Blutiger Aufstieg - ein außergewöhnlicher Fiesling. Walter Ernsting. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Walter Ernsting
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847683384
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Dir eine halbe Million. Damit hast Du ausgesorgt und kannst Dein Leben genießen."

      Um Trampe begann sich alles zu drehen, er umklammerte die Lehne seines Stuhls. 'Gestern nichts als Vorwürfe, heute eine halbe Million, sollte er am Sonntag das große Los ziehen?'

      Sprachlos starrte er Yvonne Wallbourg an.

      „So eine Gelegenheit kommt nie wieder; Du bist doch ein starker mutiger Mann“, ihre Stimme hatte einen höhnischen Unterklang. Sie stand auf und ging zum Tresor, öffnete ihn umständlich und entnahm ihm ein dickes Geldbündel. „Hier sind einhunderttausend Reichsmark - als Anzahlung." Sie legte das Geldbündel vor ihn hin.

      Er starrte das Geldbündel an, seine Gedanken fuhren Achterbahn, er, ein deutscher Offizier, ein gedungener Mörder? In Moskau war er 'rausgeflogen, würde ihn auch die Reichswehr entlassen, nachdem er in Moskau nicht reüssieren konnte? Musste er dann wieder als Pförtner in den Werken dieses Barons arbeiten, ein stumpfsinniger Posten für einen Hungerlohn?

      Plötzlich kam ihm wieder ein Vorgang in den Sinn, der sich 1923 abgespielt hatte…

      Was hatte dieser Baron mit dem Gold gemacht, das ihm vor einigen Jahren bei seiner Reise in die Karpaten ein Kosakengeneral übergeben hatte? Baron Hugo sollte es an einen westeuropäischen Kommunisten übergeben, die Komintern steckte wohl dahinter. Dieser Mittelsmann war aber zum vereinbarten Treffpunkt nicht erschienen und Baron Hugo hatte das Gold dann am Gut Sticknitz versteckt. Heimlich war Trampe ihm gefolgt, war es Neugier, war es Neid, dass Baron Hugo das Gold sich selbst aneignen wollte und konnte?

      Yvonne Wallbourg riss ihn aus seinen Gedanken. „Na, wo warst Du mit Deinen Gedanken? Du musst ihn doch gut kennen, diesen sauberen Baron. Hinterfotzig, würden die Bayern sagen.“

      Reich oder arm? das war die Frage, er musste sich jetzt entscheiden. Sie sah, wie seine Gedanken arbeiteten.

      „Also gut, ich werde Dir den Gefallen erweisen." Er schob ihr das Geldbündel hinüber. „Gib mir das Geld hinterher“, murmelte er leise. „Ich mache es für Dich, nicht für das Geld."

      „Kein Problem, Du bekommst die ganze Summe hinterher. Aber dann müssen wir uns trennen - für immer, das ist Dir doch klar."

      Er nickte, stand auf und verließ grußlos das Zimmer. Er rannte an den Vorzimmerdamen vorbei, die ihm mokant lächelnd nachblickten, hatte ihn ihre Chefin völlig aus der Fassung gebracht? Immer wieder hatten sie bereits in der kurzen Zeit, die seit ihrer Anstellung vergangen war, erkennen müssen, dass die meisten Gesprächspartner, die bei Yvonne Wallbourg zum Rapport befohlen worden waren, nach den Gesprächen schweißgebadet und häufig vor Angst schlotternd davongeschlichen waren.

      Trampe erging es nun ähnlich, er lief ziellos mehrere Stunden in der nahe gelegenen Dresdner Heide umher, bis er an der Mordgrundbrücke - welch beziehungsvoller Name! - die Straßenbahnlinie 11 erreichte, die ihn zurück in die Stadt brachte.

      Sechs Jahre hatte er in Sowjetrussland vorwiegend in Moskau für die Reichswehr und für diesen deutschen Industriellen Baron von Sticknitz gearbeitet. Alle Befehle, Aufgaben und Wünsche hatte er zur vollen Zufriedenheit seiner Auftraggeber erfüllen können.

      Er schüttelte die Erinnerungen an alte Zeiten ab, dann ging er in sein Hotel, warf sich auf das Bett und fiel in tiefen Schlaf, er träumte heftig, von Russen, geheimen Missionen, von Riga, seiner Kindheit, von Trotzkij, von diesem Baron Hugo, dem verbuddelten Goldschatz, von Yvonne Wallbourg, ihrem Hass auf diesen Baron. Er sieht ihn blutend zusammenbrechen, hat er doch geschossen? In Schweiß gebadet wachte er auf. Draußen war es noch hell. Frisch gewaschen lief er nach draußen.

      Er hatte nun einen Mordauftrag übernommen! Warum?

      Aus Liebe zu Yvonne Wallbourg, der eiskalten Konzernchefin, für die er nur ein gelegentlich angeforderter Liebhaber war, wenn sie Lust auf ihn hatte, wegen des Geldes, wegen dieses Barons Hugo, in dessen Diensten er letzten Endes stand? Er würde reich werden, vielleicht war auch das von Baron Hugo versteckte Gold noch da, vermutlich ein Teil des Zarengoldes, das er in den Karpaten zur Weiterleitung empfangen hatte – ein unermessliches Vermögen! Was für ein Mensch war dieser Baron, der ihn 1922 mit einigen seiner Männer als Pförtner für seine Werke eingestellt hatte, als sie nach der Freikorpszeit im Baltikum buchstäblich auf der Straße standen? Er hatte ihm einiges zu verdanken, bis die Reichswehr ihn reaktivierte und nach Moskau schickte.

      Und jetzt sollte er ihn erschießen? Er haderte mit sich selbst, sollte er – oder sollte er nicht? Was würde dann aus ihm?

      Der Baron Hugo war sein Arbeitgeber, der ihn damals, 1922, aus der Arbeitslosigkeit herausgeholt hatte, durch ihn war er von der Reichswehr reaktiviert worden, die Jahre in Moskau hatten ihn wieder aufleben lassen.

      Aber er kannte auch die Schattenseiten dieses Mannes, seine Weibergeschichten, den rätselhaften Tod seiner Frau! Das war im April gewesen.

      Der April hatte mit viel Regen und Kälte begonnen. Im Gutshaus Sticknitz kehrte am späten Abend allmählich Ruhe ein. Niemand im Gutshaus ahnte, dass draußen ein Mann im Schutz dichter Büsche das Haus beobachtete, er hatte sich hier auf die Lauer gelegt und wartete, bis alle Lichter im Gutshaus erloschen waren Als Dorfbewohner kannte er sich hier gut aus.

      Er sah, wie die Baronin Magdalena von Sticknitz Friedrich, ihren jüngsten Sohn, zu Bett brachte, er wusste, dass die beiden älteren Kinder im Internat in Schneidemühl waren.

      Er sah, wie der alte Heinrich, das Faktotum im Gutshaus, in den unteren Wohnräumen aufräumte, er sah, wie die Baronin nach oben in ihr Schlafzimmer ging, ein Glas und die Schnapsflasche in den Händen, er sah, wie sie sich entkleidete und das Nachthemd überzog. Eine Weile saß sie auf der Bettkante, vermutlich nahm sie noch einen Schlummertrunk, dann ging das Licht aus. Das Gutshaus versank in Dunkelheit.

      Ein kräftiger Westwind trieb die Wolken vor sich her, in den Wolkenlücken ließ der bleiche Viertelmond die Umrisse des Gutshauses in der Finsternis auftauchen, von der Kirche in Pogholz trug der Wind zehn Glockenschläge herüber.

      Er hatte Zeit; bis kurz vor Mitternacht beobachtete er das Gutshaus, nichts regte sich. Er wusste, dass ein Kellertür nicht richtig schloss. Vorsichtig drückte er die Tür auf. Im Haus kannte er sich trotz der Dunkelheit aus. Vorsichtig tastend stieg er nach oben, das Schlafzimmer der Baronin war sein Ziel. Die Schlafzimmertür ließ sich geräuschlos öffnen.

      Da geschah es, er war auf ein knarrendes Dielenbrett getreten!

      Erschreckt fuhr Baronin Magdalena hoch. „Was ist, wer ist da?“

      Er blieb erstarrt stehen, was nun?

      Instinktiv drückte sie auf den Schalter der Nachttischlampe, bei seinem Anblick schrie sie laut auf. „Was willst Du hier?“

      Er hielt den Zeigefinger vor den Mund, sprang auf das Bett zu, riss ihr das Kopfkissen unter dem Kopf weg und drückte ihr mit aller Kraft das Kissen auf das Gesicht. Sie versuchte zu schreien, ihn wegzudrücken, sich auf die Seite zu drehen, aber er war zu stark. Verzweifelt wehrte sie sich, aber gegen seine Kräfte kam sie nicht an. Nach einer Weile ging der ungleiche Kampf zu Ende, leblos sackte sie zusammen.

      Er schob das Kissen zur Seite und drückte zur Sicherheit noch eine zeitlang mit geübten Händen auf ihren Kehlkopf. Dann zog er den noch warmen Körper aus dem Bett, schleifte ihn zwei Türen weiter zum Atelier, das wesentlich höher war. An den dicken Deckenbalken waren einige kräftige Haken eingeschraubt. Er zog ein Seil aus der Tasche, zog es durch einen Haken und legte das Seil um ihren Hals. Er musste ihren schweren Körper mit Mühe so weit hochziehen, bis er den Boden nicht mehr berührte.

      So leise, wie er gekommen war, verließ er wieder das Gutshaus.

      Heinrich, Faktotum auf Gut Sticknitz, hatte um sieben Uhr, wie an jedem Werktag das Frühstück im Esszimmer angerichtet. Gewöhnlich kam die Gutsherrin, Baronin Magdalena von Sticknitz, pünktlich zum Frühstück herunter.

      Friedrich, der jüngste Sohn, der noch zu Hause wohnte, stopfte sich bereits die erste Scheibe Brot, dick mit Himbeermarmelade bestrichen, in den Mund. Da die Baronin um Viertel nach sieben immer noch nicht erschienen