Die Leiden des Schwarzen Peters. Till Angersbrecht. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Till Angersbrecht
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738088946
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als blutrünstiger Leopard, manchmal als stechwütige Mücke, die den Kopf auflodern lässt: natürlich im Wahnsinn. Und jetzt nimmt sie also die verführerische Gestalt eines goldgelben Getränkes an, das mir der Bürgermeister über den Tisch kredenzt und mich dabei mit einem Lächeln ermuntert, so als wäre es die natürlichste Sache der Welt, sich mit einem bösen Geist einzulassen.

      Bitte, könnt ihr mir verraten, was ich in dieser gefährlichen Situation hätte machen sollen? Ich sitze doch eingeklemmt zwischen dem Polizeipräsidenten Knarr und Julius, dem Apotheker, während der Bürgermeister, jetzt, da er mein Zögern gewahr wird, mit lauerndem Blick auf mein Gesicht und den Humpen starrt, der wie eine Strafe Gottes goldblinkend vor mir steht und den ich jetzt mit äußerster Überwindung zum Munde aufhebe: Du begehst eine schwere Sünde, mahnt mich eine innere Stimme, niemand lässt sich ungestraft mit dem flachsblonden Weibe ein, aber es ist euer ausdrücklicher Befehl, mich den Eingeborenen anzupassen und selbst ihren ausgefallensten Bräuchen, also überwinde ich mich und gurgele einen Schluck nach dem anderen in mich hinein, wobei ich am Ende sogar mit der Zunge schnalze, um falsches Wohlgefallen zu simulieren.

      Wie ich später erfahre, befindet sich der Apotheker nicht zufällig an meiner Seite. Julius ist ein großer Kenner sämtlicher Heil- und Wirksubstanzen aus dem Abend- ebenso wie aus den fernsten Morgenländern, also eine echte Kapazität in allen Fragen des leiblichen Wohlergehens. Die Obrigkeit, der Bürgermeister also, hat ihn zu meiner Begrüßung herbeigerufen, denn der Ritus des Humpenleerens ist nun einmal ein Muss; in Goldenberg hätte man niemals von Mensch zu Mensch zu mir reden können, ohne dass ein oder mehrere Maß den Bauch anfüllen und das Gehirn in den unter den Eingeborenen so beliebten Dämmerzustand versetzen. Andererseits ist die Obrigkeit zur gleichen Zeit auch um das Wohlergehen des Fremden besorgt. Man weiß ja nicht, ob ein Mann meiner Tönung sich mit dem hiesigen Klima abfinden wird; noch viel weniger lässt sich darauf zählen, dass mein Organismus der goldgelben Pier gewachsen sei. Da schien es denn eine gebotene Vorsichtsmaßnahme zu sein, den Apotheker mit den nötigen Essenzen zur Hand und zur Stelle sein zu lassen, falls ich in den wollüstigen Armen Piers etwa in Ohnmacht falle.

      Nun, ich weiß, was ich euch und der Ehre meiner Heimat schuldig bin: Unter Todesverachtung – aber nicht ohne „Steh mir bei, lieber Loso!“ in mich hineinzuflüstern – schlürfe ich Schluck um Schluck in mich hinein, während die Augen der Männerrunde mich ständig beäugen, alle Anwesenden zu unverzüglichem Eingriff bereit, falls ich eine Konvulsion erleide, einen Krampf oder eine durch Pier hervorgerufene Wahnsinnshandlung.

      Man hatte - aber das sollte ich erst später erfahren - noch weitere Vorsichtsmaßnahmen getroffen. Es gab nämlich einen Erlass, der den Bewohnern der Stadt an dem Tag meiner Ankunft ausdrücklich verbot, sich im Park zu versammeln und mich durch zu zahlreichen Andrang zu verstören oder mich gar wie ein scheues Wild in Panik zu versetzen. Wie es allerdings mit amtlichen Erlässen so ist, gibt es stets Aufmüpfige und Querulanten, die mit dem eigenen Sturkopf durch die Wände rennen – in diesem Fall durch den Park. Ein allzu Neugieriger – er wurde später mit einer drastischen Verwaltungsstrafe belegt – hat sich nämlich über die Weisung hinweggesetzt. Mich aus weit geöffneten Augen unentwegt anstarrend, sitzt er wenige Schritte entfernt am Nebentisch und kann die Augen nicht von mir lassen. „Anstarren“ ist freilich ein unfreundliches und in diesem Fall auch unpassendes Wort, denn in Wahrheit scheint er so gebannt und entzückt von meiner Person, dass er seinen Blick einfach nicht von mir loszureißen vermag. Es sind große Kinderaugen, mit denen mich der Mann – ein wahrer Hüne - mit einer Art Unersättlichkeit beinahe verschlingt.

      Dabei sollte es freilich nicht bleiben, denn es geschieht das Unvorhergesehene, wodurch im Nachhinein die Weisung an die Bevölkerung, an diesem Tag den Park bitte zu meiden, durchaus gerechtfertigt erscheint. Der mich hingerissen fixierende Mann – später werde ich ihn als Oscar kennen lernen und einen guten Freund in ihm gewinnen - ist nämlich mit seinem Haustier gekommen, einem schwanzwedelnden Dackel, der im Hinblick auf meine Person nicht weniger neugierig, ja, sogar noch um vieles wissbegieriger ist als die zweibeinigen Bewohner der Stadt. Ich vermute, dass sich der mir eigene Savannenduft vorteilhaft von dem der Einheimischen abhebt - diesem Umstand schreibe ich jedenfalls den Grund dafür zu, dass die Dackelseele in besondere Erregung gerät. Ist schon meine Haut durch ihre Schokoladenfarbe besonders erfreulich, so wird der Hund meinen faszinierenden Duft in die Nase bekommen haben. Jedenfalls ist als unumstößliche Tatsache zu vermelden, dass er plötzlich zu mir gelaufen kommt, um mich von Hund zu Mensch ganz unmittelbar zu beschnüffeln.

      Ja und?, werdet ihr dieses Ereignis ganz unaufgeregt kommentieren. Was sei daran denn so besonders, wo doch darin die allgemeine Art der Hunde besteht, also auch die eines Dackels.

      Sehr wohl, auch für mich liegt darin absolut nichts Auffälliges, an Hunde und ihre Eigenarten bin ich gewöhnt, und dass ich einen edlen, vielleicht sogar vornehmen Geruch ausströme, gehört einfach zu den Tatsachen dieser Welt. Doch etwas Unvorhergesehenes und Außerordentliches geschieht eben doch, und zwar nicht mit dem schnüffelnden Besucher, sondern mit seinem Herrn. Hatte der Mann mich nämlich eben noch liebevoll mit seinen großen, runden Augen gleichsam in sich hineingesogen, so schnellt er jetzt, kaum dass er seinen Hund bei mir sieht, wie von einer Schlange gebissen von seinem Sitze in die Höhe, stürzt sich auf seinen Liebling, rafft ihn zu sich empor und verschwindet mit kräftigen Sprüngen zwischen den Bäumen draußen im Park.

      Um die Wahrheit zu sagen, blieb mir dieser Vorgang an jenem Tage und noch eine ganze Zeit später schlechterdings rätselhaft; erst heute weiß ich, was in diesem Augenblick Schreckliches im Kopfe des Flüchtigen vorging, denn es handelt sich, wie schon gesagt, um Oscar, meinen späteren Freund, der mir eines Tages alles reuig gebeichtet hat.

      Wie vermutlich die Mehrzahl der Goldenberger glaubte er nämlich, dass es in meinem Herkunftsland üblich sei, das Wild mit bloßen Zähnen zu reißen, weil wir in unserer unglücklichen Heimat gewöhnlich unterernährt und aus diesem Grunde eben zu allem bereit und auch fähig seien. Der liebe Mann sah seinen Dackel mithin in höchster Lebensgefahr – das erklärt sein panisches Verhalten. Zweifellos war er mir wohl gesonnen, ja, wie mir sein Blick bewies, in meinen Anblick geradezu verliebt, doch aus Angst um seinen vierbeinigen Freund vergaß er momentan alle Umgangsformen, wie sie sich unter zivilisierten Menschen gehören. Sein Hund war ihm eben wichtiger als das gute Benehmen.

      Verärgert über den ungehörigen Zwischenfall schüttelt Bremme seinen mächtigen Erdapfelkopf und, verlegen, bringt er eine Reihe von Entschuldigungen vor. Leider gebe es selbst in seiner sonst in jeder Hinsicht aufgeklärten und fremdenfreundlichen Stadt ein paar schwarze Schafe, denen man die Gebote der Gastfreundschaft vergeblich gepredigt habe. Der Polizeipräsident Knarr nimmt die Sache allerdings weniger gelassen: Er winkt einen bis dahin unscheinbar im Hintergrund verborgenen Mitarbeiter herbei und befiehlt ihm, den Flüchtigen und seinen Dackel erkennungsdienstlich zu erfassen.

      Währenddessen hat sich ein weiterer Gast unserem Tisch genähert, denn natürlich war es einigen ausgesuchten Honoratioren der Stadt nicht verwehrt, den Fremden gleich am ersten Tag in persönlichen Augenschein zu nehmen. Die Frau Pastor Frieda Torbrück setzt sich mir gegenüber, sie tut es mit einem freundlichen, geradezu gerührten Lächeln. Sie hat eine liebe Art. Es sieht ganz so aus, als wäre ich für sie eine Erscheinung aus einem anderen, höheren Reich, der man sich mit behutsamer Ehrfurcht nähert.

      So viel Freundlichkeit macht mich verlegen, dennoch habe ich die Torbrück im Laufe der Zeit sehr schätzen gelernt, denn von vornherein hat sie mich für fähig gehalten, die Wahrheiten ihrer Religion zu begreifen, wichtig sei nur, dass das unter ihrer kundigen Anleitung geschieht. Dann, so ihr Versprechen, würde ich irgendwann zu einem Menschen werden, dem sie dasselbe Anrecht auf den späteren Einzug ins Paradies verheißen könne wie jedem eingesessenen Goldenberger, ja, ihrer Ansicht nach sogar ein größeres Recht, weil ein verlorenes oder aus der Fremde glücklich in die Herde aufgenommenes Schaf ein höherer Gewinn für den Glauben sei als die Trägen und Gleichgültigen der eigenen Heimat, die sich zu Unrecht einbildeten, sie hätten die künftige Erlösung schon von Geburt an in der Tasche.

      Nun, lieber Rat, damit eile ich wieder einmal den Ereignissen voraus, aber ich sehe mich genötigt, dieses Verfahren gleich noch ein zweites Mal zu befolgen, weil ich nur auf diese Art den vollen Umfang der mir hier entgegengebrachten