Die Zweitreisenden. Urs Rauscher. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Urs Rauscher
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738035810
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zu nehmen.

      Sobald das Ehepaar außer Hörweite war, brachen die beiden Freunde in Lachen aus. Sie mussten sich aneinander festhalten, um sich nicht auf dem blitzeblanken Boden ihrer neuen Wohnung zu kugeln. Sie bebten vor Vergnügen.

      Ihre erste Amtshandlung war eine Line Koks. Eine Line Koks, die sie zweimal kopieren mussten, um nach dem Sport wieder auf Hochtouren zu kommen.

      Wie mit dem Anwalt abgesprochen, hatte das Umzugsunternehmen einen Koffer mit Werkzeug hinterlassen. Auch eine Taschenlampe war darin. So waren sie bestens ausgerüstet für einen Angriff auf die Arbeitsagentur. Sowohl synaptisch als auch handwerklich. Vielleicht stellten die weißen Hemden und Designerhosen keine echte Arbeitsmontur dar. Aber man konnte nicht an alles denken. Man konnte den armen Anwalt nicht auch noch damit betrauen.

      Das Klo kam ihnen vertraut vor. Diesmal waren sie überhaupt nicht unter Zeitdruck. Der Kleinere hatte wieder einmal als Erster die Ehre, sich durch das Fenster zu zwängen. Mit dem Rücken stieß er oben an den Rahmen und jaulte vor Qualen, riss sich dann aber wie durch ein Wunder wieder zusammen. Für Benjamin war der Sprung leichter. Auch weil er sich einfach auf den Klodeckel stellte, nachdem er den Werkzeugkasten nach draußen geschleudert hatte.

      Für einen Moment genossen sie den Ausblick über die Dächer Berlins. In der Straßenschlucht hupten Autos, Menschen schrien. Martin konnte die Sirene eines Krankenwagens näher kommen hören.

      Hier oben ging ein laues Frühlingslüftchen. Die Luft war klar und unverpestet. Ein paar dünne Wölkchen trieben unter dem dunstbelegten Sternhimmel. Benjamin schubste Martin vorwärts.

      Zu ihrer geringen Überraschung hatte man das Fenster, durch welches sie eingebrochen waren, zumauern lassen. Also machten sie sich mit ihrem Gerät an der Türe zu schaffen. Doch so sehr sie auch am Schloss herumfuhrwerkten, nichts bewegte sich.

      Bald legten sie eine Pause ein, um über das weitere Vorgehen nachzudenken. Benjamin lehnte sich an die Türe, rutschte daran ein Stück gen Boden.

      Da geschah es: Die Klinke bewegte sich nach unten und die Türe ging nach innen auf. Benjamin wäre um ein Haar auf dem Rücken gelandet, konnte sich aber im Zurückschwenken noch an der Klinke festhalten. Beide schlugen sie sich an den Kopf: Die Türe war die ganze Zeit unverschlossen gewesen.

      Diesmal konnten sie die Taschenlampe gut gebrauchen, denn man hatte den Strom abgestellt. Auch die Stockwerkstüren waren verschlossen. Diese ließen sich aber mit dem vorhandenen Werkzeug, in diesem Fall mit Schraubenziehern, einfach aufbrechen.

      Der Kegel der Taschenlampe sprang über das Inventar der Räumlichkeiten: Computer, Tische, Stühle. Erst zwei Stockwerke darunter befanden sich die Archive. Sie hatten es vergessen.

      Sie kamen sich vor wie die Verschwörer der Watergate-Affäre, als sie die Aktenordner und Karteikästen durchstöberten. Schnell verstanden sie, dass dies nichts brachte. Es musste Regale geben, in denen Verträge aufbewahrt wurden.

      Zwei Stockwerke tiefer wurden sie fündig: Hier wurden keine Personalakten aufbewahrt, sondern Verträge und Vereinbarungen, sowie Korrespondenzen und Post.

      An diesem Ort begann die eigentliche Arbeit. Mindestens drei Stunden lang wühlten sie sich durch das Konvolut an Schriftstücken. Als die erste Suche ergebnislos geblieben war, nahmen sie sich alles noch einmal vor. Doch sie fanden nichts, auf dem ihr Name stand.

      Die zwei folgenden Stockwerke durchkämmten sie ebenfalls auf der Suche nach dem verdammten Stück Papier, auf das sie unnötigerweise ihre Unterschriften gesetzt hatten. Doch kein Erfolg.

      Schließlich landeten sie am Fußende der Treppe. Dort, wo sich die Türe zum Untergeschoss befunden hatte, war nun nichts mehr zu erkennen. Man hatte sie zugemauert und verputzt. Für jemanden, der zum ersten Mal hier war, würde es aussehen, als hätte es hier nie eine Türe gegeben und als endete die Treppe im Nirgendwo.

      Nun verstanden sie auch, warum die Polizei in dem Fernseh-Bericht nichts davon erwähnt hatte.

      „Gar nicht so dumm, diese Typen“, staunte Benjamin nicht schlecht. Er trat an die Wand, um sie mit der Lampe zu inspizieren.

      „Diese verdammten Ratten“, meinte Martin anerkennend und schlug gegen das Treppengeländer. „Sie haben vorgesorgt.“

      Benjamin grummelte. „Nur wir sind kein Stück voran gekommen.“

      Niedergeschlagen blickte Martin zu Boden. „Ja. Scheiße. Der Vertrag muss doch woanders sein.“

      Benjamin befühlte den Putz. „Nur wo?“

      „Er kann überall sein. Im Büro des Agenturleiters bei ihm zu Hause, bei einer der anderen Typen, die beim Unterschreiben anwesend waren. Was weiß ich!“

      „Dann sollten wir dorthin“, sagte Benjamin.

      Martin blickte ihn entgeistert an. „Ist das dein Ernst? Das ist wie die Nadel im Heuhaufen zu suchen. Wir können doch nicht überall einbrechen! Außerdem sind sie in Haft, ihre Häuser werden überwacht. Nein.“ Er überlegte. „Wir müssen eine andere Lösung finden.“

      „Wie ich gesagt habe“, führte Benjamin seinen alten Vorschlag nun wieder an und stemmte sich gegen die Wand. „Wir brechen zur Maschine durch und zerstören das Scheißteil.“ Er lächelte durchtrieben. „Würde mir einen Riesenspaß machen!“

      Martin schüttelte kaum merklich den Kopf. Bedächtig sagte er: „Nein. Du weißt genau, dass das nichts bringt. Wir müssen wieder nach oben. Uns was überlegen. Es muss einen anderen Weg geben.“

      Benjamin widersprach nicht. Sie verließen das Gebäude. In ihrer neuen Wohnung auf dem Boden sitzend, bestellten sie bei einem Edel-Italiener aus Mitte Pizza. Nachdem ein Restaurant-Boy die Pizzen und zwei Flaschen Rotwein gebracht und ein ordentliches Trinkgeld abgestaubt hatte, waren sie erst einmal beschäftigt.

      Jeweils eine Flasche Wein und zwei Lines weiter, die ihnen für einen kurzen herrlichen Augenblick das Naseninnere verbrannten, fühlten sie sich in der Lage, einen alternativen Plan zu ersinnen.

      Benjamin rülpste. „Wir könnten“, sagte er und ließ einen weiteren Rülpser folgen. „Die Villa verkaufen und das Geld ins Ausland bringen.“ Er suchte in Martins Augen Anzeichen von Zustimmung. „Dann könnten wir für eine Weile in die alte Wohnung ziehen.“

      „Und was soll das bringen?“, fragte Martin. Die Rotweinsäure stieg ihm die Kehle hoch.

      „Wenn sie uns vorladen, gibt es keine Beweise, dass wir das Geld genommen haben. Wir haben es ja nicht. Alles nur ein Fake.“

      Martin guckte ihn an wie einen Idioten. „Sag mal, bist du bescheuert? Natürlich gibt es irgendwo Beweise. Notfalls bei der Bank. Wir waren so dumm, uns die Rente nicht auch bar geben zu lassen.“

      „Das war deine Idee“, erwiderte Benjamin.

      „Es war nicht anders möglich!“, sprach Martin ein Machtwort. „Sonst hätten wir nie so viel gekriegt.“

      „Ach, Scheiße. Und wenn wir was mit der Bank drehen?“

      „Dann bleiben immer noch unsere Unterschriften.“ Kapitulierend zog Martin die Mundwinkel nach unten.

      „Könnten auch gefälscht sein“, erwog Benjamin.

      Martin wischte den Einwand mit der Hand weg. „Erzähl das mal einem Experten. Nein. Wir kommen da so nicht mehr raus.“

      „Wie dann?“

      „Ich hab da so ne Idee“, verriet Martin verschmitzt.

      Benjamin stutzte kurz. Dann blitzte etwas in seinen Augen auf. „Das ist nicht dein Ernst!“

      Martin presste die Lippen aufeinander. „Doch. Oder fällt dir was Besseres ein?“

      „Nein“, sagte Benjamin. „Und wie willst du es tun?“

      „Wir reisen zu zweit.“

      „Und wer verschickt uns?“

      „Du meinst eher,