Meter nördlich von seiner Position ab. Der Trampelpfad begann knapp zwanzig Meter nordwestlich von seinem Grundstück, das bedeutete, dass er sich Richtung Nordosten durch die Büsche schlagen musste. Karl zog den Reißverschluss seines Parkas bis zum Hals zu, dann begann er seine Entdeckungsreise durch den Grüngürtel vor seinem Haus. Von Jacko war weit und breit nicht zu sehen. Karl zwängt sich zwischen dem Wildwuchs der Büsche hindurch. Dornen piksten durch den Stoff seiner Hose, ein dünner Zweig peitschte auf seine Wange und hinterließ einen roten Streifen, den er als schmerzendes Brennen wahrnahm. Karl fluchte leise vor sich hin und bereute bereits einen morgendlichen Tatendrang. Seine Übellaunigkeit wurde von seinen Gummistiefeln genährt, die Dinger waren so alt, dass die Feuchtigkeit durch das poröse Gummi drang. Seine Socken waren bereits unangenehm klamm, und jeder seiner Schritte wurde von einem nervenden Quaken begleitet, so als würde er in seinen Stiefeln Laubfrösche züchten. Angewidert stieg Karl sein eigener Schweiß in die Nase. Er schüttelte sich bereits bei dem Gedanken an, was für ein Aroma ihn erwartete, wenn er seine Gummistiefel ausziehen würde. Karl versuchte sich krampfhaft auf das Dickicht zu konzentrieren, das ihn mittlerweile wie ein Käfig von allen Seiten einschloss. Doch auch aus den verschlungenen Ästen Zweigen und dem matschigen Boden schlug ihm alles andere als ein angenehmer Duft entgegen. Der Gestank von Hundekot vermischte sich mit dem beißenden Geruch von Urin. Pilze mit großen Hüten wuchsen aus dem Boden, begleitet von braungrüner Flechte, die zentimeterweise die Rinde der blattlosen Bäume eroberte. Modrige Ausdünstungen stiegen in Karls Nase, ein Gestank, der so ekelerregend war, dass er nur mit Mühe den Würgereiz unterdrücken konnte. Angewidert hielt er die Luft an, bis er gezwungen war, die verpestete Luft in seine Lungen zu saugen. Mit der flachen Hand vor Mund und Nase kämpfte er sich weiter durch die dornigen Büsche. Immer wieder hielt er Ausschau nach Jacko, konnte ihn allerdings nirgendwo entdecken. Streunerei war für Jacko eigentlich ungewöhnlich, denn seine gichtgeplagten Läufe bereiteten ihn Schmerzen, und seine Sehkraft war schlechter als das Fernsehprogramm. Karl mochte sich gar nicht ausmalen, wo der Hund sich befand. Vielleicht war es bereits auf das gestoßen, wonach er suchte. Wäre er Katholik, dann hätte er sich jetzt bekreuzigt, stattdessen zog er die Ärmel seiner Regenjacke über die Hände und schob die Zweige des nächsten Busches zur Seite. Er trat hindurch und befand sich auf einmal auf einer freien Fläche, nicht größer als drei oder vier Meter im Quadrat. Was Karl auf diesem Fleckchen sah, ließ ihn vor Schreck zurückweichen. Schwarz angelaufene Backsteine grenzten die verkohlten Überreste eines Lagerfeuers ein. Bierflaschen, gebrauchte Taschentücher und verrottete Tetrapaks lagen rund um die Feuerstelle. Dazwischen entdeckte Karl benutzte Spritzen, deren Kanülen mit getrocknetem Blut verkrustet waren. Eine Welle der Übelkeit überkam ihn. Er schmeckte den scharfen Geschmack von Magensäure in seinem Mund, die er mit verkniffener Miene wieder herunterschluckte. Hektisch schnappte er nach Sauerstoff, sog die Luft durch Mund und Nase in seine Lungen. Langsam verging die Übelkeit. Ohne einen weiteren Blick auf die geheime Fixerstube drehte sich Karl um und schlug einen anderen Weg ein. Er wollte sich gerade wieder durch eine Wand aus Zweigen und Ästen drängeln, als er ganz in der Nähe Jacko jaulen hörte. Karl hielt inne und horchte, um die Richtung zu orten, aus der die Geräusche des Hundes kamen. Aufgeregt schob Karl Äste beiseite. Wieder wurde er von einem zurückschleudernden Zweig im Gesicht getroffen. Ein Dorn stach ihn in die Nase. Karl stöhnte vor Schmerz, kämpfte sich aber weiter durch das Dickicht. Ein neuer Geruch drang in seine Nase, den er nicht definieren konnte. Der Duft erinnerte Karl an Aloe vera gemischt mit Minze und einem Hauch von Vanille. Karl arbeitete sich durch ein Gewächs aus wilden Beeren, dann, aus heiterem Himmel, sah er Jacko und die Absturzstelle. Vor ihm erstreckte sich eine rabenschwarze Ebene von der Größe eines Fußballanstoßkreises. Sämtliches Grünwerk war niedergebrannt und völlig verkohlt, so als wäre ein Lavastrom über dieses kleine Stück Land in der Brache geflossen. Karl interessierte sich nicht im Geringsten für die verbrannte Erde, was seine ganze Aufmerksamkeit auf sich zog, war ein Krater, der sich in der Mitte der verkohlten Ebene auftat. Das Loch maß etwa ein Meter im Durchmesser, an den Rändern türmte sich die Erde eine handbreit in die Höhe. Jacko stand hechelnd auf dem Erdwall und starrte gebannt in den Krater. Karl registrierte, dass der herrliche Duft hier am intensivsten war.
»Jacko, komm her mein Junge!«, zischte Karl seinem Hund zu. Der Vierbeiner reagierte nicht auf den Ruf seines Herrchens. Sein Blick war konzentriert in das Loch gerichtet, so als hätte er eine leckere Wurst oder einen der Hundekuchen entdeckt, die er so gerne fraß. In Karl kämpfte die Neugier mit der berechtigten Angst vor dem Ungewissen. Der Kampf war schnell entschieden, und ehe er sich versah, bewegte sich Karl mit unsicheren Schritten auf den Krater zu. Vor dem aufgehäuften Erdwall blieb er stehen. Ganz vorsichtig beugte er sich ein Stück nach vorne. So versuchte er, einen Blick auf das Innere des Erdlochs zu erhaschen. Zunächst sah er nicht mehr als die dunkle Erde, die überall auf der Brache zu finden war. Karl machte einen weiteren Schritt auf den Krater zu, setzte seinen rechten Fuß auf dem Erdwall ab und beugte sich wieder nach vorn. Es reichte immer noch nicht, um die tiefste Stelle des Kraters zu sehen. Also ging Karl auf die Knie und rutsche so nah wie möglich an den Rand des Lochs. Neugierig schaute er hinunter und dann sah er ihn. Es war ein Stein, schneeweiß und so groß wie eine Pampelmuse.
»Ein Meteorit!«, stellte Karl nüchtern fest. Neben ihm saß Jacko, hechelnd, seine rote Zunge hing aus dem Maul. Karl schaute seinen Hund an, der Jack-Russell-Terrier schien zu grinsen. Karl musste schlucken, dabei überlegte er, was er nun tun sollte. Automatisch griff er in die Tasche seines Parkas und holte sein Handy heraus. Karl schaute auf das Display und tippte 110. Das war das Einzige, was ihm einfiel.