Автор: | Dirk Christofczik |
Издательство: | Bookwire |
Серия: | |
Жанр произведения: | Языкознание |
Год издания: | 0 |
isbn: | 9783847640165 |
andere saß da und schmollte griesgrämig. »Der Weihnachtsmann hat Geschenke mitgebracht«, beschwichtigte die Frau ihrer Kinder. Geschenke! Dieses Wort ließ die Zwillinge aus ihrer Lethargie erwachen. Wie Schläfer, konditioniert auf den Begriff, sprangen sie plötzlich auf, drängelten sich an ihrer Mutter vorbei und stürmten wie Furien auf den erschrockenen Karl zu. »Geschenke, Geschenke«, hallte ihr Schlachtruf durch das Wohnzimmer. Karl sah nur eine Möglichkeit der Abwehr. Er stand auf, machte sich kerzengerade, um seine mickrigen 176 Zentimeter ein wenig größer erscheinen zu lassen, streckte den rechten Arm aus und hob seine Hand wie ein Verkehrspolizist. »Halt!«, brummte er. Zu seiner Verwunderung blieben die beiden tatsächlich stehen und starrten ihn mit großen Augen an. Der Blickkontakt dauerte nur Sekunden, dann stierten die beiden Jungen auf den Sack, den Karl neben sich auf dem Boden gestellt hatte. »Sind da die Geschenke drin?«, fragte einer der beiden barsch. Karl ließ sich wieder auf dem Hocker nieder und überlegte, wie er die Situation am besten meistern konnte. Am Vortag war sein Schulkamerad bei ihm gewesen und hatte die Geschenke für seine Kinder abgeliefert: Zwei Play Station und diverse Videospiele befanden sich in dem Sack. Und das waren noch nicht einmal alle Geschenke für die Zwillinge. Armbanduhren, DVDs und sogar Notebooks hatte Boris für seine Jungen besorgt. Außerdem sollten die beiden an Heiligabend noch jeder ein iPhone bekommen, das hatte Boris ihm stolz erzählt. Wie man seine Kinder derart versauen konnte, war Karl schleierhaft. Aber das war nicht seine Angelegenheit, er war nur der Weihnachtsmann. »Erst muss ich überprüfen, ob ihr brav gewesen seid und die Geschenke verdient habt«, verkündete Karl mit verstellter Stimme. Er spürte bereits ein Kratzen im Hals. »Warum?« »Weil ich der Weihnachtsmann bin und nur liebe Kinder Geschenke bekommen.« »Du bist nicht der Weihnachtsmann!« »Aha, ein Schlaumeier! Wie ist dein Name Kleiner?« »Malte!« »Und ich bin Jonas!«, mischte sich der andere Junge ein. »Und du bist nicht der Weihnachtsmann!« Die Zwerge waren eine harte Nummer. Am liebsten hätte Karl ihnen die Geschenke gegeben und wäre so schnell wie möglich geflohen. »Ich bin also nicht der Weihnachtsmann?« Die Zwillinge nickten synchron. »Woher wollt ihr das wissen?« Malte schaute seinen Bruder an, dann wandte er sich wieder Karl zu. »Papa hat zu Mama gesagt, dass sich nur Loser oder Hartz IV Empfänger als Weihnachtsmänner verkleiden und sich für fünfzig Euro zum Affen machen«, erklärte der Kleine. »Malte!«, schrie seine Mutter den Jungen an. »Bist du ein Loser?«, fragte Jonas. »Oder ein Hartz IV Empfänger?«, wollte Malte wissen. »Malte, Jonas! Jetzt ist aber gut! Setzt euch auf die Couch!« »Und was ist mit unseren Geschenken?« Karl saß auf seinem Hocker, als wäre er in Stasis versetzt worden. Entsetzt starrte er auf die beiden Jungen. Er war so betroffen, dass er vergaß zu atmen. Nach einer Weile sog er reflexartig Sauerstoff in seine Lungen, dabei bewegte er seine Lippen wie ein Fisch auf dem Trockenen. Es dauerte noch eine weitere Minute, bis er den künstlichen Rauschebart nach unten zog und wie eine Kette um seinen Hals baumeln ließ. Dann griff er neben sich und tastete nach dem Sack mit den Geschenken. Wie in Trance zog er die rote Schleife auf, öffnete den Sack und hievte ihn auf den Schoß. Die Frau seines Schulkameraden war aufgestanden und kam zu ihm herüber. »Entschuldigen Sie. So sind Kinder«, versuchte sie die peinliche Situation zu retten. Karl überhörte ihre Beschwichtigungen. Langsam hob er den Sack in die Höhe und drehte ihn auf den Kopf. »Geschenke, Geschenke«, rief er feierlich, dabei ließ er die bunt eingewickelten Pakete aus dem Sack plumpsen. »Sind Sie verrückt geworden?«, zeterte die Frau von Karls Schulfreund. Sie gestikulierte wild mit den Armen und stellte sich schützend vor ihre Kinder. Derweil polterten die Geschenke quer durch das noble Wohnzimmer. Ein Paket prallte gegen das Tischchen hinter der Wohnzimmertür und räumte die Vase ab. Klirrend zerbarst das Porzellan auf dem Granitboden in tausend Scherben. Karl begann lauthals zu lachen, während die Hausherrin in hysterisches Kreischen verfiel. Malte und Jonas saßen wieder auf der Couch und beobachteten das Spektakel feixend. »Sie asozialer Vollidiot!«, keifte die Frau, nachdem sie ihren ersten Schock überwunden hatte. »Raus mit Ihnen! Sofort!« Karl wirbelte den leeren Sack über den Kopf und ließ ihn los. Er landete auf einer Stehlampe. Malte oder Jonas stand auf und zog an dem Sack, bis die gesamte Stehlampe umfiel, auf den Glastisch krachte und diesen zu Bruch gehen ließ. Für Karl war der Zeitpunkt gekommen, sich aus dem Staub zu machen. Während die Frau sich entsetzt das Chaos in ihrem Wohnzimmer anschaute, öffnete Karl seine Kostümjacke und griff in die Brusttasche seines Hemdes. Dort fand er die fünfzig Euro, die er am Vortag bekommen hatte. Er drückte die Banknote der perplexen Hausherrin in die Hand und flüchtete aus dem Wohnzimmer. Als er in die Diele kam, hörte er den Hund wie irrsinnig kläffen. Karl öffnete die Haustür und rannte nach draußen. Er wetzte durch den Vorgarten, hechtete über das Gartentor und beeilte sich zu seinem Auto zu kommen. Eine halbe Minute später befand er sich in seinem Nissan, startete den Motor und machte sich auf den Weg nach Hause. Karl fuhr auf der Bundesstraße 51 in Richtung Bochum. Sein Handy lag auf dem Beifahrersitz. Er hatte es ausgeschaltet. Wahrscheinlich versuchte sein Schulkollege bereits ihn zu erreichen, um ihn zusammenzufalten. Boris und seine fürchterliche Familie konnten ihm gestohlen bleiben. Er wollte nie wieder etwas mit ihm zu tun haben. Eines Tages würde er allen eine lange Nase zeigen, seinen Traum verwirklichen und dem tristen Deutschland den Rücken kehren. Er war vielleicht ein Hartz IV Empfänger, aber ein Loser war er deswegen noch lange nicht. Karls Magen meldete sich knurrend zu Wort. Er wollte sich allerdings nicht an seinen Gedankengängen beteiligen, sondern darauf aufmerksam machen, dass er außer einem trockenen Brötchen am Morgen noch nichts zu essen bekommen hatte. Da Karl auf seinen Magen hörte, überlegte er, wo er eine Kleinigkeit zu sich nehmen könnte. Sein Kühlschrank zu Hause war leer und mehr als ein paar Euros befanden sich nicht in seinem Geldbeutel. Das goldene M am Straßenrand wirkte wie ein hypnotisierendes Pendel auf ihn. Sein geistiger Autopilot wurde aktiviert und im nächsten Augenblick fand er sich auf dem Parkplatz des Burgerbraters wieder. Er entledigte sich seines Kostüms, warf es in den Kofferraum und zog stattdessen den uralten Bundeswehrparka an, den er immer im Wagen hatte. Frierend stapfte er durch den Schnee und betrat den überheizten Laden. An der Theke bestellte er sich einen Hamburger und eine kleine Cola, bezahlte mit seinem letzten Kleingeld, dann suchte er sich einen Platz in dem nahezu leeren Gastraum. Er aß seinen Hamburger, schlürfte seine Cola und dachte an seinen missglückten Auftritt als Weihnachtsmann. Wenn er daran dachte, wie abwertend die Frau seines alten Kumpels mit ihm umgegangen war, dann wunderte es ihn nicht, dass die Kinder sich wie verwöhnte Gören aufführten. Doch was ihm wirklich an die Nieren ging, war das Verhalten von Boris, der ihn heimlich einen Hartz IV Loser nannte. Karl war kein Schmarotzer, der sich auf Kosten der Allgemeinheit vor der Arbeit drückte. Sein Job war eiskalt wegrationalisiert worden, ohne Rücksicht auf Verluste, schlagzeilenträchtig als sozialverträglich getarnt. Zehntausend Euro Abfindung hatte er bekommen, der Dank für zwanzig Jahre, die er loyal und tüchtig im Dienst seines Arbeitgebers verbracht hatte. Aber die Aussicht auf einen neuen Job war genauso realistisch wie die deutsche Fußballmeisterschaft für den VFL Bochum. Das Geld war schnell verbraucht und sein sozialer Abstieg rasanter als die PS Boliden seiner ehemaligen Vorgesetzten. Nachdenklich biss er in seinen Hamburger, als die Tür aufschwang und eine Frau in den Laden trat. Karl schaute auf, denn die Frau trampelte wie eine Elefantenkuh durch den Laden. Sie war etwa 165 Zentimeter groß und fast genauso breit. Sie trug einen Rock von der Größe eines Partyzeltes, darunter schwarze Leggings, die sich wie eine zweite Haut über die gigantischen Oberschenkel spannten. An den Füßen trug sie trotz der Kälte Gummiclocks, darüber staute sich das Wasser in ihren speckigen Unterschenkeln. Unter den Achseln stemmten sich Fettwalzen gegen ihre rosa Vliesjacke, welche die Inkarnation von Miss Piggy komplettierte. Dazu kam, dass ihr Gesicht rosig wie ihre Jacke war, dabei glänzte ihre Haut wie eine Speckschwarte. Strähniges Haar wuchs aus ihrem mächtigen Kopf und fiel wie Fliegenfänger auf ihre Schulter und das breite Bergarbeiterkreuz. Karl hörte auf zu kauen und beobachtete, wie die Frau ihren ausladenden Körper Richtung Theke schleppte, wo sie Bedienung und Kasse in einen dunklen Schatten tauchte. Ihre Bestellung dauerte! Immer wieder zeigte sie mit ihren Wurstfingern auf die Anzeigetafel mit den Menüs. Dann begann hektische Betriebsamkeit in der Küche des Schnellrestaurants. Karl wandte seinen Blick ab und widmete sich wieder seinem kargen Mahl. Er schlürfte die wässrige Cola und biss in seinen Burger. Die dicke Frau hatte er schon aus seinen Gedanken gestrichen, als ihn ein Schnauben und Japsen hellhörig machte. Erneut schaute Karl auf. Der Koloss schlürfte nur wenige Meter von ihm entfernt durch den Gang. In den Händen balancierte der Klops ein vollbepacktes Plastiktablett, auf dem sich Burger, Pommes, Cola und Eiscreme stapelten. Kurzatmig