Den See gibt’s ja laut meiner archäologisch geschulten Frau erst seit der letzten großen Eiszeit. Vorher lag das Pyramidenbauwerk auf dem Trockenen. Das ist alles schon sehr sonderbar“, fügte er dann noch hinzu.
„Uns wundert das nicht, mein lieber Alex“, antwortete Senior Commander Niome-Pan prompt, während sie ihrem Bruder, dem vormaligen Chef der Forschungs- und Testeinrichtung auf der Insel Skye, mit einem wissenden Blick zuzwinkerte.
„Nun zur wahrscheinlichen Lösung des Rätsels. Erstens ist der Tunneleingang in der Mitte der Werft sehr gut getarnt. Und noch nicht mal Astor 1 ahnte, dass es diese Schleuse nach draußen gibt. Ich vermute daher, dass darüber nur die führenden Leute dieses Stützpunkts Bescheid gewusst haben.
Zum Beispiel kann diese geheime Röhre als Fluchttunnel gedacht gewesen sein, um die Werft notfalls in Richtung des in der Pyramide befindlichen Ferntransmitters evakuieren zu können.
Du weißt ja selbst, dass es z.B. im Brandfall oder bei einem Erdbeben darauf ankommt, die Crew so rasch wie möglich nach draußen zu bringen.
Nur mit Kleintransmittern oder Bodengleitern hätte so etwas bei 1.500 Leuten sicher viel zu viel Zeit in Anspruch genommen. Aber dieser große Fluchttunnel macht eine rasche Evakuierung möglich und ich denke, dass er genau deshalb gebaut wurde.
Wir haben es allerdings nicht gewagt, die Tunnelschleuse ohne besondere Sicherungsmaßnahmen zu öffnen, nur um die Richtigkeit unserer Annahme zu beweisen.
Dies vor allem, weil wir keinen Wassereinbruch riskieren wollten. Obwohl so etwas angesichts der sicherlich ebenfalls in Makronitbauweise konstruierten Tunnelhülle vermutlich nicht zu befürchten ist“, schloss Niome-Pan ihren überraschenden Beitrag.
„Der Tunnel selbst ist zudem – aus welchen Gründen auch immer –nicht mal in den Dateien der Rechenzentrale vermerkt. Und er liegt heutzutage gut 800 Meter unter der Oberfläche des Pyramid Lake – so viel ist schon mal sicher“, assistierte jetzt Professor Thomas Berger seiner Vorrednerin.
„Das trifft allerdings für den Großtransmitter, den wir bisher zurecht in dieser Pyramide im See vermuten, wahrscheinlich nur teilweise zu. Denn über die Seepyramide gibt’s einen ganzen Band an Informationen. Doch dazu später mehr“, beendete Professor Berger seinen Einwurf, als auch schon Senior Commander Niome-Pan erneut das Wort ergriff.
„Thomas Einwurf ist inzwischen eine gesicherte Tatsache. Den Großtransmitter in der Pyramide gibt es – sofern die lemurischen Dateien nicht lügen – tatsächlich.
Nur ist er scheinbar sehr viel größer, als derjenige, den wir letztes Jahr im Hill of Tara auf eurer heutigen Insel Irland ausgegraben haben und den mein Bruder wieder in Funktion setzen konnte.
Deshalb haben Thure und ich uns gestern am frühen Abend auch nochmal die in der Werft auf allen Ebenen platzierten Kleintransmitter sehr detailliert angesehen.
Im Moment sind sie, trotz der wieder funktionierenden Energieversorgung, nach wie vor nicht empfangsbereit, weil ihnen vermutlich aktive Gegenstellen in der Pyramide oder an anderen nahegelegenen Orten fehlen. Und dort waren wir ja noch nicht.
Dass es eine ganze Reihe dieser Gegenstellen ursprünglich gegeben haben muss, zeigen die neben den Transmittern platzierten Bedienungsfelder, auf denen auch lemurische Ortsangaben verzeichnet sind.
Im Endeffekt heißt das, dass wir uns daranmachen müssen, möglichst viele der wahrscheinlich reparaturbedürftigen Gegenstellen aufzuspüren. Selbst, wenn einige davon die damalige Katastrophe nicht überstanden haben sollten.
Wie viele das am Ende sein werden – und vor allem, wo sie liegen, kann ich euch jedoch nicht sagen. Aber ich bin mir sicher, dass Professor Berger und Astor 1 mittlerweile mehr darüber wissen.“
„Okay, dann machen wir zwei jetzt mal weiter“, sagte Thomas Berger, während er seinem gegenwärtigen Sitznachbarn Astor 1 auffordernd zunickte, wonach der lemurische Chefandroid umgehend mit seinem Bericht anfing.
„Meine Damen und Herren, zunächst ist einmal eines absolut klar. Der in unseren Annalen hinreichend dokumentierte Großtransmitter befindet sich tatsächlich in dieser ursprünglich gut 150 Meter hohen Pyramide im See, die heute nur noch rund 100 Meter über den Seespiegel hinausragt.
Wenn die von uns bislang ausgewerteten Daten stimmen, ist diese Anlage mindestens dreimal so groß, wie der Großtransmitter, den ihr letztes Jahr in Irland gefunden und reaktiviert habt.
Falls wir also dort hineingelangen können, werden wir erfahren, ob unsere Annahmen zutreffen. Sobald unsere Ingenieure die Energieversorgung dieses gigantischen Transmitters in der Seepyramide wiederhergestellt haben, werden wir zudem sehen, ob der lemurische Ferntransmitter in Irland mit dieser Anlage in Kontakt steht.
Was die Kleintransmitter und ihre in der Nähe liegenden Gegenstellen angeht, gibt es davon ein ganzes Sende- und Empfangsnetzwerk, das ziemlich gut dokumentiert ist.
Von der Pyramide einmal abgesehen, handelt es sich dabei um Orte, an denen sich in lemurischer Zeit Materialdepots und andere Versorgungseinrichtungen der phaetonischen Flotte befunden haben.
Jedoch kann ich euch leider nicht sagen, wo sich die Positionen dieser Einrichtungen heute genau befinden. Denn die stimmen mit ihrer damaligen Lage aufgrund der vielen erdgeschichtlichen Veränderungen nicht mehr überein.“
Nachdem Astor 1 geendet hatte, ergriff nun Professor Berger selbst das Wort.
„Wie ihr seht, kommt damit noch ein gerütteltes Maß an zusätzlicher Forschungsarbeit auf uns zu. Denn gerade die Materialdepots sind wichtig, wenn wir die FREYA zügig fertigbauen wollen. Deshalb müssen wir sie finden – und ich wage die Annahme, dass viele von ihnen auf diesem Kontinent liegen.
Denkt nur mal an die zahlreichen anderen Pyramiden und Mounds, über die wir ja schon diskutiert hatten und die wir auf unserem Rückweg nach New York ohnehin noch näher untersuchen wollen. Ich denke, dass es sich – ähnlich wie in Schottland und Irland – nur bei einem Teil von ihnen um bloße Begräbnisstätten der amerikanischen Ureinwohner aus späteren Epochen handelt.
Aber diese differenzierte Suche hat noch solange Zeit, bis die ehemalige Werftcrew wieder gesund und handlungsfähig ist und wir die Rohstoffe zur Vollendung der FREYA brauchen.
Ungeachtet dessen sollten wir die notwendige Erforschung der Pyramide und ihres Innenlebens in der Prioritätenliste ein bisschen höher schieben, als bislang geplant“, beendete Thomas Berger seinem ergänzenden Report, der von den Anwesenden – trotz des inzwischen kursierenden Gemurmels – staunend aufgenommen worden war.
Doch noch ehe Oberst Thure-Pan als nächster Berichterstatter fortfahren konnte, setzte Professor Berger noch einmal an.
„Eine wichtige Erkenntnis habe ich noch zu erwähnen vergessen – und jetzt erinnere ich mich daran nur, weil mir meine liebe Kollegin Niome gerade mit ihrem zarten Fuß gegens Bein tritt. Doch das muss noch ein bisschen warten.“
Damit umarmte der bis dato eingefleischte Junggeselle Thomas Berger seine darüber äußerst perplexe lemurische Kollegin Niome-Pan und küsste sie liebevoll auf den Mund.
„Guck’ nicht so bescheuert, Mora!“, sagte er gleich darauf in Richtung seiner ehemaligen wissenschaftlichen Mitarbeiterin Mora Kranz.
„Auch ein Professor hat Bedürfnisse – und nach der überraschenden Verlobung von vorhin muss ich euch endlich auch mal mitteilen, dass diese schöne Frau und ich schon seit etlichen Monaten ein Paar sind.“
Damit nahm er die schlanke lemurische Wissenschaftlerin erneut in den Arm und strich ihr sanft über ihre schulterlangen schwarzen Haare.
Nach dieser überraschenden Schlussansage Thomas Bergers hätte man zunächst eine Stecknadel fallen hören können. Doch dann brach Mora Kranz vehement das allgemeine Schweigen.
„Ich fass’ es nicht. Warum in aller Welt hab’