klas­se Lie­be für et­was lä­cher­li­ches hielt. Ha­be ver­sucht Leich­tig­keit zu spie­len, an­statt sie im ent­schei­den­den Mo­ment zu le­ben. Spiel­te mit und kam doch nie an die Leis­tung des Ober­clowns un­se­rer Klas­se her­an. Aber die Chan­ce zur Leich­tig­keit liegt jetzt, da mich auf dei­ner Par­ty die Rea­li­tät auf­frisst schon sechs Mo­na­te zu­rück. Ei­gent­lich war es mei­ne Wut, durch die ich al­les ver­spielt ha­be. Ich se­he die­sen Alp­traum wie­der vor mir:

      Der Kun­st­un­ter­richt zwang mich, der ich so­wie­so kaum Luft durch die Na­se be­kom­me, für fünf­und­vier­zig Mi­nu­ten un­ter ei­ne Gips­mas­ke. Die­se war ich gra­de erst wie­der los­ge­wor­den, schwer schnau­fend, wie ein Wal­ross, fast am Er­sti­cken, als eben je­ne Ver­rä­ter, al­len vor­an aus­ge­rech­net du, die mich ver­las­sen hat­te, ih­re al­ten Klas­sen­ka­me­ra­den be­su­chen ka­men. Dei­ne Fri­sur war neu, dei­ne Haa­re ent­setz­lich kurz und ei­gent­lich hat­tet ihr vier, vor al­lem aber du, in die­ser Klas­se nichts mehr ver­lo­ren. So et­was in der Art muss ich ge­sagt ha­ben. Ich woll­te dich krän­ken und be­lei­di­gen, denn du hat­test mich ver­las­sen. Als ich mit dir fer­tig war und der fröh­li­che Glanz aus dei­nen Au­gen ver­schwun­den, ging ich vor die Tür.

      Es dau­er­te kei­ne Mi­nu­te und Matt­hi­as folg­te mir. Er zuck­te hilf­los die Schul­tern und sag­te nur zwei Sät­ze, die ich nie­mals ver­ges­sen wer­de:

      „Gera­de eben hät­test du sie für dich ge­win­nen kön­nen. Du hät­test bloß et­was Net­tes über ih­re Fri­sur zu sa­gen brau­chen.“

      Dann ließ er mich, ver­dat­tert, ver­dutzt, mit dem scha­len Ge­fühl kal­ter, ver­rauch­ter, sinn­lo­ser Wut im Bauch, im Flur zu­rück und ging wie­der in die Klas­se. Wie ich an je­nem Tag in mei­nen Bus nach Hau­se ge­kom­men bin, weiß ich nicht mehr.

      Jetzt ste­he ich hier, auf dei­ner Par­ty und wun­de­re mich dar­über, dei­ne Hand auf mei­nem Arm zu spü­ren. Dei­ne Stim­me fragt mich, ob al­les in Ord­nung sei, ob­wohl ich dich ge­ra­de eben erst ein­ge­fro­ren ha­be. Merk­wür­dig, sie zu hö­ren.

      Die Alp­traum­bla­se zer­platzt. Die scheuß­li­che Rea­li­tät, mit der gräss­li­chen Stil­le, nach dem wi­der­wär­ti­gen mu­si­ka­li­schen Lärm und der Aus­ge­burt der Höl­le an dei­ner Hand, hat mich wie­der.

      „Ja klar“, sa­ge ich und ver­su­che ein Grin­sen. Die­ser Knilch, dein Freund konn­te ja nichts da­für. Du hat­test mich ver­ra­ten. Mich, im­mer noch un­wis­send, dass ich dei­ne Lie­be nicht ge­se­hen ha­be. Die­se Par­ty muss­te ge­sprengt wer­den. Schon al­lein we­gen dei­nem freu­de­strah­len­den, wun­der­schö­nen Ge­sicht. Als ihr euch wie­der auf der Tanz­flä­che be­fan­det, sag­te ich Matt­hi­as, ich wür­de nach Hau­se ge­hen. Ver­ein­bart war, dass mein Va­ter mich um Mit­ter­nacht ab­ho­len käme. Ich wuss­te, es wür­de ei­ne Such­ak­ti­on aus­lö­sen, wenn ich mich jetzt schon aus dem Staub mach­te. Aber ich fühl­te mich zu ver­letzt, zu wü­tend, zu ei­fer­süch­tig, um noch län­ger im sel­ben Haus mit dir und ihm zu blei­ben. In dei­nem Hei­mat­ort kann­te ich mich gut ge­nug aus, um vor den Such­trupps ein paar Ha­ken zu schla­gen. Schließ­lich tra­fen wir uns in un­se­rer Frei­zeit oft. Letz­ten En­des er­wi­sch­ten sie mich doch und ich durf­te den Rest des Abends auf dei­ner Par­ty ver­brin­gen. Par­tys und Dis­co­stim­mung lie­be ich noch heu­te. Als ich in die­ser Nacht end­lich wie­der da­heim an­kam, ver­fluch­te ich ein Mäd­chen, (Sil­ke) das nichts für mei­ne Blind­heit konn­te und ver­fluch­te mich selbst und dich, weil du einen an­de­ren mir vor­zogst. Ich durf­te dich nicht lie­ben und so lern­te ich ei­ne neue, ge­fähr­li­che Art, Emo­ti­on Num­mer eins, die Lie­be, zu be­kämp­fen. Ich ent­deck­te den Hass, der Hass ent­deck­te mich. Er schmei­chel­te mir, er flüs­ter­te mir al­les, was ich schon seit dem fünf­ten Schul­jahr hö­ren woll­te ins Ohr. Er sag­te, du müss­test ster­ben, da­mit ich mei­ne Frei­heit wie­der­er­lan­gen konn­te, und ich schrieb sei­ten­wei­se auf, was er mir sag­te.

      Wir tra­fen uns ei­ni­ge we­ni­ge Ma­le nach dei­nem Schul­wech­sel. Mei­ne Lie­be und un­se­re Freund­schaft wa­ren stär­ker als der Hass, wenn ich nur in dei­ner Nä­he sein durf­te. Ich ha­be dir für dei­nen Ge­schmack viel zu oft ge­sagt, dass ich dich lie­be. Und dann en­de­te auch für mich die Zeit in der Haupt­schu­le, die mir mei­ne Vor­lie­be für Ma­the­ma­tik ein­ge­brockt hat­te.

      Den ers­ten Zwei­jah­res-Bruch in un­se­rer freund­schaft­li­chen Lie­bes­be­zie­hung be­sie­gel­te dann un­se­re Ab­schluss­fei­er, bei der auch ihr vier Ehe­ma­li­gen und na­tür­lich dein Freund, des­sen Na­me ich ver­ges­sen ha­be, mit da­bei ward. Über euch zwei, als in­nig­lich ver­lieb­tes Paar, freu­te ich mich ver­ständ­li­cher­wei­se so stark, das ich erst Mal tüch­tig einen ge­sof­fen ha­be. Als mein Ver­stand leicht und mei­ne Zun­ge schwer ge­wor­den war, muss mir et­was pas­siert sein, an das ich al­ler­dings heut­zu­ta­ge nur glau­be, mich zu er­in­nern. Ich glau­be, ich ha­be dei­nen Freund an­ge­fleht, das er mir dich für ei­ne ein­zi­ge Lie­bes­nacht, nur um dich zu ent­jung­fern, über­lässt. Schließ­lich hat­te ich die äl­te­ren Rech­te. Kann­te dich ja län­ger. Wohl noch nie den Film „Die Nor­man­nen kom­men“ ge­se­hen? Ich hin­ge­gen träum­te von mei­nem Pret­ty Ba­by am Strand ei­ner blau­en La­gu­ne…

      Vom Rest des Abends ist nichts üb­rig in mei­nen grau­en Zel­len. Auch weiß ich nicht, ob es wahr ist. Si­cher ist nur, ich trau­te mich zwei Jah­re lang nicht, dich an­zu­ru­fen. Als ich end­lich wie­der et­was Mut zu­sam­men­kratz­te, in den Weih­nachts­fei­er­ta­gen des Jah­res 1992 und du mei­ne Ent­schul­di­gung an­nahmst, war die Welt wie­der in Ord­nung. Du warst ei­ne bild­schö­ne jun­ge Frau, ich ein klei­ner ver­träum­ter Jun­ge, der ver­zwei­felt und un­be­dingt, ja be­din­gungs­los an die Uns­terb­lich­keit der Lie­be glaub­te.

      Unsere gemeinsame Zeit

      Wir er­reich­ten al­so einen Sta­tus Quo. Waf­fen­still­stand. Du hat­test oben­drein dei­nen Freund, ich freun­de­te mich mit der klei­nen Schwes­ter von Emo­ti­on Num­mer eins an. Ein­sam­keit. Ma sweet so­li­tu­de. Sie war treu und ei­ne hin­rei­ßend schar­fe Bett­ge­fähr­tin. Das be­merk­te ich recht schnell, ob­wohl ich erst Jah­re spä­ter zum ers­ten Mal den Song „Ma so­li­tu­de“ von Ge­or­ges Mou­sta­ki hör­te. Mei­ne Fran­zö­sisch­leh­re­rin mach­te mich mit die­ser fa­bel­haf­ten, sen­si­blen mu­si­ka­li­schen Be­trach­tung des The­mas Ein­sam­keit be­kannt. Ihr Un­ter­richt in un­se­rer ge­misch­ten Klas­se ar­te­te zwar in ei­ne Über­vor­tei­lung der Fort­ge­schrit­te­nen aus, aber für die Be­kannt­schaft mit die­sem Lied, wer­de ich ihr all­zeit dank­bar sein.

      Sta­tus Quo. Ich wech­sel­te von der Haupt­schu­le auf die Be­rufs­fach­schu­le für Wirt­schaft und Ver­wal­tung, lern­te neue Leu­te ken­nen. Zwi­schen­durch traf ich dich im­mer mal wie­der. Je­des Mal wur­de das Feu­er neu an­ge­facht. Je­des Mal ein biss­chen mehr ge­schürt. Lie­be. Ich ver­sank in dei­nen Au­gen. Nach­dem wir uns von­ein­an­der ver­ab­schie­de­ten, hass­te ich dich noch viel lei­den­schaft­li­cher. Feu­er und Eis. So sehr ich auch ver­such­te